Eine Bewertung der 'Zehn kleinen Negerlein' (deutschsprachige Version) bedarf erst des Blicks auf die 'Ten Little Niggers'/'Nigger Boys' und deren historisch-gesellschaftliche Entstehungsbedingungen. In den englischsprachigen Ausgaben fungierten die Afro-Amerikaner als 'Niggers/Nigger Boys' von Anfang als Objekte bewusster, gewollter Herabsetzung, Beleidigung und Demütigung. Die gezielte Entwürdigung der Afro-Amerikaner leitet sich aus den Machtverschiebungen zwischen Süd- und Nordstaaten, als Folge der Bürgerkriegssituation her. Sie ist zwei sozio-ökonomischen Zielen geschuldet: (1) Politisch diente die Diskriminierung der Schwarzen in 'Dixieland' der Sicherung politischer 'weißer' Dominanz gegenüber schwarzen Bevölkerungsmehrheiten, die es in vielen Regionen gab. (2) Ökonomisch sicherte sie die Fortsetzung der Plantagenökonomie auf der Basis schwarzer Arbeit. In den Nordstaaten wollte man hingegen die Bürgerkriegswunden rasch geheilt wissen, auch auf Kosten der Menschenrechte der schwarzen Bevölkerung. Mittel einer legalen Diskriminierung waren die Jim-Crow-Gesetze, basierend auf dem Grundsatz 'Separate but Equal'. Auch nach Abschaffung der Sklaverei wurde durch die Gesetzgebung eine Weiterexistenz einer auf rassistischer Grundlage aufgebauten Sozialordnung sichergestellt - nun in 'modernisierter' Form. In der deutschen Sprache fehlt eine dem 'Nigger' entsprechende eigene Bezeichnung. 'Neger' und 'Negerlein' galten gemäß dem analogen amerikanischen Wortgebrauch 'Negro' bis in die 1980er Jahre nicht als anstößig. Daher konnten die 'kleinen Neger/ein' hierzulande als harmloses Kinderbuch gelten. Allerdings darf nicht ausgeblendet werden, dass sich Vorurteile und Herabsetzungen, für die in den USA der Begriff der 'Niggers' vorgesehen war, sich bei im Begriff des 'Negers' wieder fanden - man denke nur an die 'Negermusik, -tänze und - kunst' der Nazis. Die besonders inhumanen deutschen Ausgaben der ersten Jahrzehnte waren eher ein Instrument der damals dominanten autoritären Erziehungsvorstellungen denn kolonialistischer Zielsetzungen. Die biologisch begründete Herabsetzung der Afrikaner, von Hegel und Kant begonnen, über Wilhelm Busch, Kinder- und Reiseliteratur fortgesetzt, sorgte für ein Binnenklima, das den politischen und wirtschaftlichen Interessen der Kolonialvereine und -interessengruppen entgegenkam.
"Die in der Forschungsarbeit anfangs festgestellte Situation, dass zur Geschichte der „Zehn kleinen Negerlein“ erstaunlicherweise wenig Quellenmaterialien vorliegen, hat Wulf Schmidt-Wulffen in bemerkenswerter und akribischer Weise umschifft, indem er zum Sucher und beinahe zum Kriminalisten beim Aufspüren von den ursprünglichen, in den USA entstandenen „Ten Little Niggers“ und nach Europa und Deutschland eingewanderten „Zehn kleinen Negerlein“ wurde. Es ist sein Verdienst, die bisher unkritische (oder tabuisierte?) Benennung der Geschichte als „harmlose“ Kindererzählung mit seiner Analyse in Frage zu stellen und anzumahnen, „dass eine Diskussion um Rassismus alles andere als antiquiert oder genug ist“. Schmidt-Wulffen bietet mit seinem Buch die Chance, in der Familie, im Kindergarten, der Schule und in der Erwachsenenbildung ein aufgeklärtes und humanes Bewusstsein zu schaffen, dass wir Menschen in EINER WELT leben und „frei und gleich an Würde und Rechten geboren sind“, wie es in der von den Vereinten Nationen 1948 proklamierten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Artikel 1 heißt. Der Autor bietet auch an, seine Sammlung in Ausstellungen zu zeigen und über seine Forschungsarbeit zu referieren und zu diskutieren."
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/ AUS DEM INHALT: / / /
Vorwort
Einleitung: Die "Zehn kleinen Negerlein":
Verpönt - verschwunden - dennoch aktuell 12
I DIE AKTUELLE SITUATION:
POLITICAL CORRECTNESS - VERBOTE -
SELBSTZENSUR 19
1. Der Streit um einen Krimi: Von "Ten Little Niggers"
zu "Und dann gab's keine mehr" 20
1.1 Rassismus und Bewusstsein 24
1.2 "Rasse" zwischen biologischer Wirklichkeit
und sozialer Konstruktion 31
1.2.1 Die anthropologisch-historische Sicht 33
1.2.2 Die molekular-genetische Sicht 33
1.2.3 Was lernen unsere Kinder? Zum Rassenbegriff in Schulbüchern 35
II. USA: ZUR HERKUNFT
DER "TEN LITTLE NIGGERS" 41
2. Sklaverei und Rassismus - eine historische Rekonstruktion 42
2.1 Zur Herkunft des Rassismus 47
2.2 Das (Zerr)Bild des Schwarzen in amerikanischen Kinderbüchern 52
2.3 Die "Ten Little Niggers" - eher Stereotypen als menschliche
Wesen 59
2.4 Der gesellschaftspolitische Hintergrund 62
2.5 Was sich hinter Reimen und Bildern verbirgt 65
2.6 Aus Kindern werden Männer, werden Kinder... 75
III VON DEN USA N A C H EUROPA 89
3. Kolonialismus und Rassismus - eine historische 90
Rekonstruktion
3.1 Das (Zerr)Bild des Schwarzen in europäischen Kinderbüchern 94
3.2 Kinderbücher in Europa 96
3.2.1 England 96
3.2.2 Frankreich 98
3.2.3 Deutschland 102
3.3 Die "Zehn kleinen Negerlein" 117
3.4 Streifzug durch 100 Jahre der, ,Zehn kleinen Negerlein" 120
3.5 Die "Zehn kleinen Negerlein": Wertungen und Bewertungen 130
3.6 "Neger" in der Werbung - mehr als nur ein Nebenschauplatz 131
3.7 Die "Negerlein" als Erziehungsliteratur: Die "Schwarze
Pädagogik" 141
IV ZURÜCK IN DIE USA: ANTIRASSISTISCHE SENSIBILISIERUNGSVERSUCHE
149
4. Die kritisch-aufklärerische Gegenperspektive und ihre Grenzen 150
4.1 Abschwächungen, Umformulierungen, Verfremdungen 150
4.2 Der europäische Einfluss auf die USA 152
4.3 Von "Kleinen Negerlein" zu "Kleinen Affen" 156
4.4 Von den "Little Nigger Boys" zu den "Little Boys" 159
DIE "NEGERLEIN" ALS BILDUNGSANLASS 165
5.
5.1
5.2
5.3
VI.
VII.
Jugendbewusstsein und die "Kleinen Negerlein" heute
Deutsche Schüler und die "Kleinen Negerlein" - eine Umfrage
Ghanaische Schüler und die "Little Niggers"
Diskriminierung und Rassismus bewusst machen - Anregungen
für Erzieherinnen, Lehrerinnen, Eltern (Kindertagesstätte, Grundschule,
Sekundarstufe)
Resümee
"Little Niggers/Kleine Negerlein"-Editionen
Zitierte Literatur
Farbtafeln
166
170
174
176
183
195
221
233