Im Leben von Flüchtlingen bedeutet erlittene Folter eine einschneidende Zäsur. Die während der Folter erfahrene Machtlosigkeit kann zu tiefgreifenden psychischen Veränderungen führen, die das gewohnte Leben, seine Werthaltungen und Einstellungen in Frage stellen. Unter Folter erlittene Traumata wirken somit weit über die Dauer der unmittelbar lebensbedrohlichen Ereignisse hinaus. Hat ein Opfer von Gewalt auf verschlungenen und idR gefährlichen Fluchtwegen endlich Österreich erreicht, findet es sich erneut in einer - nicht nur rechtlich - unsicheren Situation wieder. Dieses Buch ist das Ergebnis einer Studie, in deren Rahmen die Situation von Flüchtlingen im österreichischen Asylverfahren anhand von Beispielen in 14 Einzelfällen aus psychotherapeutischer und rechtswissenschaftlicher Sicht untersucht wurde.
In psychotherapeutischer Hinsicht liegt der Fokus auf den Auswirkungen des Asylverfahrens auf die Situation der Betroffenen sowie umgekehrt, den Konsequenzen von Traumatisierung und Psychotherapie auf das Asylverfahren. Die rechtswissenschaftliche Perspektive widmet sich vor allem den Themen der Identifizierung der Menschen als Opfer von Gewalt im Asylverfahren, dem Dublin-Verfahren und der Prüfung der Glaubwürdigkeit der Asylsuchenden. Darüber hinaus werden auch der Zugang von Flüchtlingen zu medizinischer, psychologischer und psychotherapeutischer Betreuung im Aufnahmeland Österreich und die Rolle des Weltstrafrechts- und Weltzivilrechtsprinzips erörtert.
/ AUS DEM INHALT: / / /
Vorwort der Herausgeberinnen 3
Abkürzungsverzeichnis 13
I Einleitung 17
A Hintergrund und Ziel der Studie 17
B Überblick über die Studie 18
C Terminologie: "Opfer von Gewalt", "Folterüberlebende",
"Traumatisierung" 19
1 "Opfer von Gewalt" und "Folterüberlebende" 19
a Psychotherapeutischer Aspekt 19
b Rechtlicher Aspekt 21
2 "Traumatisierung" 26
a Psychotherapeutischer Aspekt 26
b Rechtlicher Aspekt 30
3 Abschließende Bemerkungen 31
D Methodik 32
1 Fallstudien 32
a Erhebung und Auswahl 32
b Erhebung des Asylaktes und Interviews mit den
Rechtsvertreterinnen 35
c Auswertung 35
2 Qualitätssicherung: Wissenschaftlicher Beirat 36
3 Methode - psychotherapeutischer Aspekt 36
a Interviews mit den Psychotherapeutinnen bzw mit der
Psychologin 36
b Inhalte des Interviewleitfadens/Fragenkatalogs 37
c Interviewtechnik und Auswertung 39
d Psychotherapeutische Einzelfallanalysen 39
4 Methode - rechtswissenschaftlicher Aspekt 40
a Analysestandard 40
b Analyse der Fallstudien sowie der rechtlichen
Rahmenbedingungen in Österreich 41
c Qualitative Interviews 41
II Psychotherapeutische Fallanalysen 43
A Einleitung 43
B Prämissen 44
1 Sequentielle Traumatisierung 44
2 Angst über Staatsgrenzen hinweg 45
3 Schuld zwingt zum Schweigen 46
4 Scham zwingt zum Schweigen 46
Inhaltsverzeichnis
5 Posttraumatische Überflutung 47
6 Erinnerung und Amnesie 47
7 Die Fortsetzung des Traumas im Asylverfahren 48
8 Kann Psychotherapie helfen? 48
C Herr A - Flucht oder ein hollywoodreifer Actionfilm? 49
1 Befundlage und Asylverfahren 50
2 Zur Dynamik des Asylverfahrens: Die Furcht, zu verraten oder
verraten zu werden 51
3 Abschließende Betrachtung 56
