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Georg Groddeck

eine Biographie
Verfasser*in: Suche nach Verfasser*in Martynkewicz, Wolfgang
Verfasser*innenangabe: Wolfgang Martynkewicz
Jahr: 1997
Verlag: Frankfurt am Main, Fischer-Taschenbuch-Verl.
Mediengruppe: Buch
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Inhalt

Ein alter Wilder - Ja, schon Lichtenberg hat im 18. Jahrhundert dem etwas hypertrophen cartesianischen "cogito" ein schmunzelnd-hintersinniges "es denkt" entgegengesetzt, der vermeintlichen Konstitution des Menschen qua geordnetem Denken einen ungehörigen Tritt versetzt. Der angebliche Misanthrop Schopenhauer sah die "Vorstellung" des Menschen als Zwerg auf den Schultern des Riesen "Willen" dem Irrtum erlegen, sein kümmerliches Bewusstsein könne die geballte Vitalität des Unbewussten dirigieren. Und nachdem Gott schon lange tot ist, findet jeder sein Selbst resp. seinen Leib als die "ältere Ordnung", so Nietzsche. Kriecht man weiter in die Höhle, trifft man Platon, und das Es gekleidet in Symptome und Symbole. Also Groddeck - nun, bei diesem Namen muss ich unweigerlich an ein Reptil denken, aber wer war denn dieser Georg Groddeck nun? Gilt als Begründer der Psychosomatik, so also nicht der Kranke Hilfe begehrt, sondern der Mensch. Aber was ist nun das Mensch? Eine Maschine, diffuses Wollen, Triebkontrolle? Ätherisches Karmawesen, Geburtsschrei und Todesröcheln, Trittbrettfahrer? Alles Blödsinn. Und Groddeck, Georg? Ich würde am liebsten in weisser Kleidung gehen. Also Herr Groddeck hat mit Graphitstift "Das Buch vom Es" geschrieben. Was ihn mit Freud auf einen Nenner bringen lässt, ist, dass nur stirbt, wer sterben will. Verwunderlich finde ich diese Worte noch immer. Im Verlag Stroemfeld/Roter Stern ist im Rahmen der Werkausgabe von Georg Groddeck der Roman "Der Seelensucher" erneut erschienen. Auf die historisch-kritischen Werkausgaben von Kafka oder auch Kleist, die dieser Verlag ans Licht hebt, muss vielleicht nochmal gesondert hingewiesen werden. Sigmund schrieb Georg zu dessem 60sten Geburtstag als Obmann für die Wiener Psychoanalytische Vereinigung Dann danken wir alle für das köstliche Lachen, mit dem sie unser sonst so ernstes Untersuchen der Seele in Ihrem "Seelensucher" gestaltet haben. Gelacht habe ich viel da ich las. Natürlich kann dieses Buch gelesen werden als Parabel der Psychoanalyse, und natürlich hat Groddeck einen anderen Weg eingeschlagen, mit dem notwendigen Rüstzeug ist er über die Sprache gestolpert. Kann Mann/ Frau natürlich in den falschen Hals kriegen. Auf Seite 246 steht dann der Satz "Bis in die kleinsten Einzelheiten ist das Leben des Menschen vom Eros bestimmt", der aber so Neues nun nicht zu bieten hat. August Müller, modern vielleicht als Protagonist zwischen den Zeilen vermodernd, in einer Nacht - die keiner kennt - sich in einer Art Bluttaufe umbenennt, sich einen neuen Namen gibt: Thomas Weltlein, und als solcher hinein in die Welt und gesprochen, ein Narr, ohne Zweifel, nur hie und dann, und spricht doch wahr, und reizt zum Lachen, ohne Ende. Ein Narr, sich entgegenstemmend diesen Windmühlen des narrativen Offenbarem. Der Seelensucher Thomas Weltlein geht mit seinen Erkenntnissen allen auf den Wecker, ob im Eisenbahnabteil, im Krankenhaus, im Gefängnis, beim Prinz von Preußen, oder bei Frauenrechtlerinnen. Alles wird unter der Perspektive der Sexualität gesehen, so etwa der Kirchtum als Phallus im