Die Brüder Kouachi, die in der Redaktion von Charlie Hebdo zwölf Menschen töteten, waren keine von weither eingeflogenen Glaubenskrieger, sondern kamen aus dem 10. Arrondissement. Was trieb sie, die einer säkular geprägten Familie entstammten, zum Äußersten? Anders als jene islamophoben Verschwörungstheorien, die uns in der trügerischen Gewißheit wiegen wollen, der Feind komme von außen, hält Farhad Khosrokhavar auf diese komplexen Fragen keine einfache Antworten bereit. Ein Jahr vor den Anschlägen von Paris geschrieben, geht seine bahnbrechende Studie den Gründen nach, aus denen zumal junge Männer sich radikalisieren und im Namen der einen oder anderen Ideologie schließlich zur Tat schreiten. Sein Augenmerk gilt namentlich jener sozialen Desintegration, die den Übergang zur Gewalt erst möglich macht. Die Gewalttat ist allzuoft das letzte und verweifelte Mittel in einem aussichtslos gewordenen Kampf um Anerkennung. Indem es Angst und Schrecken verbreitet, fordert das gedemütigte Subjekt, das sich jeder Zukunft beraubt sieht, noch einmal den verweigerten Respekt, dessen Zerrbild die finstere Reputation des Gewalttäters ist.
"Eine informative Publikation mit soziologischer Perspektive, welche einen guten Einblick in Radikalisierungsprozesse bietet, um das Phänomen in seiner Komplexität und Widersprüchlichkeit besser zu verstehen. Dahinter steht die Motivation über das differenzierte, soziologisch eingebettete Verstehen auch Präventions- und Interventionsperspektiven zu entwickeln, um sich damit auch „gegen die immense Gefahr“ (Leggewie 2016, S.11), welche von der Radikalisierung im westlichen Milieu ausgeht, zur Wehr zu setzen. Dabei setzt die Gesellschaftsanalyse Khosrokhavars am Gefühl der Deklassierung und Ausgeschlossenheit der zweiten und dritten Generation der Bevölkerung vorab maghrebinischer Herkunft der Banlieues an, welche nach Kompensation der empfundenen Ohnmacht, der Wut und des Hasses – auch über einen negativen Heldenstatus – rufen."
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/ AUS DEM INHALT: / / /
Vorwort von Claus Leggewie 7
Einleitung: Wer radikalisiert sich? 13
Bedeutung und Tragweite des Begriffs
der Radikalisierung 29
Ein Minderheitenphänomen 32
Der Begriff der Radikalisierung
in den Sozialwissenschaften 36
Geschichte der Radikalisierung 57
Die "Assassinen" - Anfange der Radikalisierung 57
Der anarchistische Terror im 19· und
beginnenden 20Jahrhundert 58
Die linksextreme Gewalt der 1970er und
1980er Jahre: Rote Brigaden?Rote Armee
Fraktion und Action directe 61
Die Entwicklungsphasen von al-Qaida
und das Wiedererstarken des Dschihadismus
mit den arabischen Revolutionen 68
Islamistische Radikalisierung in der muslimischen Welt 73
Schiitische und sunnitische Radikalisierung:
Unterschiede und Gemeinsamkeiten 77
Radikalisierte Frauen - eine extreme Minderheit 81
Die dschihadistische Intelligenz und ihre Globalisierung 87
Das Netz 97
Wer finanziert die Radikalisierung? 105
Orte der Radikalisierung 107
Die zweideutige Rolle der Frustration
im Prozess der Radikalisierung 111
Das europäische Modell der Radikalisierung .···················.·· 115
White Trash 117
Der radikale Islamist 125
Der viktimisierte Jugendliche ? 32
Der Wille, in der Mittelschicht aufzugehen,
und seine Folgen für die Ausgeschlossenen 136
Die Kriminalität der Hass und seine
Sakralisierung 139
Der sektiererische Weg 141
Die heilige Gewalt und der Status
des negativen Helden 144
Von den alten zu den neuen Radikalisierten 153
Der Typus des introvertierten Dschihadisten 158
Die Selbstradikdisierung des Einzelnen 161
Vom Präradikalisierten zum Hyperradikalisierten 162
Radikalisierungstypen 168
Die Rolle des Fundamentalismus
im Prozess der Radikalisierung 175
Der Salafismus: Eine neue Ausprägung
des Sektierertums im Islam 180
Radikalisierung im Gefängnis 183
Frustration im Gefängnis 188
Die muslimischen Gefängnisgeistlichen
und ihre schwierige Mittlerrolle 191
Die Radikalisierung in der Haft und ihre Akteure 193
Ein neuer Radikalismus auf dem Vormarsch ··············.··.······ 197
Radikalisierung versus Deradikalisierung 205
Weiblicher Dschihadismus im heutigen Europa ·················· 207
Schlusswort 213
Literatur 219