Selbsttötungsgedanken sind häufige Begleitphänomene schwerer, unheilbarer körperlicher und psychischer Erkrankungen. Die Mehrheit der Suizide wird von Menschen mit psychischen Erkrankungen vollzogen. Während es bei unheilbaren körperlichen Erkrankungen heute einen breiten Zuspruch gibt, wenn das Prinzip «Leidverminderung durch Lebensverkürzung» in Form des künstlich herbei geführten Todes zur Anwendung kommt, ist dies bei psychischen Erkrankungen umstritten. Der Wunsch nach assisitertem Suizid von psychisch Erkrankten scheint schwerer greifbar. Er kann Ausdruck einer akuten psychischen Leidensphase sein, die jedoch medikamentös überwindbar ist. Er kann aber auch Ausdruck eines Wunsches sein, der auf Erfahrung durch wiederkehrende psychische Belastungsphasen beruht. Aber ist es nicht diskriminierend, wenn man den einen dies ermöglicht, den anderen nicht?
Dieses Fachbuch greift dazu die Herausforderungen und Kontroversen der Debatte auf. Dazu werden in diesem Band die interdisziplinären relevanten Fragestellungen aus Medizin incl. der Palliativmedizin, Psychologie, Ethik, Theologie sowie die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen für Deutschland und die Schweiz beschrieben und diskutiert. Aus jedem Fachgebiet werden mit anschaulichen Beispielen aus der Praxis hinreichend Qualitätsmerkmale für den Umgang mit dem Wunsch nach dem assistierten Suizid von psychisch Kranken benannt, damit letztlich der Leser seine eigene Haltung dazu reflektieren und entwickeln kann.
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort ................... 11
Ein nicht klassisches Vorwort ................................................................... 15
1 Der Wunsch nach assistiertem Suizid. Ethische Herausforderungen
eines polarisierenden Themas ................................................ 21
Christian Kind
1.1 Entwicklung der ärztlichen Suizidhilfe in der Schweiz ...................... 22
1.2 Die Haltung der Schweizer Ärzteschaft ............................................. 24
1.3 Ethische Erwägungen ........................................................................ 26
1.4 Verhältnis von Patientenwohl und selbstbestimmtem Willen............ TI
1.5 Kann Suizidhilfe dem Wohl des Patienten dienen? ........................... 28
1.6 Lässt sich Suizidhilfe mit den Zielen der Medizin vereinbaren? .... 29
1.7 Gesellschaftliche Konsequenzen des Angebots ärztlicher Suizidhilfe 30
1.8 Wann ist der Patientenwille selbstbestimmt? ................................... 32
1.9 Regelung durch die neuen Richtlinien der SAMW .............................. 33
2 Unerträgliches Leiden und autonome Entscheidung.
Warum Menschen mit psychischen Erkrankungen das Recht
auf Sterbehilfe nicht verwehrt werden darf ..................................... 37
Dirk Richter
2.1 Einleitung............................................................................................ 38
2.2 Sozialer Wandel und die Veränderung des Leidens in der Gesellschaft . 42
2.3 Sterbehilfe in der individualisierten Gesellschaft .............................. 44
2.4 Die Frage der Rationalität des Sterbewunsches ...................... 46
2.5 Sterbehilfe für Menschen mit psychischen Erkrankungen
aus sozialpsychiatrischer Perspektive ............................................... 50
2.6 Die Rolle von Fachpersonen bei der Sterbehilfe für Menschen
mit psychischen Erkrankungen ......................................................... 53