4 Verfahrensschritte und Befundlage 57
D Herr B - "Dieses Nichtswürdigkeitsgefühl" 58
1 Befundlage und Asylverfahren 58
2 Zur Dynamik des Asylverfahrens: Die Beschwerden (...) können
"gutachterlich absolut nicht nachvollzogen werden" 59
3 Abschließende Betrachtung 64
4 Verfahrensschritte und Befundlage 66
E Herr E - "Geschlecht: unbekannt" 66
1 Befundlage und Asylverfahren 67
2 Zur Dynamik des Asylverfahrens: Themenwechsel,
wenn die Rede auf sexuelle Folter kommt 68
3 Fall E: Abschließende Betrachtung 72
4 Verfahrensschritte und Befundlage 73
F Herr F - "der Antragsteller fällt plötzlich vom Stuhl" 73
1 Befundlage und Asylverfahren 74
2 Zur Dynamik des Asylverfahrens: Verwirrung, die auf
alle Beteiligten übergreift 76
3 Abschließende Betrachtung 79
4 Verfahrensschritte und Befundlage 80
G Frau G und ihre Tochter - "[...] da die Symptombildungen
eine Wunsch- und Verwöhnungswelt ermöglichen" 81
1 Befundlage und Asylverfahren 83
2 Zur Dynamik des Asylverfahrens: Einander widersprechende
Gutachten 85
3 Abschließende Betrachtung 90
4 Verfahrensschritte und Befundlage (Frau G) 91
5 Verfahrensschritte und Befundlage (Frau Gs Tochter) 92
H Herr H - "Auch geht sein Einwand, er habe [...] nicht
schreiben gelernt, ins Leere [...]" 92
1 Befundlage und Asylverfahren 94
2 Zur Dynamik des Asylverfahrens 96
3 Abschließende Betrachtung 101
4 Verfahrensschritte und Befundlage 102
I Herr AB - "Ich stamme aus einem unteren Clan [...]" 102
1 Befundlage und Asylverfahren 103
Inhaltsverzeichnis
2 Zur Dynamik des Asylverfahrens: Genaueste Überprüfung
der Identität 104
3 Abschließende Betrachtung 107
4 Verfahrensschritte und Befundlage 108
J Herr AC - Aus Sicht der Behörde aufgrund hoher
Schulden festgehalten 108
1 Befundlage und Asylverfahren 109
2 Zur Dynamik des Asylverfahrens: "Aufgrund welches Delikts
waren sie in dem Gefängnis?" 111
3 Abschließende Betrachtung 115
4 Verfahrensschritte und Befundlage 116
K Frau AD - "Wissen Sie wie viele es [...] waren [...]?
Damals waren Sie nämlich nicht ohnmächtig" 116
1 Befundlage und Asylverfahren 118
2 Zur Dynamik des Asylverfahrens: "[...] ein beinahe
ununterbrochenes Weinen, Übelkeit, Hyperventilation [...]" 118
3 Abschließende Betrachtung 124
4 Verfahrensschritte und Befundlage 125
L Herr K - "[...] Was spricht der Psychologe?" 126
1 Befundlage und Asylverfahren 128
2 Zur Dynamik des Asylverfahrens: Kampf gegen Windmühlen 128
3 Abschließende Betrachtung 135
4 Verfahrensschritte und Befundlage 136
M Frau L - "[...] die BF zieht ihre Beschwerde zu
Spruchpunkt I zurück" 137
1 Befundlage und Asylverfahren 138
2 Zur Dynamik des Asylverfahrens: Vermeidung, Angst und
Zurückziehen der Beschwerde 140
3 Abschließende Betrachtung 144
4 Verfahrensschritte und Befundlage 145
N Herr M - "[...] meine Psychologin hat mir die Augen geöffnet" 146
1 Befundlage und Asylverfahren 146
2 Zur Dynamik des Asylverfahrens: "[...] die ganze Geschichte
will ich jetzt eigentlich nicht erzählen, weil die ist lange." 149 -
3 Abschließende Betrachtung 153
4 Verfahrensschritte und Befundlage 154
0 Frau N - "Zahl dir deine Reise nach Auschwitz bitte selber"..154
1 Befundlage und Asylverfahren 155
