(I-23/13-C3) (GM ZWs / PL)
Patriarchat und mentale Gesundheit: Beatrice Frasl wühlt tief in den Eingeweiden unseres "kranken" Gesundheitssystems. Psychische Gesundheit ist politisch In Ländern wie Deutschland und Österreich können wir uns auf eine medizinische Notversorgung verlassen. Gibt es einen Unfall, wird ein Rettungswagen gerufen, Patient*innen werden in ein Krankenhaus gebracht und schnellstmöglich versorgt. Selbstverständlich, oder? Immerhin wäre es für uns unvorstellbar, mit einem Knochenbruch wieder nach Hause geschickt zu werden, einschließlich einer Wartefrist von sechs Wochen. Bis ein Behandlungsplatz zur Verfügung steht. In etwa so gestaltet sich jedoch die Situation im Bereich der psychischen Erkrankungen. Denn: Unser Gesundheitssystem schreibt, als Teil unseres Gesellschaftssystems, Ungleichheiten fort. Sozialer und ökonomischer Background, kulturelle Rahmenbedingungen und der neoliberale Leistungsgedanke bestimmen, wer gesund ist und wer nicht, wer krank sein darf und letztendlich auch: wem Behandlungsmöglichkeiten offenstehen und wem diese verwehrt bleiben. Ungleichheit in der psychischen Krankenversorgung geht uns alle etwas an! Du fragst dich, was Geschlecht und die Versorgung psychischer Erkrankungen gemeinsam haben? Was das Patriarchat mit der Diagnose von Krankheiten zu tun hat? Spoiler-Alarm: sehr viel! Der Grund, warum Frauen so viel häufiger von Depressionen und Angsterkrankungen betroffen sind als Männer, warum Männer jedoch weniger oft Ärzt*innen aufsuchen und sich behandeln lassen, liegt u. a. in den stereotypischen Vorstellungen und Rollenbildern, die wir im Laufe unseres Aufwachsens erlernt haben. Und: Frausein im Patriarchat bedeutet Gefährdung auf vielen Ebenen. Der Mangel an ökonomischer Sicherheit, die körperliche und psychische Gewalt, denen Frauen sehr viel häufiger ausgeliefert sind, und die Doppelbelastung, die durch Arbeit und Care-Arbeit auf den Schultern von Frauen lastet, sind zusätzliche Gründe dafür, warum weibliche Personen zur Risikogruppe zählen und durch unzureichende Krankenversorgung abermals benachteiligt sind. Stigmatisierung und Tabuisierung: Wie können wir mit psychischen Erkrankungen umgehen? Dass die psychische Krankenversorgung keine Selbstverständlichkeit ist, hängt eng mit der Pathologisierung bestimmter menschlicher Empfindungen zusammen, die nicht in das kapitalistische System passen. Besonders Frauen, ihre Körper und ihre Wahrnehmungen sind und waren schon immer ein Instrument zur Ausübung patriarchaler Kontrolle. Geschlechterrollen, der "Diagnose Gap" und gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse – Beatrice Frasl zeigt in diesem Buch: Das Sprechen über psychische Gesundheit ist ein feministischer Akt, ein Akt, der uns allen die Macht über uns selbst zurückgeben kann.
Inhalt
11 Zur Schreibweise / Wenn du Hilfe brauchst
13 Vorwort: Wir sind alle Betroffene.
Aber manche sind betroffener.
I. Hilflos?
27 Eine psychische Krise ist kein Beinbruch
35 Mein Therapieplatz: Geschichte einer Suche
40 Gesundheit auf eigene Kosten
43 Psychotherapie als teurer Luxus
46 Die Folgen der Corona-Krise
50 Wo gibt es Hilfe?
56 Welche Hilfe gibt es?
63 Stigma, Ausgrenzung und Öffentlichkeit
11. Gesellschaft im Ungleichgewicht
73 Armut macht krank. Krankheit macht arm.
78 Ungleichheit macht krank
87 Die Mär von Meritokratie
91 Schuften bis zum Umfallen
94 Sinnstiftende Arbeit als Antidepressivum
98 Die Kosten der Ungleichheit
103 Alle gegen alle
110 Aufeinander bezogen
115 Vereinzelung als Gift für die'seele
120 Antisoziale Medien
124 Beziehung als Antidepressivum
III. Gehirne im Ungleichgewicht?
131 Über Ungleichgewichte von politischer und chemischer Natur
137 Meine SSRI-Odyssee
143 Das vielzitierte Ungleichgewicht im Gehirn
148 Hoffnung in Pillenforrn
153 Placebo ohne Täuschung: Psychotherapie
158 Social Prescribing
164 Für eine Repolitisierung von Depressionen
IV. Patriarchale Belastungsstörung
171 Der Faktor Geschlecht
174 Mangel an Geld
185 Mangel an Zeit, Mangel an Erholung
193 Mangel an Sicherheit
207 Mangel an Raum
213 Schönheits- und Schlankheitsdiktat
222 Die Auswirkungen der Mängel
231 Was ist eigentlich mit den Männern?
V. Patriarchat und Psychiatrie
239 Die ältesten Beschwerden der Welt - die Diagnose Frau
249 Femme fragile und Femrne fatale
254 Hysterie als Widerstand
260 Patriarchale Kontrolle - zur Behandlung der Hysterie
VI. Hysterie heute?
273 Diagnosen: kulturell und historisch spezifisch
290 Diagnosen als Herrschaftsinstrument
Hysterikerin heute: zur Gegenwart weiblichen Wahnsinns 296
309 Die Frau als eingebildete Kranke
314 Die Hysterikerin als Spektakel
319 Psychiatrien damals: ein Ort der Unerwünschten
331 Psychiatrien heute: zwischen Zuflucht und Zurichtung
338 Zwischen Kranksein und Sein
VII. Fragen, die bleiben
347 Krankes System, kranke Menschen?
353 Was können wir tun?
361 Danksagung
365 Literatur
375 Statistiken und Berichte
377 Wenn du Hilfe brauchst
381 Wenn du weiterlesen möchtest