2.7 Schlussfolgerungen und weitere Herausforderungen......................... 55
3 Der Wunsch nach einem beschleunigten Ende.
Umgang mit dem Sterbewunsch in der Palliative Care ........... 63
Daniel Büche
3.1 Einleitung............................................................................................ 64
3.2 Normalisierung des Sterbewunsches ............................................... 64
3.2.1 Auseinandersetzung mit dem Tod ........................................ 64
3.2.2 Angst,Tod und Sterben ......................................................... 65
3.2.3 Suizidgedanken, Suizidwünsche, Suizid .............................. 66
3.3 Differenzierung des Sterbewunsches -
der Wunsch nach einem beschleunigten Ende................................... 70
3.4 Ansprechen von Suizidgedanken bei schwerer Erkrankung
und im Sterben .................................................................................. 74
3.5 Veränderbare Ursachen ...................................................................... 77
3.5.1 Körperliche, psychische, soziale und spirituelle Symptome . 77
3.5.2 Sich als Last fühlen .............................................................. 78
3.6 Respekt vordem Patienten und seinen Entscheidungen.................... 79
3.7 Beziehung halten ................................................................................ 81
3.8 Der Wandelbarkeit des Sterbewunsches eine Chance geben............ 82
3.9 Verhindern von Not - Entscheidungen am Lebensende .................... 83
3.10 Zusammenfassung............................................................................. 84
4 Die juristischen und politischen Rahmenbedingungen
des assistierten Suizids .......................................................... 89
Ueli Nef
4.1 Einleitung............................................................................................ 90
4.2 Begrifflichkeiten.................................................................................. 91
4.3 Vorgaben in der Europäischen Menschenrechtskonvention............... 93
4.4 Die Rechtslage in der Schweiz ............................................................ 95
4.4.1 Verfassungsrecht................................................................... 95
4.4.2 Gesetzesrecht: Strafrechtliche und
gesundheitsrechtliche Normen............................................. 96
4.4.3 Strafrecht ............................................................................. 97
4.4.4 Gesundheitsrecht ................................................................. 103
4.4.5 Assistierter Suizid bei psychischen Erkrankungen
durch Ärztinnen und Ärzte .................................................... 106
4.5 Ein Blick über die Grenze ................................................................... 110
4.5.1 Deutschland........................................................................... 110
4.5.2 Österreich ............................................................................. 111
4.5.3 Niederlande ........................................................................... 112
4.5.4 Belgien .................................................................................. 112
4.6 Zusammenfassung und Bewertung.................................................... 112
5 Alt und lebensmüde? Suizidalität im Alter........................................ 117
Bernadette Ruhwinkel
5.1 Statistischer Überblick zur Situation bei älteren Menschen ............ 118
5.2 Die juristische Seite............................................................................. 120
5.3 Fragen zum assistierten Suizid für ältere Menschen ......................... 121
5.3.1 Depressionen im Alter............................................................ 122
5.3.2 Der Sterbewunsch älterer Menschen ................................... 124
5.4 Das Sterben ändert sich...................................................................... 126
5.4.1 Die Begleitung von älteren Menschen mit psychischen
Erkrankungen und dem Wunsch nach assistiertem Suizid . . 126
5.4.2 Prägung durch negative Altersbilder..................................... 128
5.4.3 Das Leben abrunden.............................................................. 129
5.4.4 Wird das Leben bis zum normalen Sterben zur Ausnahme? . 130
5.5 Über den Tod und das Sterben sprechen............................................. 131