2 Zur Dynamik des Asylverfahrens: "[...] damit wird jetzt alles,
was Sie sagen, unglaubwürdig" 157
3 Abschließende Betrachtung 163
4 Verfahrensschritte und Befundlage 164
P Frau X - "Von dort kann man aber problemlos Leute entführen."165
1 Befundlage und Asylverfahren 165
Inhaltsverzeichnis
2 Zur Dynamik des Asylverfahrens: "Mutter Courage", die
für ihre Kinder lebt 167
3 Abschließende Betrachtung 171
4 Verfahrensschritte und Befundlage 172
III Opfer von Gewalt im österreichischen
Asylverfahren 173
A Ein Überblick über das Asylverfahren und seine
Anwendung auf Opfer von Gewalt 173
1 Asylverfahren als Herausforderung 173
2 Asylsuchende als vulnerable Gruppe 175
3 Rechtliche Rahmenbedingungen des Asylverfahrens
und die Berücksichtigung von Opfer von Gewalt 176
a Völkerrechtliche Rahmenbedingungen 176
b EU-Recht 178
c Österreichisches Recht 179
B Das Zulassungsverfahren 180
1 Zweck des Zulassungsverfahrens 180
a Dublin Ii-Verordnung: Übersicht 181
2 Ablauf und Inhalt des Zulassungsverfahrens 183
3 Das Zulassungsverfahren für Opfer von Gewalt 186
a Herausforderungen für Opfer von Gewalt im
Zulassungsverfahren 186
b Sonderbestimmungen für Opfer von Gewalt 189
i § 24b AsylG 1997 idF Novelle 2003: Opfer von
Folter oder durch Fluchtgrund traumatisiert 189
ii § 30 AsylG 2005: Belastungsabhängige
krankheitswertige psychische Störung, die an
Verfahrensinteressenwahrnehmung hindert 191
iii Überblick Fallstudien - Zulassungsverfahren 197
4 Selbsteintrittspflicht im Dublin-Verfahren bei Opfern von Gewalt?.199
a Zu Selbsteintrittsrecht bzw -pflicht unter dem Aspekt
des Art 3 EMRK 199
i Gesundheitsrisiken in Zusammenschau mit der
Versorgungssituation im Dublin-Zielstaat 200
ii Beweislastverteilung 202
b Überblick über die Fallstudien (Anträge ab 01.01.2006):
Selbsteintrittsrecht bzw -pflicht Österreichs? 203
c Zusammenfassung 208
C Identifizierung von Opfern von Gewalt 209
1 Einleitung 209
a Standards bezüglich Identifizierung 209
b Die Situation in Österreich 213
2 Anforderungen an Entscheidungsfinderinnen im Asylverfahren
im Hinblick auf die Identifizierung von Opfern von Gewalt 217
a Erkennen von Folter/Gewalt 217
Inhaltsverzeichnis
b Gesprächsführung mit Opfern von Gewalt 218
3 Die Rolle von Expertinnenmeinungen bei der Identifizierung
von Opfern von Gewalt 221
a Einleitung / Überblick 221
b Verpflichtendes Einholen von Expertinnenmeinungen 224
c Qualitätsstandards für Expertinnenberichte 225
d Überblick über die Fallstudien 227
i Überblick über die im zugelassenen Verfahren von
Asylbehörden eingeholten Sachverständigengutachten ..227
ii Unzureichende Ermittlungen im Hinblick auf
Identifizierung 233
iii Zusammenfassung 236
D Entscheidungsfindung der Asylbehörden im Hinblick auf
Opfer von Gewalt: Prüfung der Flüchtlingseigenschaft
(Fokus: Prüfung der Glaubwürdigkeit) 237
1 Wer ist ein Flüchtling? 237
2 Die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr bei
Opfern von Gewalt 240
a Glaubhaftmachung als herabgesetztes Beweismaß 240
b "Beweislastverteilung" 241
c Die Rolle der Glaubwürdigkeit bei der Glaubhaftmachung 244
i Allgemeine Anforderungen an ein glaubwürdiges
Vorbringen 246
