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Gehlen

zur Einführung
Verfasser*in: Suche nach Verfasser*in Thies, Christian
Verfasser*innenangabe: Christian Thies
Jahr: 2007
Verlag: Hamburg, Junius
Mediengruppe: Buch
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Inhalt

Arnold Gehlen (1904-1976) ist neben Max Scheler und Reinhold Plessner einer der einflußreichsten Vertreter einer philosophischen Anthropologie. Das kurze Aufblühen der so von ihm bezeichneten Disziplin hat bisher keine Renaissance erlebt, sein Denken ging vielmehr in Biologie, Verhaltensforschung etc. auf. Er selbst bezeichnete sich nach dem Krieg als Sozialwissenschaftler. Gehlen definiert den Menschen unter Zugrundelegung seiner biologischen Entwicklung als Mängelwesen. Die These wird folgenden Argumentationsschritten unterzogen:
- Mängelwesen
- Sonderstellung
- Weltoffenheit
- Instinktreduktion
- Antiebsüberschuß
Defizitäre Ausstattung erfordert „Entlastung“ durch „Institutionen“. Diese „Institutionen“ können sein u.a. der Staat, die Familie, das Rechtssystem oder die Glaubensgemeinschaft, Kultur schlechthin. Den sich ständig aufdrängenden Vergleich von Mensch und Tier bei der Untersuchung des Begriffs „Mängelwesen“ hält er für grotesk, man könne nicht Abermillionen von Arten einer einzigen Art gegenüberstellen. Eine ontogenetische oder philogenetische Sonderstellung des Menschen verneint er, seine Einzigartigkeit bejaht er aber und fügt hinzu, diese komme ja allen Lebewesen zu. Hier spricht er davon, daß die Menschen in den archaischen Gesellschaften eine andere Natur gesehen haben, nicht als „Faktenaußenwelt“. Ein Beispiel sei der gewandelte Zeitbegriff mit der Einführung der Schrift. Erst mit Aufzeichnungen zur Astronomie findet ein Zeitbegriff Eingang in die Vorstellungswelt der Menschen von Unendlichkeit; davor gab es nur eine Urzeit. Die These Mängelwesen wird auch anhand einer organischen Unspezialisiertheit des Menschen untersucht. Die zunächst als begründet erscheinende populäre Behauptung – wir haben nicht den Geruchsinn eines Hundes, nicht den Blick des Adlers und folgen nicht wie Vögel den Magnetfeldern der Erde, usw. – schränkt er durch andere morphologische Argumente zwar ein, sie allein beweisen die These jedoch nicht. Das arbeitet er an einem entscheidenden Punkt heraus: Ist nicht unser Gehirn ein besonders leistungsfähiges Spezialorgan? Er verneint dies. Das Hirn alleine tauge zu gar nichts. Erst im Zusammenspiel mit den Händen erlange „einer der komplexesten Gegenstände des Universums“ seine Funktionsfähigkeit. Mit anderen Worten: es ist unsinnig, biologisch Spezialisierungen von ihrer Umwelt zu trennen. Das Gehirn ist also kein Spezialorgan, aber es ist ein Organ „für alle Zwecke“.
Der Begriff Mängelwesen wird durch eine weitere Teilthese begründet: Wir besitzen nur noch rudimentäre Instinkte. Der durch den Zerfall der instinktiven Verhaltensweisen entstandene Hiatus zwischen Antrieb und Handlung hilft uns, jeden inneren Reiz zu reflektieren: Will ich dem Antrieb folgen oder nicht. Hier zitiert er Erfahrungen Konrad Lorenz‘, der für biologische Fragen sein wichtigster Gesprächspartner ist, aus der Ethologie ( „Tiere handeln nicht“). Ein Antriebsüberschuß zwinge uns ständig zur Stellungnahme und zu Entscheidungen. Die antagonistischen Triebe können jedoch nicht vereinigt werden, allenfalls ist eine prekäre Balance zwischen ihnen möglich.
Die Philosophie der „Institutionen“ steht im Zentrum von Gehlens Nachkriegswerk. Die Entlastung durch Technik, Routine und so fort führt jedoch auch zu geistlosen, ja unsinnigen Verhaltensweisen und läßt eigene Anstrengungen erlahmen. Auch weil Sprache die Weltdeutung mehr und mehr vorprogrammiert, sind Initiativen zur „Welterschließung“ verkümmert. Gehlen sieht ein welthistorisches Novum: alle wichtigen Prozesse und Ereignisse der Gegenwart sind als Einmaligkeit zu begreifen; die Geschichte sei nurmehr „museales Bildungsgut“, sie vermittle keine Lehren, es gebe keine Traditionen. Moderne Kunst sei in die Peripherie der gesellschaftlichen Entwicklung abgedrängt, sie habe sich in ihre eigene Freiheit verstrickt. Religion, wie der gesamte kulturelle Sektor, spiele heute keine Rolle mehr, politische Ideologien seien in der globalen Entwicklung irrelevant geworden. Schließlich sei die Trennung von Experten und Laien, Fachleuten und Normalbürgern in Kunst und Wissenschaft irreversibel, Theorien ließen sich nicht mehr so einfach popularisieren. Und seine Erkenntnis, Politik sei ein in tiefstem Sinne konservativer Versuch, sich eine Kontrollchance über einen metahumanen Prozeß einzureden, der sich eben dieser Kontrolle bereits entzogen hat, steht am Ende seiner Überlegungen.
Gehlen, wie Thies (ach, den gibt’s auch noch!) in der biographischen Notiz der sorgfältigen Einführung in das Werk bemerkt, war von Anfang bis Ende Mitglied der NSdAP, bereits 1933/34 begann er eine“ Philosophie des Nationalsozialismus“, die er aber nicht vollendete. Erst nach 1945 distanzierte er sich endgültig vom Nationalsozialismus. Der Vorwurf der „Mittäterschaft“ stand daher in den ersten Nachkriegsjahren im Raum, wurde aber wegen seiner Berufung auf Freud, Scheler u.a. und nicht vorhandener antisemitischer Äußerungen nicht aufrechterhalten. Seine vorübergehende Sympathie galt nunmehr der kommunistischen Linken. (Detail: Sein etwa gleichartiger Cousin Reinhard war Leiter der Abwehr „Fremde Heere Ost“ und wurde nach 1945 Leiter der „Organisation Gehlen“, dem späteren BND). Bei Zeitgenossen wie Lorenz, Bloch, Adorno oder Horkheimer genoß er hohes Ansehen und pflegte regen Gedankenaustausch in Briefen, Gesprächen und öffentlichen Interviews.

Details

Verfasser*in: Suche nach Verfasser*in Thies, Christian
Verfasser*innenangabe: Christian Thies
Jahr: 2007
Verlag: Hamburg, Junius
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Systematik: Suche nach dieser Systematik PH.Q
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ISBN: 3-88506-329-8
Beschreibung: 2. Aufl., 176 S.
Schlagwörter: Einführung, Gehlen, Arnold, Abriss, Kompendium <Einführung>, Lehrbuch <Einführung>, Leitfaden, Populärwissenschaftliche Darstellung <Formschlagwort>, Programmierte Einführung <Formschlagwort>, Repetitorium <Formschlagwort>
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