Das Leben und die Milieus der jüdischen Gemeinden in Wien und Berlin - die lange Geschichte einer Entfremdung.
Die lange Geschichte der mitteleuropäischen jüdischen Gemeinden in Berlin und Wien changierte zwischen Emanzipation und Diskriminierung. Wie ambivalent diese Entwicklung der Hauptstadtjuden war und wie schwer ihnen die Inklusion in die bürgerliche Gesellschaft gemacht wurde, zeigt Ingo Haar erstmals vergleichend und im langen Lauf auf. Die Diskriminierungen reichten von der Einkind-Politik Friedrich II. bis hin zur »Judenzählung« im Ersten Weltkrieg, von Zwangsausweisungen in Berlin bis zu beruflichen Anfeindungen in Wien.
Aber die Juden waren keine passiven Opfer. Durch die Revolution 1848 gestalteten sie die Moderne aktiv mit, bauten ihre Gemeinden neu auf, differenzierten sie institutionell aus und erzielten einen bemerkenswerten Bildungsaufstieg. Die großen Pogrome im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in Ost- und Südosteuropa stellten die geglückte Teilhabe der Juden an der bürgerlichen Gesellschaft aber auch in Mitteleuropa wieder in Frage. Daraus resultierte bereits vor dem Aufkommen des Nationalsozialismus das jüdische Projekt der Palästinabesiedlung sowie eine durch den Deutschnationalismus verursachte deutsch-jüdische Entfremdungsgeschichte. Mit seiner Studie bringt Ingo Haar somit das Thema der jüdischen Migration und Vielfalt neu in die Sozial- und Kulturgeschichte zurück. (Verlagstext)
Inhaltsverzeichnis:
Einleitung....................................................................................... 9
Juden zwischen Moderne und Vormoderne............................... 9
Migration, Religion und Metropolenbildung:
Zielsetzung und Forschungsstand................................................ 11
Juden in Wien und Berlin in kulturhistorischvergleichender Perspektive der Migrationsforschung:
Quellenbasis, Aufgaben und Rahmen...................................... 18
1. Die Vertreibung und Duldung der Juden in der Vormoderne . . 25
1.1 Zwischen kultureller Stigmatisierung und Vertreibung:
1539 bis 1669/71................................................................... 25
1.2 Die kaiserliche Judenpolitik und die Vertreibung
der Juden aus Wien 1669/71................................................. 29
1.3 Die Flucht der Wiener Juden und
ihre Wiederansiedlung in Berlin ab 1671............................. 35
1.4 Samuel Oppenheimer und die Wiener »Hofjuden«..................... 46
1.5 Die Politik der »Toleranz« in Wien: staatliche Repression,
Ordnung der Finanzen und neue »Judenordnung«........... 52
1.6 Die Berliner Juden von Friedrich I. bis zum
»Soldatenkönig« Friedrich Wilhelm L:
zwischen Konsolidierung und Vertreibung (1691-1740)................69
2. »Absolutismus« und Aufklärung:
Von der wirtschaftlichen Funktionalisierung der »Hofjuden«
bis zu den neuen Unternehmern................................................ 89
2.1 Die Vertiefung der kulturellen Kluft zwischen
jüdischen Hoffaktoren und christlicher Gesellschaft:
die Ausweisung der Juden aus Böhmen und die Proteste
europäischer Staaten (1742-1748).................................................89
2.2 Die Juden Wiens zwischen Duldung und sozialer Inklusion:
Maria Theresia und die Verstetigung jüdischen Lebens
durch Besteuerung und Sozialkontrolle (1745-1766).....................94
2.3 Friedrich II. und die Berliner Juden in der Aufklärungszeit:
zwischen wirtschaftlicher Funktionalisierung und sozialer
Segregation........................................................................... 115
3. Zwischen »Toleranz« und »Assimilation« -
soziale Öffnung und kulturelle Ausgrenzung....................... 145
3.1 Das Generalreglement von 1750 und die Juden in Berlin:
von bevölkerungspolitischer Stigmatisierung
bis zur Emanzipation 1812 .......................................................... 145
3.2 Das Toleranzpatent Josephs II. und die Anfänge
der jüdischen Inklusion.........................................................163
3.3 Die »bürgerliche Verbesserung« der Juden
als Programm der Assimilation............................................170
4. Die Judenpolitik im Schatten der napoleonischen Kriege:
Juden zwischen Assimilation und negativer Inklusion....... 177
4.1 Neue Judenpolitik unter Franz I. von Österreich:
Die Bedrohung der »Toleranz« durch die napoleonische
Herausforderung..........................................................................177
4.2 Die Aufhebung der Industrialisierungspläne für Wien
und die wirtschaftliche Zurücksetzung jüdischen
Neubürgertums ab 1800 183
4.3 Bevölkerungsreduktion und bevölkerungspolitische
Maßnahmen im Polizeistaat................................................. 192
4.4 Die Anti-Napoleon-Koalition und erste Angebote
der gesellschaftlichen Inklusion ab 1810:
Militärdienst, Nobilitierung und Gemeindebildung....................201
5. Die Frage der Emanzipation der Juden im »Vormärz«
und die Revolution von 1848................................................... 207
5.1 Reform und Inklusion der Wiener Juden infolge
des Wiener Kongresses........................................................ 207
