"Was aber heißt das: etwas wahrzunehmen?" Diese scheinbar einfache Frage von Käte Meyer-Drawe geht diesem Buch als Inspiration voraus: Wohl alle glauben zu wissen, was es heißt, etwas zu sehen, zu riechen, zu schmecken, zu tasten, zu hören. Die Frage aber, was das nun wirklich heißt, erfordert die Überprüfung vermeintlicher Selbstverständlichkeiten und gewohnter Einordnungen. Im pädagogischen Handeln wird das Hinschauen, Hinhören, Einfühlen vielfach übersprungen zugunsten eines vorschnellen Deutens und Urteilens. Wahrnehmen als pädagogische Übung bedarf eines Innehaltens, das dem Verstehen bequeme Abkürzungen versperrt und eingespielte Sicherheiten irritiert. Erst dies erlaubt es, hinter Diagnosen, Bewertungsrastern und Begabungskategorien das konkrete Kind in seinem Lernen, den Mitmenschen in seinen Nöten und Potenzialen zu suchen.
Das vorliegende Buch diskutiert und vertieft die phänomenologisch orientierte Vignetten- und Anekdotenforschung als Methode für die Reflexion und Sensibilisierung der Wahrnehmung von Lern- und Bildungsprozessen in Schule und Gesellschaft.
Inhalt
Hans Karl Peterlini
Die Übung des Wahrnehmens als pädagogische Aufgabe - Einführung und Vorwort 7
Leiblichkeit als Perspektive der Wahrnehmung
Käte Meyer-Drawe
Was aber heißt das: etwas wahrzunehmen? 13
Hans Karl Peterlini
Der zweifältige Körper
Die Leib-Körper-Differenz als diskriminierungskritische Perspektive - Vignettenforschung zu Rassismus, Sexismus und Behinderung 25
Methodologische Vertiefungen und methodische (Weiter-)Entwicklungen
Johanna F. Schwarz
Erfahrungen wahrnehmen - Wahrgenommener Erfahrung zum Ausdruck verhelfen 49
Anja Thielmann
Von der Wahrnehmung zur Vignette
Wie Vignetten leibliche Wahrnehmungen und intersubjektive Erfahrungen in Sprache ,übersetzen 65
Silvia Krenn
Die ,merkwürdige4 Geschichte einer (Lern-)Erfahrung
Über die Herausforderung, eine erzählte erinnerte Lernerfahrung in einer Anekdote als Forschungsinstrument zu gestalten 81
Silvia Krenn
Die Kunst des Anekdoten-Schreibens
Vom Gespräch zur Anekdote - Über das Verfassen von Anekdoten als Forschungsinstrument 97
Rahel More
Hermeneutik und Phänomenologie - eine Ergänzung
Am Beispiel der Interpretativen Phänomenologischen Analyse (IPA) 107
Pädagogische Bezüge und Praxiserfahrungen
Siegfried Baur
Wahrnehmen im pädagogischen Handlungsprozess 125
Evi Agostini und Stephanie Mian
Schulentwicklung mit Vignetten
Ein Beispiel zum Einsatz von phänomenologisch orientierten Vignetten in der Weiterbildung von Lehrpersonen 137
Abgrenzungen - Annäherungen - Überschreitungen
Evi Agostini
Lernen ,am Fall* versus Lernen ,am Beispiel*. Oder: Zur Bedeutung der pathischen Struktur ästhetischer Wahrnehmung für die Narration von phänomenologisch orientierten Vignetten 153
Irene Cennamo, Jasmin Donlic, Hans Karl Peterlini
Die Vignette im Forschungsdesign
Potenziale, Grenzen und Anknüpfungspunkte einer Methodenkombination am Beispiel einer Antragstellung 179
Daniela Lehner
Widerfahrnis Wildheit?
Leiberfahrung und Fremdes 201
Autorinnen und Autoren 213