Volkans Buch ermöglicht uns ein neues und unverzichtbares Verständnis nationaler, ethnischer und religiöser Konflikte. Es macht klar, daß ethnische und internationale Konflikte und Formen der Gewalt tiefer motiviert sind als nur durch politische Programme und den Kampf um knappe Ressourcen. Der anschauliche Stil richtet sich an ein breites Publikum interessierter Leser. Seit dem Ende des Kalten Krieges sind viele nationale und ethnische Konflikte offen zum Vorschein getreten. Während der Ost-West-Konflikt auf relativ klare ideologische Gegensätze zurückgeführt werden konnte, beziehen sich die seither aufgebrochenen Kämpfe und Rivalitäten auf komplexe und ineinander verstrickte Themen ethnischer, religiöser, kultureller und historischer Unterschiede, die Aspekte der Großgruppen-Identität und des psychosozialen Verhaltens widerspiegeln. Politikwissenschaftler und Diplomaten haben diesen Themen in der Vergangenheit keine Aufmerksamkeit geschenkt. Es ist daher nicht überraschend, daß ihre Lösungsversuche bislang kaum Erfolg gezeigt haben. Das neue Buch Vamik Volkans schlägt die fehlende Brücke zwischen psychoanalytischen Konzepten und der traditionellen Vorstellungswelt von Diplomaten, Historikern, Politologen und Sozialwissenschaftlern. Seit Sigmund Freud schreiben Psychoanalytiker über Großgruppen-Psychologie, Krieg und aggressives Gruppenverhalten, Propaganda und die Beziehung zwischen Führern und Anhängern. Diese Schriften sind aber eher spekulativ, da sie die individuelle Dynamik auf umfassende soziale und kulturelle Zusammenhänge verallgemeinern. Praktische Erfahrungen im Umgang mit sozialpsychologischen Prozessen zwischen Großgruppen lagen bislang kaum vor. Der bekannte Psychoanalytiker Vamik Volkan nutzt sein klinisches Wissen und seine Erfahrung aus 25jähriger Arbeit mit Großgruppen in konfliktgeschüttelten und traumatisierten Gesellschaften, um eine pragmatisch orientierte Studie der Dynamik von Großgruppen vorzulegen. Er stellt neue theoretische Konzepte und ihre praktische Anwendung vor. Sie ermöglichen uns ein besseres Verständnis für die Interaktion von Großgruppen im Frieden wie in Krisenzeiten. Besonders wichtig ist die Verknüpfung zwischen der Identität der Großgruppe und der Identität des einzelnen. Als Folge dieser engen Beziehung werden politische, wirtschaftliche, und sicherheitspolitische Probleme häufig durch unbewußte Kräfte und irrationale Entscheidungen negativ beeinflußt, die eine "unsichtbare" Macht über nationale und internationale Beziehungen ausüben. Über den Autor: Vamik Volkan ist Professor für Psychiatrie an der Medizinischen Fakultät der Universität Virginia und Gründungsdirektor des "Center for the Study of Mind and Human Interaction" (CSMHI). Hier kommen Psychoanalytiker, Psychiater, Psychologen, Ex- Diplomaten, Historiker und Politologen zusammen, um gemeinsam Phänomene der Großgruppen-Psychologie zu untersuchen, vor allem nationale und ethnische Konflikte.
