Die Wissenschaftsfreiheit gilt vielerorts als bedroht von Moralismus, Denkverboten und Cancel Culture. Aber ist moralische Empörung angesichts bestimmter wissenschaftlicher Positionen – etwa zu Genetik und IQ, zu Geschlecht und Biologie oder zu Behinderung und Infantizid – immer ein ideologischer, sachfremder Versuch der Bevormundung? Oder gibt es legitime moralische Kritik an wissenschaftlichen Thesen? Der Philosoph Tim Henning geht diesen Fragen in seinem hochaktuellen und originellen Buch auf den Grund.
Einerseits verteidigt er eine strenge Auffassung von Wissenschaftsfreiheit: Die Wissenschaft ist ein autonomer Bereich und sollte als solcher auch respektiert werden. Sie sollte sich allein an den Kriterien orientieren, die sich aus der immanenten Natur einer systematischen Wahrheitssuche ergeben – an Daten und Belegen, an wahr oder falsch. Andererseits betont er die Möglichkeit einer nichtmoralistischen moralischen Kritik. Ansatzpunkte hierfür finden sich im Inneren des vermeintlich reinen Bereichs wissenschaftlicher Kriterien, wie neuere Analysen aus Erkenntnistheorie und Sprachphilosophie zeigen. Es sind die praktischen Kosten eines Irrtums, die sich als erkenntnistheoretisch und als moralisch relevant erweisen. Ob eine These wissenschaftlich haltbar ist, kann daher durchaus eine moralische Frage sein.
INHALT
Vorwort..........................................................................9
i. Einleitung ................................................................... 14
I. Konflikte
2. Wie sind Konflikte von Wissenschaft und Moral
überhaupt möglich? ..............................................31
3. Steine des Anstoßes .................................................. 43
4. Der Konflikt mit dem Ideal der Gleichheit .... 54
II. Was ist - oft -falsch an moralischer Kritik?
5. Der moralistische Fehlschluss ................................ 67
6. Wissenschaftsfreiheit und das »Eigeninteresse der
Vernunft«................................................................. 83
7. Der Evidentialismus ............................................... 101
8. Die Autonomie der Wissenschaft..........................109
III. Wider das Reinheitsgebot in der Epistemologie
9. Die Idee und einiges aus ihrer Vorgeschichte ... 117
10. Belege und der Standard für Rechtfertigung . . . 125
II. Pragmatic Encroachment......................................... 137
12. Aber funktioniert Wissenschaft nicht ganz anders? 149
IV. Wessen Kosten?
13. Wessen Kosten? ........................................................157
14. Soziale Metaepistemologie und
soziale Kosten ....................................................164
15. Irrtumskosten in der innerwissenschaftlichen
Diskussion................................................................. 173
V. Eine interne Konzeption moralischer Kritik
16. Von epistemischen zu moralischen Defiziten . . . 179
17. Moral Encroachment - direkt oder indirekt? . . . 188
18. Fazit: Wie moralische Kritik mit der Autonomie
der Wissenschaft vereinbar ist ......................... 196
VI. Anwendung
19. Der erste Anwendungsfall:
Hautfarbe, Genetik und IQ.................................... 201
20. Der zweite Anwendungsfall:
Biologie und Geschlecht......................................... 224
21. Der dritte Anwendungsfall:
Behinderung und Infantizid..............................258
VII. Praktische Konsequenzen
22. Wem wir in der Wissenschaft ein Forum
verweigern dürfen.............................................. 273
Schluss ............................................................................. 283
Appendix I: Kosten und epistemische Standards -
eine formale Analyse.........................................284
Appendix II: Einige Überlegungen zur Präzisierung
des Prinzips Stakeholder..................................297
Literatur...........................................................................301
Sachregister......................................................................314
Personenregister...............................................................317