Geschichte, Schach, Magie, Computer: Wer sich für eins dieser Themen interessiert, wird das Buch mit Vergnügen lesen. Der Wissenschaftshistoriker Tom Standage schreibt so interessant, dass man ihm gern über 200 Seiten folgt. Geschichte: Standage zeigt den (angeblich) automatischen Schachspieler als Zeitgeistprodukt. Die Epoche der Aufklärung liebte Automaten, weil die ihrem Denken entsprachen: Die Welt als eine auf dem Prinzip von Ursache und Wirkung basierende Maschine. Der Wiener Hofbeamte Wolfgang von Kempelen traf mit seiner Bastelarbeit, dem "Schach spielenden Türken", den Nerv der Zeit. Schach: Mehr als ein halbes Jahrhundert war der "Automat" in Europa und Amerika unterwegs. Hunderte Schachbegeisterte, darunter die besten Spieler von Paris, London, Wien, Boston und New York, traten gegen ihn an, meist gewann die Maschine. Auch die Großen der Zeit waren fasziniert: Kaiserin Maria Theresia, Benjamin Franklin, Edgar Allan Poe; sogar Napoleon soll gegen den "Türken" gespielt haben. Magie: Das Publikum durfte rätseln, wie die Sache wohl funktionierte: Reine Mechanik? Manipulation von außen durch den Vorführer? Oder saß ein Zwerg im Innern? Aber wie konnte der dann die Spielzüge des Gegners erkennen? Der Schachautomat blieb jahrzehntelang ein Geheimnis an der Grenze zur Magie. Computer: Das Publikum sah ein Räderwerk im Innern. Aber kluge Leute wussten auch damals schon, dass die Varianten einer Schachpartie selbst die beste Mechanik überfordern würden. Im "Türken" saß ein Mensch. Trotzdem brachte der Apparatismus die Frage aufs Tapet, ob wohl rechnende Maschinen möglich seien und bald entstanden auch tatsächlich erste Rechenautomaten. Der "Türke" gehört damit in die Reihe der Ahnherren des Computers. --Michael Winteroll Kurzbeschreibung»Das Schachbrett birgt mehr Abenteuer als alle Weltmeere.« Pierre MacOrlan Im Herbst 1769 besucht ein ungarischer Adliger eine Zaubervorstellung am Wiener Hofe. Enttäuscht von den dargebotenen Tricks, wettet er mit Kaiserin Maria Theresia, in einer eigenen Vorführung für wirkliches Staunen zu sorgen. Wenig später präsentiert er eine Sensation: eine Holzfigur, gehüllt in türkisches Tuch und imstande, jeden menschlichen Gegner im Schach zu schlagen. »Der Türke«, wie der uhrwerkbetriebene Automat genannt wurde, sollte in den nächsten Jahren Europa und Amerika erobern. Er besiegte im Schachspiel illustre Persönlich-keiten der Welt-geschichte wie Benjamin Franklin, Napoleon und Katharina die Große. Wo er auftauchte, versuchte man sein Geheimnis zu lüften, unter an-derem Edgar Allan Poe und Charles Babbage: War es ein mechanisches Wunderwerk oder doch fauler Zauber? Künstliche Intelligenz oder nur eine Illusion? Spannend wie ein Krimi rekonstruiert Tom Standage die Abenteuer des Türken. Der Schachautomat beeinflusste die Entwicklung wegweisender Vorläufer des Computers. Heute, mitten im Digitalen Zeitalter, wissen wir, wie weit der Türke seiner Zeit voraus war. Sein Mythos ist ein schillernder Teil der Technologiegeschichte. Der Verlag über das BuchDas Geheimnis des ersten Schachcomputers der Welt Technologiegeschichte einmal anders – Tom Standages spannende Reise zu den Anfängen des »Schachcomputers« gewinnt den zweiten Platz bei der Wahl zum Wissenschaftsbuch des Jahres 2003 in der Kategorie »Unterhaltung«. Im Jahre 1769 konstruierte Wolfgang von Kempelen, ein ungarischer Hofbeamter in Wien, eine ungewöhnliche Maschine: die mechanische, uhrwerkbetriebene Holzfigur eines orientalisch