„Möge sein Bildnis bleiben heute und immerdar im Herzen Österreichs!“ erhoffte sich Kurt Schuschnigg nach dem gewaltsamen Tod seines Vorgängers Engelbert Dollfuß im Juli 1934. 80 Jahre später nimmt Dollfuß in der Tat weiterhin einen besonderen, wenngleich stets umstrittenen Platz in Österreichs kulturellem Gedächtnis ein. Lucile Dreidemy begibt sich auf eine Spurensuche nach dem mythischen Nachleben jenes Mannes, der 1933/34 schrittweise die österreichische Demokratie beseitigte und seitdem das österreichische Geschichtsbewusstsein spaltet. Gestützt auf Theorien und Methoden der Mythen- und Biographieforschung sowie der Diskursanalyse untersucht die Autorin die Entstehung und Entwicklung des Dollfuß-Mythos im Laufe der letzten 80 Jahre, analysiert dessen verschiedene mediale Ausdrucksformen und fragt nach den Akteuren der Mythenbildung sowie deren politischen Interessen. (Verlagstext)
/ AUS DEM INHALT: / / /
Einleitung 13
Dollfuß, Zankapfel des österreichischen Geschichtsbewusstseins 13
Positionierung und Begriffsklärung 15
Theoretische Grundlagen 17
Mechanismen der Mythisierung und Funktionalität des Mythos 17
Zum Konzept einer Biographie des Posthumen 21
Methodische Vorgehensweise 24
Der Mythos als diskursives Phänomen 24
Die vielen Medien des Mythos 26
Gliederung und Korpus 28
IVom Ableben zum Nachleben 35
Der Tod 35
Putsch und Mord im Auftrag Hitlers? 36
Das Rätsel um den zweiten Schuss 39
Die Exhumierung 41
Von Seipel zu Dollfuß: Beschwörung einer politischen Genealogie 43
Die "Dollfuß-Straße": Aushängeschild und Scheideweg der
österreichischen Innenpolitik 45
"Du bist für uns nicht tot" 50
IIDer Staatskult zwischen Politik und Religion 61
Die Assoziierung mit Christus 61
Dollfuß und der Marienkult 66
Dollfuß und der HlEngelbert 67
Die Dollfuß-Kirche auf der Hohen Wand -
das religiöse Nationaldenkmal der VF 72
Der Weg zur Seligsprechung 74
Der Gedenkakt als patriotischer Bekenntnisakt 77
Der "Volkstrauertag" als propagandistisches Konstrukt 77
Ein Kult für die Jugend 84
Die Reaktionen der jüdischen und evangelischen Glaubensgemeinschaften:
Zwischen Zustimmung und Kritik 87
Sakralisierung im Dienste der Politik 89
IIIDie Dollfuß-Hagiographik: Schriftliche Kanonisierung 91
Ideologische und stilistische Merkmale dieser "Hymnenliteratur" 92
Von Dollfuß' Selbstinszenierung zu seiner posthumen Repräsentation -
Die Topoi der Hagiographik 97
Der Sohn der Scholle 98
Der Mensch und Held 100
Der Soldat und Kämpfer 102
Ein Führer mit menschlichem Antlitz 107
Der Retter des Vaterlandes 114
Der "bessere" deutsche Bruder 115
Der Ritter Gottes 118
Rezeption, Wirksamkeit und Forschungsrelevanz
der Dollfuß-Hagiographik 121
IVDer Denkmalboom - Dollfuß' steinernes Nachleben 123
Die Beteiligung der Bevölkerung 124
Der lange Weg zum "Nationaldenkmal" der VF 127
Monumental oder karitativ? 129
Vom Forum zur Führerschule 132
Das zweite Teilprojekt: Das Dollfuß-Denkmal am Ballhausplatz 140
Die Einweihung des "doppelten Nationaldenkmals" 143
Das Haus der Vaterländischen Front 144
Die Höhenstraßen als Materialisierung der ideologischen Dollfuß-Straße 146
Lokale und skurrile Beispiele eines ausufernden Denkmalwahns 148
Gedenkpolitik im Feuer der Kritik 151
VDer Dollfuß-Kult im Spannungsfeld der
deutsch-österreichischen Konkurrenzpolitik 155
Der strategische Versöhnungskurs der nationalsozialistischen Diplomatie..157
