In den klassischen Texten der Soziologie wird Geschlecht in der Doppelheit von naturhafter und sozialer Kategorie i.d.R. als ein weitgehend unbefragter und selbstverständlicher Grundpfeiler sozialer Ordnung gesehen. Die mit der jeweiligen sozialen Ordnung gegebene Asymmetrie (soziale Ungleichheit) zwischen den Geschlechtern wird demnach kaum thematisiert. Nahezu zeitgleich aber entstanden Frauenbewegungen, in denen die "Frauenfrage“ primär politisch adressiert wurde. Beide Linien führten zu einer bis heute kontroversen Thematisierung der Kategorie Geschlecht: Ist die binäre Form der Geschlechterdifferenz lediglich eine zivilisatorische Elaboration eines "natürlich“ (biologisch) gedachten Substrats oder bringen soziale Prozesse der Kategorisierung, Differenzierung und Institutionalisierung die Zweigeschlechtlichkeit erst hervor? Mit den unterschiedlichen Konzepten waren und sind unterschiedliche Politikkonzepte verbunden, wie und auf welche Weise die soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern aufgehoben werden kann. In den im engeren Sinne geschlechtersoziologisch angelegten Arbeiten tritt "die Differenz“ jedoch zunehmend in den Hintergrund. An ihre Stelle tritt die Analyse von Prozessen der Differenzierung und ihrer Folgen in der Vergeschlechtlichung sozialer Wirklichkeit und der Verkörperung des Sozialen. Das Buch bietet einen umfassenden Einblick in die zentralen Themen der Geschlechtersoziologie und ist daher sowohl für Haupt- als auch für Nebenfachstudierende in Soziologie, Politikwissenschaft sowie den "gender studies“ geeignet.
/ AUS DEM INHALT: / / /
1 Einleitung 1
2 Spurensuche 7
2.1 Gleichheit und Differenz 7
2.1.1 Jeder Beginn ist eine Setzung 7
2.1.2 Entwicklung des Bürgertums 9
2.1.3 Die bürgerliche Sphärentrennung 10
2.1.4 Natur, Gleichheit und die Mündigkeit des Menschen 13
2.1.5 ,Geschlecht' am Scheideweg 14
2.1.6 Die Verwissenschaftlichung der Differenz 18
2.1.7 "Only Paradoxes to Offer" 20
2.2 Großentwürfe gesellschaftlicher Entwicklungen
und die Stellung der Geschlechter 22
2.2.1 Ein neues Nachdenken über Gesellschaft entsteht 22
2.2.2 Auguste Comte (1798-1857) 24
2.2.3 Karl Marx (1818-1883) und Friedrich Engels (1820-1895) 28
2.2.4 Herbert Spencer (1820-1903) 35
2.2.5 Zusammenfassung: Natur - Gesellschaft - Geschichte. Und Geschlecht? 39
3 Moderne Zeiten 45
3.1 Das Problem der Geschlechtergleichheit im Horizont soziologischer
Theorieentwicklung *. 45
3.1.1 Historische Kontexte: Frauenbewegungen und die Soziologie .' 45
3.1.2 Ferdinand Tönnies (1855-1936) 53
3.1.3 Emile Dürkheim (1858-1917) 56
3.1.4 Georg Simmel (1858-1918) 61
3.1.5 Max Weber (1864-1920) und Marianne Weber (1870-1954) 68
3.1.6 Zusammenfassung: Soziale Differenzierung - soziale Integration. Und Frauen!.... 71
3.2 Nationalsozialismus 75
3.2.1 Idealisierte Ungleichheit: die "Geschlechtsharmonie" 76
3.2.2 Soziologie im Nationalsozialismus 78
3.3 "Kritische Theorie": Wiederaufnahme marxistischer Denktraditionen 80
3.4 Ein anderer Denkrahmen für Geschlecht : 86
3.4.1 George Herbert Mead (1863-1931) : 86
3.4.2 Alfred Schütz (1899-1959) 90
3.4.3 Karl Mannheim (1893-1947) 93
3.4.4 Viola Klein (1908-1973) 99
3.4.5 Zusammenfassung: Geschlecht als Gegenstand sozialen Wissens 104
4 Die Idee der "Geschlechtsrollen" 109
4.1 Historische Kontexte: Von der Frauenfrage zu Geschlechtsrollen 110
4.2 Die Entdeckung der Kategorie Geschlecht im Kulturvergleich 114
4.2.1 Ralph Linton (1893-1953) 114
4.2.2 Margaret Mead (1901-1978) 117
4.2.3 Claude Levi-Strauss (1908-2009) 118
4.3 Strukturfunktionalismus: Die Geschlechtsrolle kommt in die Soziologie 120
4.3.1 Talcott Parsons (1902-1979) 120
4.3.2 Viola Kleins Kritik an der Geschlechtsrolle 126