d Die Prüfung der Glaubwürdigkeit bei Opfern von Gewalt 251
i Notwendige Adaption der Anforderungen an ein
glaubwürdiges Vorbringen bei Opfern von Gewalt 253
ii Die Einbeziehung medizinischer, psychologischer,
psychotherapeutischer Expertinnenmeinungen in die
Beurteilung der Glaubwürdigkeit 255
3 Überblick über die Fallstudien (Fokus: Prüfung der
Glaubwürdigkeit) 259
a Es gibt Feststellungen zum Vorliegen psychischer
Erkrankungen, aber keine Berücksichtigung in der
Glaubwürdigkeitsprüfung 260
b Indirekte Anerkennung psychischer Probleme, aber keine
Berücksichtigung in der Glaubwürdigkeitsprüfung 264
c Es gibt Feststellungen zum NichtVorliegen einer
psychischen Krankheit (bzw Asylbehörde geht
indirekt vom NichtVorliegen aus) 270
d Es fehlen Feststellungen zum psychischen
Gesundheitszustand 278
e Es gibt Feststellungen zum Foltervorbringen 282
f Es fehlen Feststellungen zum Foltervorbringen 284
g Zusammenfassung 287
E Entscheidungsfindung der Asylbehörden im Hinblick
auf Opfer von Gewalt: Prüfung des subsidiären Schutzes 288
1 Allgemeines zum subsidiären Schutz 288
Inhaltsverzeichnis
2 Die Rolle psychischer Erkrankungen bei der Gewährung
subsidiären Schutzes 289
a Art 3 EMRK und aufenthaltsbeendende Maßnahmen 289
b Wann sind aufenthaltsbeendende Maßnahmen in
Bezug auf psychisch kranke Personen verboten? 291
3 Überblick über die Fallstudien 295
a Die Asylbehörde geht (wenn auch indirekt) vom
Vorliegen psychischer Erkrankungen aus 296
b Es gibt Feststellungen zum NichtVorliegen einer
psychischen Krankheit 302
c Es fehlen Feststellungen zum psychischen
Gesundheitszustand 307
d Zusammenfassung 311
IV Zugang zu Gesundheitsversorgung und
Wiedergutmachung 313
A Zugang von Opfern von Gewalt im Asylverfahren zum
Gesundheitssystem in Österreich 313
1 Grundversorgung - Anspruchsberechtigung und
Ausschlussgründe 313
a Asylsuchende 313
b Anerkannte Konventionsflüchtlinge 314
c Subsidiär Schutzberechtigte 315
d Ausschluss von der Grundversorgung 315
2 Leistungsumfang der Grundversorgung 317
a Gesundheitliche Leistungen für Opfer von Folter und
Gewalt im Rahmen der Grundversorgung 318
b Hintertüren - Einrichtungen für Nicht-Versicherte 321
c Zugangsbarrieren trotz Versicherung und Lösungsansätze 322
i Barrieren speziell für Opfer von Folter und Gewalt 323
d Gesundheitsleistungen speziell für Folterüberlebende:
die Behandlungszentren in Österreich 324
e Zugang zum Gesundheitssystem für Klientinnen von
Hemayat 330
f Ein Blick über den Tellerrand - Versorgung von
Folterüberlebenden international 331
g Schlussfolgerungen 333
B Zugang von Opfern von Gewalt im Asylverfahren zu
Wiedergutmachung und die Relevanz des
Weltstrafrechtsprinzips 334
1 Zugang zu Wiedergutmachung 334
a Völkerrechtliche Vorgaben 334
b Situation in Österreich 337
2 Die Relevanz des Weltstrafrechtsprinzips für Opfer von
Gewalt im Asylverfahren 338
a Völkerrechtliche Vorgaben 338
Inhaltsverzeichnis
b Situation in Österreich 339
i Die Pönalisierung von Folter in Österreich 340
V Schlussfolgerungen und Empfehlungen 341
A Psychotherapeutische Perspektive 341
B Rechtliche Perspektive 351
Literaturverzeichnis 359
Anhang: Codierungsfragen 367
Die Autorinnen 371
(GS.BMO)