5.2 Gemeindebildung, Verstaatlichung der Religionspraxis
und Vereinsbildung bis 1848 in Wien.....................................215
5.3 Die Juden und die Revolution von 1848:
demografischer Umbruch, politische Partizipation
und liberale Bewegungen...................................................... 221
6. Revolution, Nation und jüdische Gleichstellung 1848............... 255
6.1 Die Revolution 1848 und die Nationalstaatswerdung:
die nachgeholte politische Gleichstellung
der Juden in Wien.......................................................................255
6.2 Parteien- und Nationenbildungen durch die Revolution
von 1848: Juden zwischen Maschinenstürmerei,
Gleichstellung und Nationalisierung....................................264
6.3 Vom Ende der Revolution von 1848: Vom Berliner
Status quo und den neuen Rechten der Juden Wiens...........282
7. Zwischen gesellschaftlicher Inklusion, internationaler
Solidarität und nationaler Marginalisierung (1849-1878).......... 289
7.1 Die Individualisierung und Gruppenbildung in den
jüdischen Sozialmilieus: liberale Selbstorganisation,
Zuwanderung und stadträumliche Differenzierung................... 289
7.2 Deutsches und österreich-ungarisches Großmachtstreben
und die Judenfrage in Rumänien: von der
Pariser Konvention (1858) zum Berliner Vertrag (1878).............. 302
8. Die Juden in der Moderne zwischen politischer
Repression und soziokulturellem Aufstieg 1873-1885.................. 321
8.1 Antisemiten, »Berliner Bewegung« und Rücknahme
des Gleichstellungsgebots...................................................... 321
8.2 Die Antisemiten-Petition und der deutsche Konservatismus:
Mit der Henrici-Karte über Neu-Palästina in die
Reichstagswahl von 27. Oktober 1881...........................................335
8.3 Die Pogrome 1881 in Russland und die deutsche Judenfrage:
das Ende der liberalen Immigrationspraxis
und das Grenzregime Bismarcks.................................................. 345
9. Gesellschaftsgeschichte und Demografie der Juden 1881-1918:
horizontale und vertikale Mobilität moderner Juden............ 363
9.1 Urbanisierung und Industrialisierung in Wien und Berlin:
Vom Gemeinde- und Infrastrukturausbau
in der liberalen Zeit....................................................................363
9.2 Die jüdische Bevölkerungsentwicklung in Berlin und Wien:
Zuwanderung nach Zahlen und regionaler Herkunft...........367
9.3 Politische Partizipation im Spannungsfeld von
sozialem Aufstieg und antisemitischer Ausgrenzung:
das Beispiel Hermann Makower.................................................. 378
9.4 Joseph Bloch als Gründungsfigur und Symbol der
politischen Partizipation der Wiener Juden.......................... 382
9.5 Bildungsexpansion und -erfolge..................................................384
9.6 Berufsentwicklung und Verbürgerlichung................................... 391
9.7 Die Wiener Juden und die christsoziale Restauration..................397
9.8 Der Ausbau der Gemeinden: interne Ausdifferenzierung
und neue Berufsfelder...........................................................403
9.9 Jüdische Frauen und die Bildungsexpansion............................. 407
io. Exkurs: Juden auf der Schwelle des 20. Jahrhunderts:
zwischen Marginalisierung und Separierung......................... 415
11. »Judenfrage« im Deutschen Kaiserreich und Habsburgerreich
1897-1918: Von der Besiedlung Palästinas bis zurjüdischen
Flüchtlingsfrage....................................................................... 435
11.1 Die Lösung der »Judenfrage« und der
Sozialimperialismus 1897-1914.............................................435
11.2 Die innenpolitische Abschwächung des Antisemitismus:
die Beruhigung in der Polen- und Judenfrage......................446
11.3 Österreich-Ungarn, die Balkankrise und die »Judenfrage«
(1914-1918): die ethnopolitische Radikalisierung
der europäischen Nationalismen 452
11.4 Die »Judenfrage« im Ersten Weltkrieg (1914-1918):
Lagerbildung, Flüchtlingshilfe und Palästina............................. 466
Schlusswort......................................................................................... 489
Anhang.............................................................................................. 501
Verzeichnis der Abbildungen.............................................................501
Abkürzungs-, Quellen- und Literaturverzeichnis..............................502
Abkürzungen......................................................................................502
Ungedruckte Quellen......................................................................... 503
Gedruckte Quellen.......................................................................... 503
Nachschlagewerke und Handbücher..................................................506
Forschungsliteratur vor und nach 1945............................................. 507
Namensregister................................................................................... 530
Dank...................................................................................................... 535