Das Juliabkommen als Höhepunkt der "Dollfuß-Straße"
der Versöhnung 160
Die internationale Rezeption des Juliabkommens 163
Der "Volkstrauertag" 1936 zwischen Versöhnung und Widerstand 166
Vom Juliabkommen bis zum "Anschluss": Mit Dollfuß in die Defensive 169
Vom Staatskult zum "Anschluss" 177
VIDollfuß' Nachleben im Nationalsozialismus
und im Zweiten Weltkrieg 179
Zwiespältiger Umgang der Nationalsozialisten mit
Juliputsch und Dollfuß-Kult 179
Ansätze eines Gegenkults vor 1938 179
Die offizielle Umdeutung des Juliputsches 1938: Symbole und Praktiken .184
Künstler und Intellektuelle des Staatskults im Dienste des neuen Regimes 193
Rehabilitierung der Juliputschisten und Schauprozess gegen Schuschnigg -
zwei kontroverse Fragen 196
Fasching 1939: "Großkampftage im Vergnügen" 199
Sondervorkehrungen gegenüber Alwine Dollfuß 201
Der Dollfuß-Kult in Widerstand und Exil 1938-1945 207
Subversive Formen des Gedenkens 208
Der Platz Dollfuß' im konservativen Exildiskurs 209
Vom konservativen Dollfuß-Mythos zur Moskauer Deklaration:
Der Sieg des "ersten Opfers" 213
VIIDollfuß im politischen Diskurs der Zweiten Republik:
Zwischen Tabuisierung, Konfrontation und Kompromissen 217
Die Zeit der Großkoalition: Zwischen offizieller Versöhnungspolitik
und antagonistischer Lageridentität 218
Großkoalitionäre Tabus und Kompromisse 218
Die ÖVP zwischen Dollfuß-Kurs und Dollfuß-Kult 223
Das Dollfuß-Bild der SPO: Zwischen Distanz und Dämonisierung 229
Das Gedenkjahr 1964 im Zeichen des großkoalitionären Motivs
der geteilten Schuld 233
Die "Reform" des Kults unter Josef Klaus 236
"Vergeben, aber nicht vergessen!" - Dollfuß-Kompromiss und
Dollfuß-Dilemma der Regierungen Kreisky 238
Das Gedenkjahr 1984 - Letzter Höhepunkt der Auseinandersetzung
mit dem Dollfuß/Schuschnigg-Regime 243
Die Ära Schüssel und die neue Blüte des Kults 245
Rückkehr der Großkoalition, Bruch und Kontinuität des
Dollfuß-Kompromisses 248
Der langsame Abschied von Dollfuß aus dem Bundeskanzleramt 248
Die Grünen: Störenfried der großkoalitionären Dollfuß-Geschichtspolitik 250
Das Dollfuß-Bild im Parlament: Letzte geschichtspolitische Kampflinie?252
Ein Mythos zwischen den politischen Fronten 255
VIIIVon der ursprünglichen Hagiographik
zur modernen Apologetik 257
Die österreichische Dollfuß-Biographik im Schatten der
Koalitionsgeschichtsschreibung 258
Hagiographische Kontinuität aus dem Ausland 264
Verehrung à la française 264
Gordon Brook-Shepherd: "Neutrales" Sprachrohr der Dollfuß-Verehrung 266
Moderner Revisionismus unter dem Vorwand der Wissenschaftlichkeit 270
Durchbruch einer "Entdämonisierungswissenschaft" 276
Jüngste apologetische Offensive aus dem
katholisch-traditionalistischen Lager 285
Techniken der modernen Apologetik 288
IXDollfuß' Platz in der österreichischen
Erinnerungslandschaft seit 1945 291
Altes und Neues aus dem Bereich der Dollfuß-Denkmalpolitik 291
Die Wiederbelebung der Dollfuß-Kirche auf der Hohen Wand 291
Die Gestaltung neuer Erinnerungszeichen 293
Der Umgang mit weiterbestehenden Denkmälern:
Umgestalten, ergänzen oder entfernen? 296
Das Dollfuß-Museum in Texing 303
Entstehungsgeschichte des Museums 304
Eine Gedenkstätte über den Umweg eines Museums 307
Dollfuß im Museum: Ansprüche, Realität, Vision 310
Conclusio 313
Quellen- und Literaturverzeichnis 321
Abbildungsverzeichnis 349
Dank 353
Anhang 355
Abkürzungsverzeichnis 355
Orts- und Namensverzeichnis 357