heiligen Schoß der Mutter Kirche. Ist nun Thomas Weltlein gar Sigmund Freud, der pausenlos von Sexualität redet? Freud als Narr? Seine Gegner könnten jubeln. Aber der Narr ist Nachäffer, und Groddeck hält der öffentlichen Meinung den Spiegel vor, zeigt, was sie darüber denkt, welche wilden Phantasien sie in die Psychoanalyse hineinprojiziert. Thomas Weltlein als Don Quichote gegen die Vorurteile der Welt kämpfend, stirbt am Ende, kaum erkannt, da arg zerfetzt. Zwei Züge rasen aufeinander. Groddeck hat sich selbst als 'wilden Analytiker' bezeichnet, wohingegen Sie, wenn Sie einen krass amüsanten Unterhaltungsroman lesen möchten, es auch tun sollten! "In der Biographie von Georg Groddeck, einem widerborstigen Mitstreiter des Sigmund Freud, ist brauner Bodensatz aufgetaucht. Wenn der Doktor sie massieren kam, waren neue Patienten baff: "Zuerst pufft der Arzt mit der geballten Faust die Gegend der Magengrube", dann kniff er "die fetten Hautdecken des Bauches", bis "braune und blaue Flecke entstehen". Endlich "springt der Arzt in ganzer Person auf den Leib des Patienten, so daß seine beiden Knie tief in die Magengrube hineindrücken".Die Überfall-Marter, eine Kur für chronisch Verstopfte, war im Repertoire von Georg Groddeck, Sanatoriumsleiter in Baden-Baden, nur eine von vielen kuriosen Therapieformen. Mit Arm- und Fußbädern, auch Diätkost traktierte er die Gäste, und je länger er praktizierte, desto öfter bekamen sie dazu kühne Heilslehren geboten."Sich Gehorsam verschaffen" sei die "Grundlage aller ärztlichen Kunst", meinte er, und tatsächlich wurde Groddeck für viele ein angehimmelter "Führer zur Gesundheit". Sein unverblümtes, in plaudernden Briefen verfaßtes "Buch vom Es" (1923) lieferte Sigmund Freud das Wort für seinen Seelen-Unterbau und trug Groddeck (1866 bis 1934) einen Platz in den Annalen der Psychoanalyse ein.Schriftsteller wie Lawrence Durrell oder Ingeborg Bachmann haben seine Weisheit gepriesen. Noch heute gilt er - entgegen seiner Absicht - als Pionier der Psychosomatik, seine Wasserkuren werden praktiziert, und die "Georg-Groddeck-Gesellschaft" sorgt für Nachruhm und Neuausgaben. Erstaunlich fast, daß erst jetzt ein Biograph in Archiven erkundet hat, wie der Heiler dachte - mit bedrückendem Ergebnis*."Ich wollte das Buch anders schreiben", sagt Wolfgang Martynkewicz, 42, studierter Literaturwissenschaftler und Psychologe. "Aber als ich den Nachlaß sah, dachte ich: Das kann doch nicht wahr sein." So mußte Martynkewicz, der schon den Prosa-Eremiten Arno Schmidt vom Podest geholt hat, noch einen Helden entzaubern. Sein Lebensbild des körperlich wie geistig sprunggewaltigen Therapeuten zeigt einen geltungssüchtigen Guru, der ein Weltbild hegte, das mühelos zur NS-Ideologie paßte.Vom Vater, der 1850 mit einer aufsehenerregenden Arbeit über "Die demokratische Krankheit, eine neue Wahnsinnsform" Doktor geworden war, hatte Groddeck Aufmüpfigkeit und zugleich eine Neigung zum Autoritären geerbt. Die Disziplin im legendären Internat Schulpforta stärkte den Eigensinn. In Berlin wurde der angehende Mediziner Jünger eines Heilkünstlers, der nur durch Protektion des Reichskanzlers Professor geworden war: Ernst Schweninger, Bismarcks Leibarzt.Schweningers Lehre, "geistige Überlegenheit" sei entscheidend fürs Heilen, brachte Groddeck Erfolg. Als er, frisch verheiratet, 1897 eine Pension im mondänen Baden-Baden aufmachte, strömten Wehleidige ihm zu. Sein "wie aus dem Höllenofen hervorlugendes Gesicht, aus dem zu-* Wolfgang Martynkewicz: "Georg Groddeck. Eine Biographie". Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main; 384 Seiten; 24,90 Mark.gleich so tiefe Gütigkeit sprach" (ein Patient), sein Credo, daß "das Wesentliche des Arztes" ein nur knapp verdrängter "Hang zur Grausamkeit" sei, wirkten.Aber Groddeck will nicht bloß tyrannischer Tröster sein, sondern Sinnstifter: Die Frau etwa habe nur "eine einzige Pflicht: Mutter zu sein", alles Weitere sei entartet. Auf vielbesuchten Vorträgen propagiert er seit 1908 Abhärtung, Stadtfeindschaft, "Menschenpflicht" statt Menschenrechte und "Volkskultur". Er predigt die "Erhaltung der Rasse", der germanischen "Herrenrasse" natürlich, samt Euthanasie und "Menschenzüchtung". Und er schlägt vor, "Säufern, Idioten, Epileptikern, Geschlechtskranken, Minderwertigen die Ehe zu verbieten".Solch ultrarechte Töne untermalten ein ideologisches Sammelsurium: Gern etwa stellt Groddeck Krankheit provokativ als "Leistung" hin oder plädiert für Egoismus ("Aufopferung ist Schwindel"). Das Ziel: "Hin zur Gottnatur" (Buchtitel), zurück zum "großen Geheimnis der Welt", zu dem, was Groddeck "Es" nennt.Die neuartige Psychoanalyse aus Wien kam da wie gerufen. Großspurig schrieb Groddeck am 27. Mai 1917 an Freud und behauptete, er habe schon Jahre zuvor dessen Behandlungstechnik eigenständig erprobt. Obgleich seine Fallgeschichten windig klangen, akzeptierte Freud den Masseur - der mit seinem gutverkauften Roman "Der Seelensucher" bald tatsächlich ein Herold der analytischen Lehre wurde.Doch so geschickt sich Groddeck beim neuen Oberguru auch einschmeichelte, sein Hohn auf strenge Wissenschaft ließ ihn unter Psychoanalytikern Außenseiter bleiben. Zwar stärkte das "Buch vom Es" sein Ansehen als Plauderer der Tiefseelenkunde, und Freuds Mitstreiter Sándor Ferenczi wurde Stammgast in Groddecks Sanatorium. Aber Freud stellte in der theoriegeladenen Schrift "Das Ich und das Es" rasch klar, wer das Sagen hatte."Das Umwerfen von Vasen ist immer der Ausdruck eines sexuellen, eines Geschlechtswunsches": Mit solch verqueren Einsichten überrumpelte Groddeck auch weiterhin Hörer und Leser. Zum großen Erfolg jedoch reichte es nicht mehr - auch weil längst ein anderer Führer weit verfänglichere Parolen verbreitete.Den sah Groddeck unverhohlen als neuen Arzt der Menschheit. Er selbst wäre, trotz Gebrechen, nur zu gern Vertrauensmann des Charismatikers in der Reichskanzlei gewesen. Noch kurz vor seinem Tod am 11. Juni 1934 beteuerte Groddeck in Größenphantasien, Hitler werde ihn abholen und anhören: ein verteufelt logisches Ende für jemanden, der mal gesagt hatte: "Uns fehlt eine solide eingeheizte Hölle."" Der Spiegel, Von Saltzwedel

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Verfasser*in: Suche nach Verfasser*in Martynkewicz, Wolfgang
Verfasser*innenangabe: Wolfgang Martynkewicz
Jahr: 1997
Verlag: Frankfurt am Main, Fischer-Taschenbuch-Verl.
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Systematik: Suche nach dieser Systematik PI.BP
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ISBN: 3-596-13067-0
Beschreibung: Orig.-Ausg., 382 S. : Ill.
Schlagwörter: Biographie, Groddeck, Georg, Berühmte Persönlichkeit / Biographie, Biografie, Biographien, Biographisches Nachschlagewerk, Lebensbeschreibung
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Fußnote: Literaturangaben
Mediengruppe: Buch