aussehenden Mannes, der hinter einem Kasten saß und mit einem menschlichen Gegner Schach spielen konnte – und fast immer gewann. Kempelens Schachmaschine wurde der berühmteste Automat aller Zeiten. Er eroberte Europa und Amerika und überall zerbrachen sich die Gelehrten die Köpfe darüber, wie der geheimnisvolle »Türke« wohl funktionieren mochte. Was aus heutiger Sicht auf der Hand liegt, war zu Kempelens Zeit durchaus umstritten: Konnte der Automat tatsächlich Schach spielen oder war alles nur ein Schwindel? Steuerte Kempelen selbst den Apparat durch mechanische Vorrichtungen, Magneten oder irgendwelche Tricks? Saß im Inneren des Automaten ein Zwerg, ein Kind oder ein Mann ohne Beine? Gab es einen Spieler, der sich in einem Nebenraum oder unter dem Fußboden verbarg? Niemand konnte Kempelens Geheimnis vollständig lüften. Erst vor ein paar Jahrzehnten gelang es mit einem detailgetreuen Nachbau, den »Schachautomaten« vollständig zu erklären. Spannend wie ein Krimi rekonstruiert Tom Standage die Geschichte des »Türken«, die ein unterhaltsames Stück Technologiegeschichte ist. Das Buch macht deutlich, dass der zeitgenössische Wirbel um Kempelens Schachautomaten viele unserer modernen Debatten über den Computer und das Verhältnis von Mensch und Maschine vorwegnahm. Und heute, wo Naturwissenschaftler und Philosophen verstärkt über die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz diskutieren, fällt der kuriosen Geschichte dieses Apparats, die einige wichtige Berührungspunkte mit der zeitgleich beginnenden Entwicklung erster mechanischer Rechenmaschinen aufweist, eine gänzlich neue Bedeutung zu. Über den AutorTom Standage studierte Maschinenbau und Computerwissenschaften u.a. in Oxford. Seither hat er für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften gearbeitet. Heute ist er Wissenschaftskorrespondent des Economist und Technologie- und Medienexperte der BBC. In Deutschland erschien von ihm das Buch Die Akte Neptun (Campus 2001). Auszug aus Der Türke. von Tom Standage. Copyright © 2002. Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Rechteinhaber. Alle Rechte vorbehalten.Kapitel 2Der Türke eröffnet das Spiel Wolfgang von Kempelen war ein vielseitig talentierter Mann. Er war nicht nur außerordentlich sprachbegabt, sondern bewies sich auch als geschickter Staatsbeamter und brillanter Mechaniker und verstand es zudem, sich sehr geschickt in Szene zu setzen. Schon die erste Vorführung seines Schachautomaten am Wiener Hof gestaltete er als regelrechtes Schauspiel , wie sie dann mit kleinen Abwandlungen das Publikum über Jahrzehnte in ihren Bann schlagen sollte.Zu dem ausgewählten Personenkreis, vor dem der Automat im Frühjahr 1770 seine erste Vorstellung gab, zählte auch die Kaiserin selbst. Sicherlich hatten viele der Anwesenden sechs Monate zuvor Pelletiers Zaubervorstellung gesehen, nach der Kempelen seine gewagte Ankündigung gemacht hatte, und warteten nun darauf, dass er sich bis auf die Knochen blamieren würde. Als Maria Theresia das Zeichen zum Beginn gab, schob Kempelen seinen Automaten aus einem Nebenraum nach vorne, damit das Publikum ihn gut in Augenschein nehmen konnte. Hinter einem hölzernen Kasten saß die lebensgroße Figur eines aus Holz geschnitzten Mannes, der mit seinem Turban, seinem mit Hermelin verbrämten Kaftan und seinen weiten Hosen wie ein orientalischer Magier aussah. Die Wahl des Kostüms entsprach der Mode der Zeit. Der türkische Stil mit seiner reizvollen Verbindung von