4.3.3 Zusammenfassung: die "Geschlechtsrolle" als Element der Sozialstruktur 128
4.4 Gegenbewegungen 130
4.4.1 Symbolischer Interaktionismus 130
4.4.2 Ethnomethodologie 134
4.4.3 Erving Goffman (1922-1982) 138
4.5 Zusammenfassung: Geschlecht im Alltagshandeln 145
5 Zurück zum Anfang? 149
5.1 Historische Kontexte: Aufbruchstimmung 149
5.1.1 Eine neue Frauenbewegung entsteht 151
5.2 Frauenforschung als Frauenbewegung in der Wissenschaft 154
5.3 Die Entdeckung des "Geschlechterverhältnisses" 158
5.3.1 Ursula Beer: Arbeit und Generativität 158
5.3.2 Ute Gerhard: Die Zweischneidigkeit des Rechts 160
5.3.3 Regina Becker-Schmidt:
Doppelte Vergesellschaftung - doppelte Benachteiligung 161
5.3.4 Geschlechterverhältnis - Geschlechterverhältnisse 164
5.4 Auch Männer bekommen ein Geschlecht 165
6 Zwischen Parallelisierung und Kooptation 171
6.1 Historische Kontexte: Gleichstellung und Globalisierung 171
6.2 Institutionalisierung der Frauen- und Geschlechterforschung 175
6.3 Kooptationen oder: Facetten einer "geschlechtssensibilisierten Soziologie" 179
6.4 Zwischenfazit: Ist Geschlecht ein "Grundbegriff" der Soziologie? 184
7 Zweigeschlechtlichkeit als Problem 189
7.1 ,Sex' und ,gender' 189
7.1.1 Auch "sex" ist Kultur r 191
7.1.2 Grenzen biologischer Erklärungen 192
Inhalt VII
7.1.3 Kulturelle Variationen der Geschlechterklassifikation 194
7.1.4 Historizität der Kategorie Geschlecht 195
7.1.5 Konstruktion von Geschlecht: eine Idee - viele Stimmen 196
7.2 Interaktive Erzeugung von Geschlecht 198
7.2.1 Geschlecht als Darstellungsleistung 199
7.2.2 Attributionen von Geschlecht 200
7.2.3 "Döing gender" 204
7.3 Diskursive Erzeugung von Geschlecht 207
7.3.1 Michel Foucault: Diskurse, Sexualität und Macht 207
7.3.2 Judith Butler: Performativität und Materialisierungen 210
7.3.3 Das Aufbrechen der heterosexuellen Matrix 216
7.3.4 Nancy Fräser: Kritische Theorie und Dekonstruktion 219
8 Neuerschließen soziologischer Theorien 225
8.1 Figurationssoziologie 225
8.1.1 Vom Fremd- zum Selbstzwang 225
8.1.2 Geschlechter und Geschlechterverhältnisse in Figurationen 229
8.2 Habitus und soziale Praxis 235
8.2.1 Sozialer Raum und soziale Praxis 235
8.2.2 Geschlecht als soziale Praxis 239
8.2.3 Geschlechter in sozialer Praxis 242
8.3 Theorie der Strukturierung 246
8.3.1 Strukturierungen 246
8.3.2 Strukturierung der Geschlechterunterscheidung 247'
8.3.3 Veränderte Geschlechterverhältnisse - veränderte Zeiten 249
8.4 Systemtheorie 252
8.4.1 Kommunikation und "Person" 252
8.4.2 Wo spielt Geschlecht (noch) eine Rolle? 254
8.5 Zusammenfassung: Persistenz und Wandel 256
9 Die Vergeschlechtlichung sozialer Wirklichkeit 261
9.1 Institutionalisierung: Geschlecht als selbst tragende Konstruktion 261
9.1.1 Typologien von Akteuren 264
9.1.2 Alter, Lebenslauf, Biographie 266
9.1.3 Parallelisierung und periodische Separierung 269
9.2 Aneignungsprozesse: Geschlecht als Bildungsaufgabe 272
9.3 Geschlechterdifferenzierende Arbeitsteilung 276
9.3.1 ,Männliche' Arbeit - ,weiblicher' Liebesdienst 276
9.3.2 Frauenberufe' - ,Männerberufe' !- 278
9.3.3 Arbeitsmarkt, Beruf, Ausbildung ; 280
9.3.4 Organisationen: Gleichzeitigkeit von Gleichheit und Differenz 282
9.3.5 Verflechtungen 285
VIII Inhalt
9.4 Prozesse der Naturalisierung 286
9.4.1 Körper 286
9.4.2 Sexualität 291
9.4.3 Fortpflanzung 296
9.5 "Döing difference" 299
9.6 "Undoing gender" 302
9.6.1 "Can we ever not do gender?" 302
9.6.2 Kontextuelle Kontingenz: Aufweichen von Geschlechterunterschieden 303
9.6.3 "Yes we can" - das Aussetzen der Geschlechterunterscheidung 305
10 Schluss: Denkgefangnisse unserer Zeit 309
Literatur 319
Personenregister v 341
Sachregister 347