Siehe auch "Einhundert Meisterwerke der Psychotherapie"
Inhaltsverzeichnis
Seite
Vorwort von Hans-Jürgen Wirth I -V
Danksagung 11
1. Psychoanalytiker und Diplomaten - Seite an Seite 13
Kognitive Psychologie 16
Eine Brücke zwischen kognitiver Psychologie und Psychoanalyse 18
Center for the Study of Mind and Human Interaction (CSMHI) 24
Der Ausbruch ethnischer Konflikte 25
2. Beschreibungen der Großgruppenidentitätskonzepte 28
3. Die individuelle Identität 34
Beschreibung der individuellen Identität 35
Die Entwicklung der individuellen Identität 38
4. Einführung zur Großgruppenidentität 45
Die sieben Fäden 49
5. Die ersten zwei Fäden der Großgruppenidentität 50
Der erste Faden: Geteilte Reservoire für „gute" Externalisierungen 52
Der zweite Faden: Geteilte Identifikationen 57
Zusammenfassung 59
6. Großgruppenidentität, für die der „Andere" sorgt:
Der dritte Faden 60
Biologische und psychologische Grundlagen für die „Uns"-
und „Ihnen"- Dichotomie 61
Der dritte Faden: Geteilte „böse" Reservoire 64
7. Gewählte Ruhmesblätter und gewählte Traumata:
Der vierte und der fünfte Faden 70
Der vierte Faden: Gewählte Ruhmesblätter 70
Der fünfte Faden: Gewählte Traumata 73
Generationsübergreifende Weitergaben 74
Zusammenfassung 83
Seite
8. Die Schlacht von Kosovo: Ein Beispiel des fünften Fadens 84
Die Reaktivierung des serbischen gewählten Traumas 90
Säuberungsversuche und Greueltaten 95
Zusammenfassung 96
9. Die innere Welt eines Führers, die die Großgruppenidentität
beeinflußt: Der sechste Faden 98
X Führer mit einer narzißtischen Persönlichkeitsorganisation 100
10. Atatürk: Eine Veranschaulichung des sechsten Fadens 105
Atatürks persönliche Geschichte 105
Atatürks innere Welt 112
Die Schaffung eines sechsten Fadens für das türkische Zelt 118
11. Symbolbildungen: Der siebte Faden 123
Übergangsobjekte und -phänomene 125
Ein Vergleich zwischen Übergangsobjekten
und passenden Reservoiren der externalisierten Bilder 130
Symbolisierung auf einer höheren Ebene 132
Blut 133
12. Großgruppen-Ideologien
und politische Verfahrensweisen und Richtlinien 135
Ideologie, die mit dem sechsten Faden verknüpft ist 135
Ideologie, die mit anderen Fäden verbunden ist 137
13. Großgruppenrituale 144
Gruppenreaktionen auf Jahrestage 144
Zwei unabänderliche Prinzipien 149
Rituale in Zusammenhang
mit dem Narzißmus der kleinen Unterschiede 151
Grenzrituale 156
Die Bedeutung von Ritualisierungen 159
Maligne Ritualisierungen und Kriege 163
14. Trauern, Politik und Diplomatie 167
Individuelle Trauer 167
Komplikationen beim Trauerprozeß eines Individuums 170
Die Trauer von Individuen in Situationen,
wo Großgruppen mit dem Feind interagieren 173
Großgruppentrauer 177
15. Traumatisierte Gesellschaften: Das Nachkriegs-Kuwait 183
Kuwait: Anfängliche Beobachtungen 183
Diagnose 191
Traumatisierte Gesellschaften und Entscheidungsfindungen 197
16. Offizielle Diplomatie: Die Perspektive eines Psychoanalytikers 200
Beschreibung 202
Moralität und offizielle Diplomatie 205
Emotionen 208
Regression 211
Übertragungsverzerrungen 212
17. „Inoffizielle Diplomatie" 214
Beschreibungen der inoffiziellen Diplomatie 218
18. Das Baum-Modell:
Psychopolitische Dialoge und Förderung eines gutnachbarlichen
Verhaltens und einer gutnachbarlichen Koexistenz 222
Diagnose 223
Auf psychoanalytischen Erkenntnissen beruhende psychopolitische
Dialoge 226
Aufbau von Institutionen 247
Beispiele von Baumzweigen aus Estland 251
Abschließende Bemerkungen 255
Bibliographie 257
Namensregister 269
Sachregister 273
Über den Autor ".. 278