SÖDER, KURZ ODER ORBÁN - WOHIN STEUERT DIE EUROPÄISCHE CHRISTDEMOKRATIE?
In Ungarn wickelt Viktor Orbáns Fidesz-Partei gerade die Demokratie ab und beruft sich dabei besonders emphatisch auf die christdemokratische Tradition. Ein ungehöriger Affront, könnte man meinen. Aber wie ernst war es christdemokratischen Parteien in der Vergangenheit eigentlich mit der liberalen Demokratie?
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs feierte die Christdemokratie in Europa ihren Siegeszug. Dabei setzten sich besonnene Staatsmänner wie Konrad Adenauer, Alcide de Gasperi oder Robert Schuman auf einem vormals von Krieg und Gewalt geprägten Kontinent nachdrücklich für Frieden, Wiederaufbau und Stabilität ein. Dennoch hatte die Christdemokratie im Nachkriegseuropa auch eine dunkle Seite: Der autoritäre Geist des reaktionären politischen Katholizismus wirkte in ihr weiter, was sich etwa an der unverhohlenen Bewunderung vieler Christdemokraten für Diktatoren wie Franco und Salazar oder einem angespannten Verhältnis zur freien Presse und den Institutionen der liberalen Demokratie offenbarte. Durch die schrittweise Abkehr von konservativen Positionen – in Deutschland vor allem in der Ära Kohl vollzogen – erfuhr die Christdemokratie schließlich einen nachhaltigen Demokratisierungsschub. Allerdings war der Preis dafür eine ideologische Entkernung. Fabio Wolkenstein (Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien) blickt in seinem Buch auf die lange und wechselvolle Geschichte der Christdemokratie in Europa zurück und fragt, welchen autoritären Versuchungen sie widerstanden, aber auch welchen sie nachgegeben hat. Dabei spannt er einen weiten Bogen bis zur Gegenwart: Welche Strategien des Machterhalts wählen christdemokratische Parteien heute?
Lupenreine Demokraten? Das ambivalente Verhältnis der europäischen Christdemokratie zum rechten Rand
Welche Strategie wird sich in den kommenden Jahren in der Union durchsetzen?
Inhalt
Vorwort 7
I Einleitung: Die Herausforderungen einstiger
Volksparteien 15
Christdemokratische Strategien 15 - Die neue Achse der Christ
demokratie 18 - Wählerpräferenzen und Zukunftsszenarien 21 -
Wofür steht die Christdemokratie? 23 -Eine andere Geschichte der
Christdemokratie 27
II Die antidemokratischen Wurzeln der Christdemokratie 35
Auf der Suche nach einer Definition 36 - Die Theorie integrati
ver Politik 39 - Die katholische Soziallehre 42 - Ist die Kirche
demokratiefähig? 51 - Politischer Katholizismus nach der Revo
lution 53 - Von 1848 zum Syllabus errorum und Non expedit 58 -
Eine katholische Partei? 59 - Zwischen Autoritarismus und
Demokratie (1900-1945) 67 - Vier Spielarten des politischen Ka
tholizismus 69 - Aufbruch in die Nachkriegszeit 88
III Selbstbewusste Volksparteien, gute Demokraten? 90
Vorsichtiges Umdenken im Vatikan 93 - Wahre und falsche Demo
kratie 97 - Der christliche «dritte Weg» 101 - Eine «postliberale»
Verfassung 105 - Antimaterialismus und Antiprotestantismus 112 -
Illiberale Momente, rechte Appelle, eingeschränkte Demokra
tie 118 - Der andere Westen: Bewunderung für Franco 123 - Die Li
beralisierung der Christdemokratie 130
IV Christdemokratie im neuen Europa 133
Ideologische Krisen und neue Partnerschaften 135 - Die folgen
schwere Expansion einer Parteienfamilie 141 - «Hallo, Dikta
tor!» 147 - Ist Orban wirklich ein Christdemokrat? 155 - Die his
torischen Lehren von 1945 vs. 1989158 - Ideologiebefreite
Opportunisten? 161 - Der neue politische Katholizismus jenseits
der Christdemokratie 165
V Schluss 170
Dank 181
Anmerkungen 183
Personenregister 221