Neopsychoanalyse ist eine Sammelbezeichnung für neuere Abwandlungen der klassischen Analyse, vor allem aber steht dieser Begriff für die Lehre von H. Schultz-Hencke. Nach Schultz-Hencke besitzt der Mensch ein Grundbedürfnis zum Expansiven, also zur Ausweitung. Dieses äußert sich in verschiedenen Strebungen oder Antriebsarten. Auf Grund der inneren (körperliche Grenzen, ererbte Faktoren) und äußeren Begrenzungen (umweltbedingte Faktoren, insbesonders die Erziehung bzw. die Erfordernisse des sozialen Zusammenseins) werden diese Strebungen gehemmt. Hieraus ergibt sich der Grundkonflikt der menschlichen Psyche. Als Reaktion auf die Hemmung wird der menschliche Charakter geformt. Härte oder Verwöhnung in der Kindheit führen auf verschiedene Weise zu einer Hemmung der einzelnen Antriebsarten. Dies kann im späteren Leben z.B. zu Ersatzbefriedigungen oder überhöhten Ansprüchen führen. Im einzelnen unterschied Schultz-Hencke folgende Antriebsarten: intentionales Antriebserleben: Die buchstäbliche "Neu-Gier", also das Streben neues zu erfahren. kaptativ-orales Antriebserleben: Das primitive "Haben-Wollen", das sich beim Säugling z.B. dadurch zeigt, daß dieser Gegenstände, denen sich seine Neugier zuwendet, in den Mund steckt, um sie zu besitzen. Anders als bei Freud ist bei Schultz-Hencke diese orale (mit dem Mund verbundene) Betätigung nicht sexuell besetzt. retentiv-anales Antriebserleben: Das Bedürfnis, etwas zu behalten (retenieren). Beim Kleinkind äußert es sich dadurch, daß der Kot zurückgehalten werden kann. Hier kommt es auch zu "Machtproben" zwischen den Eltern und dem Kind. aggressiv-geltungsstrebiges Antriebserleben: aggressiv wird nicht als primär zerstörerisch angesehen sondern im "eigentlichen Sinn" des Wortes (ad gredi = herangehen). Mit diesem Begriff wird ein "motorisches Entladungsbedürfnis" beschrieben, also ein Bedürfnis, zu auch körperlich zu entfalten und auszuleben. Wenn dieses auf Widerstand trifft, steigert es sich. Bei dem Versuch, Widerstände zu überwinden, wirkt es dann zerstörerisch. urethrales Antriebserleben: (von Urether, der Harnleiter) Das Bedürfnis sich zu "verströmen" oder im weiteren Sinne sich hinzugeben. liebendes-sexuelles Antriebserleben: Dieses umfaßt die Bedürfnisse nach Zärtlichkeit, Zuwendung und Sexualität. Anders als Freud sieht Schultz-Hencke Zärtlichkeit nicht nur als zielgehemmte Sexualität sondern als eigene Qualität. Als Folge der Hemmung dieser Antriebserlebnisse in der Kindheit können sich nach Schutz-Hencke folgende neurotische Charakterstrukturen ausbilden: schizoide ("gespaltene") Struktur: Durch eine Nichtbefriedigung des Neugier- und Zärtlichkeitsbedürfnisses in der frühen Kindheit kommt es zunächst zu einer Kontaktstörung zu der Mutter. Da das Kind deswegen nicht lernt, gegenüber anderen Menschen und der Umwelt allgemein "normale" Beziehungen zu entwickeln, kommt es im späteren Leben zu einem kontaktgestörten Charakter. Extremen Wünschen nach engen inneren Bindungen stehen Distanziertheit, Mißtrauen und Isolation gegenüber. Emotionale Wärme und gefühlsmäßige Bindungen werden zwar ersehnt, können aber gleichzeitig nicht ertragen werden. depressive Struktur: Hier kommt es durch eine Hemmung der oral-kaptativen Bestrebungen, also des Besitzen- und Erfahrenwollens zu einer späteren Unfähigkeit, diese Bedürfnisse in sich selbst zuzulassen. Sie werden nach außen in die Umwelt projiziert und der Betroffene fühlt sich ausgeliefert und unfähig zur aktiven Einflußnahme. zwanghafte Struktur: Eine Hemmung des aggressiven Strebens führt später zu einem Bedürfnis sich abzusichern. Dies äußert sich in einer Persönlichkeit, die nach Sicherheit strebt, immer wieder kontrollieren muß und Veränderungen nur schwer zulassen kann. hysterische Struktur: Eine Hemmung der urethralen und sexuellen Bedürfnisse führt zu einem Unvermögen, sich hinzugeben und sich gegenüber anderen in einer dem eigenen Ich adäquaten Form darzustellen. Hysterische Menschen spielen (mehr als andere) eine Rolle, sie sind ichbezogen, suggestibel und neigen zur Dramatisierung. / AUS DEM INHALT: / / / Vorwort 5 A. Die G r u n d s t r u k t u r d e s g e h e m m t e n M e n s c h e n 11 1. Die grobe und die feine Gehemmtheit 11 a) Gehemmtheit als Leid 12 b) Die