5.6 Vergessen wir die Angehörigen nicht .................................................. 133
6 Ambivalenzen beim Wunsch nach assistiertem Suizid.
Kritische Anmerkungen zur ethisch-religiösen Argumentation
in einer kontroversen Debatte................................................... 139
Andre Böhning
6.1 Die konkrete Frage nach der Würde.................................................... 142
6.1.1 Die Normativität und Intention von Würde ........................... 142
6.1.2 Geschichte und Bedeutung eines normativen
Verständnisses von Würde.................................................... 144
6.1.3 Inhärente Würde theologisch begründet .............................. 145
6.1.4 Das individuelle Verständnis von Würde .............................. 148
6.1.5 Ein Paradox der individuellen Würde..................................... 149
6.1.6 Neuorientierung angesichts von Krankheit und Tod ............ 152
6.1.7 Würdeempfinden und Selbstwert ............................. 153
6.1.8 Würde aus der Mitte der Gesellschaft................................... 154
6.1.9 Assistierter Suizid - christlich oder unchristlich?................. 156
6.2 Autonomie - ihr Paradox und seine Auflösung ................................... 158
6.2.1 Bedeutung und Definition von Autonomie ........................... 158
6.2.2 Autonomie und assistierter Suizid ........................................ 161
6.2.3 Rollenverteilungen im konkreten Fall ................................... 162
6.3 Fazit .................................................................................................... 163
7 Die Bestimmung der Urteilsfähigkeit bei psychischer Erkrankung . 167
Christiane Thomas-Hund
7.1 Einleitung anhand eines konkreten Patientenfalls ........................... 168
7.2 Grundsätzliches.................................................................................. 170
7.3 Was bedeutet Urteilsfähigkeit? ......................................................... 172
7.4 Der Beurteilungsprozess ................................................................... 172
7.4.1 Besondere Beurteilungssituationen ...................................... 174
7.5 U-Doc-Formular zur Evaluation und Dokumentation
der Urteilsfähigkeit............................................................................. 178
8 Assistierter Suizid in der psychiatrisch-psychotherapeutischen
Behandlung-ein (klinisch undethisch) komplexes Fallbeispiel 185
Ulrich Hemmeter
8.1 Einleitung............................................................................................ 186
8.2 Biografie des Patienten ...................................................................... 186
8.3 Krankheitsanamnese ........................................................................ 187
8.4 Psychische Erkrankungen................................................................... 187
8.4.1 Aktuelle Krankheitsentwicklung seit2018 ............................. 189
8.4.2 Verlauf des stationären Aufenthalts nach Kontakt mit Exit . . 194
8.4.3 Ambulante Weiterbehandlung ab September 2018 ............ 197
8.5 Diskussion .......................................................................................... 199
8.5.1 Klinische und klinisch-ethische Problematik des Falls .... 199
8.5.2 Ethische Problematik des Wunschs nach Sterbehilfe
bei psychiatrischer Erkrankung............................................. 201
8.5.3 Bewertung der Urteilsfähigkeit anhand der Richtlinien
der SAMW ............................................................................. 202
9 Assistierter Suizid für psychisch Erkrankte. Die strafrechtliche
Perspektive in Deutschland ..................................................... 207
Rudolf Rengier
9.1 Abgrenzung zwischen strafbarer Fremdtötung und straflosem
assistiertem Suizid .................................................................... 208
9.2 Konstellationen des assistierten Suizids durch aktives Tun und
durch Unterlassen ........................... 209
9.2.1 AktivesTun............................................................................. 209
9.2.2 Unterlassen ........................................................................... 209
9.3 Suizidkonstellationen in den Bereichen der indirekten und
passiven Sterbehilfe ........................................................................... 209
9.3.1 Indirekte Sterbehilfe.............................................................. 210
9.3.2 Passive Sterbehilfe einschließlich Sterbehilfe durch
(mutmaßlich) einverständlichen Behandlungsabbruch .... 210
9.4 Das Kriterium der Freiverantwortlichkeit .......................................... 211
9.4.1 Rechtsprechung des BGH .................................................... 211
9.4.2 Bundesverfassungsgericht.................................................... 212
9.4.3 Literatur ................................................................................ 213
9.4.4 Spezielle Situation bei psychisch Erkrankten ...................... 213
9.5 Bedeutung und Reichweite von Patientenverfügungen...................... 214
9.5.1 Die wesentlichen gesetzlichen Vorschriften ......................... 214
9.5.2 Folgerungen ........................................................................... 215
9.6 Die Verfassungswidrigkeit des § 217 dStGB........................................ 218
9.7 Fallbeispiele ....................................................................................... 219
9.8 Noch ein Blick in die Zukunft.............................................................. 222
Die Autorinnen und Autoren........................................................................ 223
Sachwortverzeichnis .................................................................................. 225