Eleganz und Exotik war äußerst populär in Wien, wo man mit Vorliebe türkischen Kaffee schlürfte, seine Diener türkisch ausstaffierte und auch der Musik mit Trommeln und Zymbeln gerne eine orientalische Note gab. Doch war die türkische Tracht der hölzernen Figur mehr als nur modisch, sie suggerierte auch die Kenntnis des Schachspiels, das irgendwann zwischen dem 8. und dem 11. Jahrhundert aus Persien nach Europa gekommen war. Der Kasten, hinter dem die Figur saß, war etwa 1,20 Meter lang, 85 Zentimeter tief und 90 Zentimeter hoch und stand auf vier Messingrollen, die es erlaubten, ihn samt der sitzenden Figur nach Belieben herumzuschieben, zu drehen und dem Publikum von allen Seiten zu zeigen. Die Vorderseite des Kastens war mit drei gleich großen Türen versehen, unter denen sich eine breite Schublade befand. Die hölzerne Figur ließ ihren rechten Arm ausgestreckt auf dem Kasten ruhen, ihr Blick war fest auf ein dort angebrachtes großes Schachbrett gerichtet. In der linken Hand hielt sie eine lange türkische Pfeife, als hätte sie gerade eben noch geraucht. Kempelen trat vor und verkündete, er habe eine Maschine gebaut, wie es sie bisher noch nie gegeben habe: einen automatischen Schachspieler. Ein skeptisches Murmeln lief durch den Saal. Bevor er ihn in Aktion vorführen werde, erklärte Kempelen, könne man das Innere begutachten. Daraufhin zog er ein Bund Schlüssel aus seiner Tasche und öffnete die linke Tür an der Vorderseite des Kastens. Damit gab er den Blick auf einen komplizierten Mechanismus aus dicht gepackten Rädchen, Nocken, Gestängen und anderen Uhrwerksbestandteilen preis, unter denen besonders eine große horizontale Walze auffiel, aus der kleine Stiftchen herausragten, wie man das von Spieluhren kannte. Während das Publikum die Mechanik in Augenschein nahm, trat Kempelen auf die Rückseite des Kastens. Hier öffnete er ein weiteres Türchen, das sich direkt hinter dem Mechanismus befand, und hielt eine brennende Kerze, deren flackernder Schein durch das Räderwerk hindurch zu sehen war. Nachdem er den Zuschauern auf diese Weise bewiesen hatte, dass man durch den Kasten hindurchsehen konnte, schloss Kempelen die hintere Tür wieder zu. Als nächstes zog Kempelen die breite Schublade an der Vorderseite des Kastens heraus, um ihr einen Satz roter und weißer, aus Elfenbein geschnitzter Schachfiguren zu entnehmen, die er auf den Deckel des Kastens stellte. Darauf schloss er die beiden verbleibenden Türen auf der Vorderseite auf und gewährte Einblick in die Hauptabteilung des Kastens, die beinahe zwei Drittel seines Innenraums einnahm. Darin befand sich ein rotes Kissen, ein kleines hölzernes Kästchen und ein Brett mit goldenen Buchstaben. Kempelen legte diese Gegenstände auf ein Tischchen neben dem Automaten und ließ die Tür geöffnet, damit die Zuschauer das Hauptabteil genau in Augenschein nehmen konnten. Es war mit dunklem Tuch ausgeschlagen und beinahe leer, abgesehen von einigen metallenen Rädchen und Zylindern und zwei von links nach rechts verlaufenden, an Quadranten erinnernden Messinggestängen.
Verfasser*innenangabe:
Tom Standage
Jahr:
2002
Verlag:
Frankfurt am Main [u.a.], Campus-Verl.
Aufsätze:
Zu diesem Aufsatz wechseln
opens in new tab
Diesen Link in neuem Tab öffnen
Mehr...
Systematik:
Suche nach dieser Systematik
NT.AG
Suche nach diesem Interessenskreis
ISBN:
3-593-36677-0
Beschreibung:
223 S. : Ill., graph. Darst.
Suche nach dieser Beteiligten Person
Originaltitel:
The Turk <dt.>
Mediengruppe:
Buch