gespürte Gehemmtheit 13 c) Die verborgene Gehemmtheit 14 2. Strebung und Haltung 15 3. Das Gehemmte, von seiner charakterlichen Seite her gesehen 17 a) Das Besitzstreben 18 ac. Das Habenwollen, die kaptative Tendenz 19 ß. Die "Ursachen"1 der kaptativen Gehemmtheit 21 y. Das Behaltenwollen, die retentive Tendenz 23 b) Das Geltungsstreben, die "aggressive" Tendenz 28 c) Das Sexüalstreben 32 d) Armut, Keuschheit, Gehorsam 39 e) Der Anteil der drei Hauptgebiete an der Gehemmtheit ' 4 0 f) Das Gehemmte als expansive Motorik, als Willensphänomen 42 4. Das Hemmende 43 5. Das Gehemmte, von der Seite des Lustvollen her gesehen 50 6. Die Koppelungserlebnisse 54 7. Die Gehemmtheit 56 a) Die Angstreflexe 57 b) Das "Trauma" 57 c) Die Verdrängung 58 8. Das Unbewußte, das Ubw 60 9. Die Haltungen 61 10. Kriterien der Gehemmtheit - Die Ambivalenz 64 11. Die Streuung 66 12. Die genotypische Anlage 68 13. Der Circulus vitiosus, der "Teufelskreis" 71 14. Die Bequemlichkeit 73 15. Die Riesenansprüche 75 16. Die Überkompensatfon 79 17. Die Ersatzbefriedigungen 81 18. Die Verdrängung von Angst- und Schuldgefühlen. Angst und Schuldgefühle als Haltung 83 19. Die Welt der ursprünglichen Haltungen und der Einbruch der erworbenen in diesen Bereich 84 20. Das Lebensgefühl o 87 21. Das geistige Erleben 89 22. Krankheit oder Irrtum? 91 23. Die Korrektur der Gehemmtheit 93 B. D a s S i c h t b a r w e r d e n d e s G e h e m m t e n 98 1. Das Wünschen und Planen 98 2. Das sogenannte "freie Assoziieren" - Die Einfälle 101 3. Das phantasierende Denken 104 4. Die Phantasie und die Bilder 111 5. Die Tagträume 115 6. Die Träume 118 a) Die klaren, verständlichen Träume 118 I h r kompensatorischer Charakter 119 Die Wirkung von Furcht- und Schuldgefühlen 119 b) Die dunklen, verworrenen Träume 119 c) Das leider sogenannte Deuten der Träume 122 Das Sammeln der Einfälle zu den Details 122 Die Tertia comparationis 124 Die Einordnung von Einfällen und Traum in das Gesamterleben des Träumers 125 Die Bedeutung der maßlos expansiven Träume 126 d) Die Allegorie im Traum 129 e) Der sexuell-symbolische Traum 132 f) Die Verifikation des Symbolcharakters 135 g) Die Entsymbolisierung von Träumen 136 a) die spontane 136 ß) die "technisch" beabsichtigte Entsymbolisierung 142 h) Die Erklärung für die relative Häufigkeit von Sexuellem im Traum 144 C. E r s c h e i n u n g s w e i s e n d e s g e h e m m t e n M e n s c h e n 148 a) Laster 150 1. Die Habgier 151 2. Der Geiz 153 3. Die Verschwendungssucht 154 4. Die Ungeduld 156 5. Neid und Eifersucht 157 6. Die Herrschsucht 163 7. Der Jähzorn 165 8. Die Eitelkeit 167 9. Der Don Juan 169 10. Die Dirne 174 10 Inhaltsverzeichnis 11. Die Dysphorie 179 12. Schuld oder Irrtum ? 181 b) Erlebnisweisen 183 1. Sarkasmus, Ironie, Humor 185 2. Die Temperamente 188 3. Der kontemplative Mensch 191 4. Das mystische Erleben 196 5. Die Askese 201 6. Die Sublimierung 207 7. Die Sehnsucht nach dem Androgynen, nach dem Magischen 209 c) Typische Entwicklungsbilder 213 1. Das stille Kind 213 2. Das überlaute Kind o 221 3. Der gehemmte Jugendliche 225 4. Der Duckmäuser, der Streber 226 5. Der haltlose Jugendliche 227 6. Der Vagabund , 229 7. Die Pubertät 230 8. Der Gefügige 235 a) Der Unterwürfige 235 ß) Der Gesellschaftslöwe 237 y) Der Ultrakonservative 238 9. Der "unschuldig Verfolgte'" 240 10. Der Lügner 243 11. Der Hochstapler 245 12. Der unberufene Prophet 248 13. Der ultraradikale Kritiker 249 D. Die k r a n k h a f t e n F o l g e n d e r G e h e m m t h e i t 251 1. Die Entstehungsbedingungen der krankhaften Folgen 252 2. Die Angst 262 3. Die neurotischen Schuldgefühle 268 4. Die Depression 274 5. Die Zwangserscheinungen : 285 6. Die körperlichen Krankheitsfolgen der Gehemmtheit 292 1. Die Geisteskrankheiten 299 E. Die H e i l u n g d e s G e h e m m t e n 304 Nachwort 315 Sachverzeichnis 316
Verfasser*innenangabe:
Harald Schultz-Hencke
Jahr:
1989
Verlag:
Stuttgart [u.a.], Thieme
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Systematik:
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PI.HPP
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ISBN:
3-13-401806-3
Beschreibung:
6., unveränd. Aufl., 320 S.
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Mediengruppe:
Buch