In tagebuchartigen Aufzeichnungen beschreibt die Autorin ihren Weg aus dem inneren Chaos und ihren fast übermenschlichen Kampf gegen Sucht, Hoffnungslosligkeit und tiefe Depression.
Ihrer auf das Wesentliche konzentrierten und doch bildhaften Sprache kann sich der Leser nicht verschließen. Betroffene werden sich in vielen dier beschriebenen Erfahrungen wiederfinden und Mut gewinnen; Angehörige und andere Menschen, die mit Borderline-Persönlichkeiten leben und arbeiten, ein Verständnis für deren Verhalten entwickeln.
/ AUS DEM INHALT: / / /
Das Buch „Ich heiße Berit und habe eine Borderline Störung“ vermittelt dem Leser, wie auch der Untertitel „Protokoll einer Selbstfindung“ aussagt, in Form von Tagebuchaufzeichnungen die Erfahrungen und Erlebnisse einer Betroffenen.
In fünf Teilen beschreibt die Autorin unter einem Pseudonym den Weg aus ihrer eigenen Ratlosigkeit heraus und das Unverständnis ihrem eigenen Verhalten gegenüber - Verzweiflung, Wutausbrüchen, Tabletten- und Esssucht, Beziehungschaos und Depressionen. Berit ringt um Verständnis und Annahme ihrer Vergangenheit und Gegenwart. Sie lernt, mit ihre Persönlichkeitsstörung umzugehen und damit zu leben.
Die fünf Teile des Buches stehen für fünf Stationen auf ihrem Weg zur Selbstfindung.
Im ersten Teil erlebt der Leser Berits verzweifeltes Pendeln zwischen immer wiederkehrenden Entlassungen und Aufenthalten in verschiedenen psychiatrischen Kliniken und Abteilungen, wo ihr nicht geholfen werden kann. Berit unternimmt einen Selbstmordversuch mit Tabletten und landet auf der geschlossenen Station eines Krankenhauses. Erst nach diesen Erfahrungen lernt Berit einen Therapeuten kennen, der die notwendige Geduld und das Verständnis für sie aufbringt.
Der zweite Teil schildert Berits Beziehung zu dem Therapeuten und ihre ersten Schritte auf dem Weg zur Heilung. Ebenso erhalten wir Einblicke in ihre Familiengeschichte und früheste Kindheit. Sie nimmt anfänglich nur dem Therapeuten zu liebe an den Meetings teil und empfindet Abneigung gegenüber dem 12-Schritte-Programm: „Ich kann mit diesem Zwölf-Schritte-Programm wenig anfangen, es ist meinem eigenen Denken fremd und scheint mir für mich nicht nachvollziehbar zu sein. Trotzdem habe ich von Anfang an das Gefühl, dass dieses Programm mir helfen würde, wenn ich davon etwas begreifen könnte.“ (35-36)
Doch eben während eines der Meetings geschieht, was der Therapeut früher einmal als „Gnade“ bezeichnet hat: „In diesem Augenblick der Vernichtung begreift etwas in mir, dass ich keine andere Chance mehr habe, als vor allem, was ist, zu kapitulieren. Dass ich endlich aufhören muss, gegen alles anzukämpfen, und es annehmen muss, wie es ist. Und dass ich gar keine Bedingungen mehr stellen kann. /…/ Und ich begreife dann auch, dass es gar nicht um die Entscheidung Tod oder Leben gehen muss. Dass es Tod und Leben gibt und ich mich jeden Tag neu entscheiden kann – immer nur für vierundzwanzig Stunden.“ (43-44)
Im dritten Teil macht Berit nach der Entlassung aus der Klinik ihre ersten Erfahrungen mit Arbeit und Leben nach der einschneidenden Psychotherapie. Sie verzichtet auf Medikamente. „Die Arbeit hilft mir, eine Struktur in mein äußeres Leben zu bekommen. Die Meetings mit dem Zwölf-Schritte-Programm helfen mir, in mich selbst etwas Struktur zu bekommen. Und der Gedanke, dass ich alles „nur für heute“ tun muss, ist der Boden, auf dem ich Tag für Tag weitergehe.“ (50)
Sie geht ihrer Persönlichkeitsstörung mit Hilfe von katathymem Bild-Erleben und Familienaufstellungen immer mehr auf den Grund und besucht erneut ein Zwölf-Schritte-Meeting. Trotz Berits Bemühungen holt ihre Vergangenheit sie immer wieder ein und dann stürzt sie „innerlich manchmal ziemlich tief ab“, ohne dass sie weiß, warum. „Dann helfen mir die Sätze, die er (der Therapeut – K.W) gesagt hat, und die Bilder, die er gebraucht hat. Und auch das Zwölf-Schritte-Programm. Wenn ich wieder aus der Dunkelheit herausgefunden habe, fühle ich mich wie Phoenix, der Vogel aus der antiken Sage, der sich selbst verbrannt hat und aus der Asche neu aufgestiegen ist.“ (54).
Während eines neuerlichen Aufenthaltes in der Klinik arbeitet Berit weiterhin mit der Unterstützung des Therapeuten ihre Vergangenheit auf. Sie fängt an zu schreiben „gegen den Schmerz und gegen die Angst. Wie soll ich mit dem allen ins reine kommen?“ (64). Berit kommt zu folgender Erkenntnis: „Wenn ich dieses Mal die Klinik verlasse, muss ich lernen, mit dem zu leben, was meine Seele zertrümmert hat.“ (65)
Für mich ist das Spannendste und der interessanteste Teil des Buches, neben den authentischen Beschreibungen des Gefühlslebens der Autorin, die Darstellung ihrer Beziehung zum Therapeuten. Das Buch beweist nochmals eindrucksvoll, dass eine tragfähige Beziehung zwischen dem Klienten und Therapeuten der Schlüssel zur Heilung ist.
„Ohne ihn hätte ich mich wahrscheinlich umgebracht. Oder wäre immer wieder in der Psychiatrie gelandet. /…/ Er ist mir mit liebevollem Akzeptieren meiner Möglichkeiten entgegengekommen und war trotz der offensichtlichen Aussichtslosigkeit bereit, seine eigene Angst, zu scheitern, hinten an zu stellen. Dadurch habe ich langsam zu mir finden können. /… Und sein Mitgehen und seine Einfühlsamkeit haben mir auch über die Augenblicke hinweggeholfen, in denen ich aufgeben wollte. /…/ In Zeiten des Zweifelns und der Angst höre ich ihn manchmal sagen: „Es ist alles o.k. so, wie es ist.“ „ (87)
Das Buch widmet Berit dem Therapeuten „/…/ in Dankbarkeit, dass Du da warst, als ich mit meinem Leben nicht mehr weiter wusste. Und dass Du durch meine Verrücktheit hindurch an mich geglaubt hast.“ (92)
Laut Experten nimmt die Zahl der Menschen, die unter verschiedenen Persönlichkeitsstörungen (u.a. Borderline) leiden, ständig zu. Diese Entwicklung hat sicherlich einiges mit Entwicklungen unserer Zeit und Gesellschaft zu tun.
Das Buch beinhaltet ein Vorwort und einen Nachtrag des Psychotherapeuten Heinz-Peter Röhr zur Borderline Störung, zum sexuellen Missbrauch, zur Kindesmisshandlung und zum Zwölf-Schritte-Programm, um dem Leser zu helfen, die Aufzeichnungen von Berit Anders besser einordnen zu können.
Ich schließe mich den Worten von Heinz-Peter Röhr an, dass das Buch als eine Art Bibliotherapie für die Betroffenen und als ein authentischer Erlebnisbericht für die Fachleute sehr zu empfehlen ist. Selbstverständlich hilft er auch den Angehörigen die Besonderheiten dieser Persönlichkeitsstörung und das Gefühlserleben der Betroffenen besser nachzuvollziehen und zu verstehen.
Es ist ein mutmachendes Buch über die Möglichkeiten, mit Hilfe von Psychotherapie mit einer Borderline Störung leben zu lernen.
hpe.at - Dr. Kerttu Wagner