Als Einführung und erste Übersicht äußerst empfehlenswert. - Neue Zürcher Zeitung
Das Opfer des Ruhms
Vor 400 Jahren wurde Giordano Bruno hingerichtet
Von Paul Richard Blum
Giordano Bruno wurde am 17. Februar 1600 in Rom auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Mit diesem Tag - und tragischerweise erst mit diesem Tag - begann sein Ruhm als Ketzer, als Märtyrer der Geistesfreiheit und als "fahrender Ritter seiner eigenen Philosophie", wie ihn der französische Skeptiker Pierre Bayle rund hundert Jahre später nannte.
Der Ex-Dominikaner Bruno, der 1548 in Nola bei Neapel geboren worden war, hatte seit seiner Flucht aus dem Kloster in Neapel überall die Trommel in eigener Sache gerührt, ohne dass ihm je mehr als zwei Jahre einer Anstellung gegönnt waren. An der Akademie in Genf, der Universität in Toulouse, beim Adel von Paris, London, Prag, Wolfenbüttel oder Venedig - spätestens nach zwei Jahren durfte er seine Manuskripte zusammenraffen und nach neuen Chancen suchen. Oft hielt er sich noch kürzer: An den Universitäten in Oxford und Paris zettelte er gleich zum Entrée Skandale an, indem er die herrschende aristotelische Schule frontal angriff. Von Kaiser Rudolph II. in Prag erhielt er ein Jahresgehalt von dreihundert Talern, jedoch ohne Verpflichtung, es auch abzusitzen. Die brave lutherische Universität Tübingen bot ihm vier Taler, damit er verschwinde.
Im Laufe von zehn Jahren, 1582-1591, hatte der Philosoph rund zwei Dutzend lateinische Werke auf den Markt gebracht, darunter zuletzt eine umfangreiche Trilogie in Versen über "Das Minimum", "Die Monade" und "Das Unendliche" sowie eine Komödie und sechs philosophische Dialoge in italienischer Sprache. Und doch blieb er, wie er sich in der Komödie "Der Kerzenmacher" titulierte, ein "Akademiker ohne Akademie, genannt das Ekel". Dann der Prozess.
MOTIVE, GRÜNDE
Über die Motive, warum der venezianische Patrizier Giovanni Mocenigo seinen Hauslehrer der Inquisition auslieferte, kann man nur spekulieren. Offiziell war es Enttäuschung über den Unterricht, etwas mehr praktische Magie hätte es sein sollen, aber der Philosoph interessierte sich mehr für die spekulativen Geheimnisse der Natur. Von einer "Frauengeschichte" weiss man nichts, ein allzu enges konfessionelles Gewissen des Adligen wird es wohl auch nicht gewesen sein. Jedenfalls nahm das Verfahren seinen fast acht Jahre dauernden bürokratischen Gang.
Über die kirchenrechtlichen Gründe für die Verurteilung gibt es nicht viel zu rätseln. Denn Brunos Philosophie des unendlichen Einen, das sich als Gott in der Welt manifestiert, das in der Wechselhaftigkeit der Erscheinungen verwirklicht und zugleich verborgen ist - diese Philosophie stellt den christlichen, zumal katholischen dreifaltigen Gott in Frage und macht es zweifelhaft, ob es überhaupt eine individuelle verantwortliche Seele des Menschen gibt.
Von diesen Fragen handeln die Thesen, die dem Angeklagten zum Abschwören vorgehalten wurden. Er aber berief sich auf die Neuheit seiner Philosophie, die daher von der bisherigen Rechtsprechung der Inquisition nicht betroffen sein könne. Fatal jedoch, dass zum Heiligen Offizium, der Untersuchungsbehörde, auch der Jesuit und Kardinal Robert Bellarmin gehörte. Denn als Theologe der Gegenreformation hatte er gerade in drei grossen Bänden nachgewiesen, dass sämtliche Ketzereien der noch relativ jungen protestantischen Reformation blosse Wiederholungen alter Irrtümer, d. h. ebenso alt wie falsch, seien. Und das traf auch den Dominikaner. Seine Leugnung, überhaupt etwas Häretisches gesagt zu haben, kam dem Straftatbestand der Hartnäckigkeit (pertinacia) gleich.
Unter den Zeugen der Urteilsverkündung und der Hinrichtung (durch den "weltlichen Arm") auf dem Campo de' Fiori in Rom war auch ein deutscher Konvertit, Kaspar Schoppe. Er schrieb den Wortlaut des Urteils mit und überlieferte dadurch, lange bevor sich Historiker für den Fall interessierten, Einzelheiten des Verfahrens. Denn es war (und ist) noch immer üblich, die wesentlichen Etappen eines Inquisitionsverfahrens, auch die Anklagepunkte, die nicht urteilsentscheidend waren, zu rekapitulieren. Und damit begann der Ruhm des Opfers.
Schoppius hatte den Ketzer als "Monster" vorführen wollen: kein Vergleich mit den akzeptablen Lutheranern aus Deutschland, die in Rom nichts zu fürchten hätten. Aber der Bericht zog von nun an durch die Geistesgeschichte, angefangen bei dem ungarischen Calvinisten Péter Alvinczi, der mit der Greuelgeschichte vom Scheiterhaufen Brunos dem Gegenreformator Kardinal Péter Pázmány eins auswischen wollte. Der Ruhm des geopferten Philosophen machte sein Werk zu einem Opfer für den Ruhm. Am markantesten wurde das, als man Bruno 1889 ein Denkmal auf dem Campo de' Fiori errichtete.
Es war der Höhepunkt einer allgemeinen "Brunomanie" im Spannungsfeld zwischen italienisch-nationalem Antiklerikalismus und kirchlich-triumphalistischer Neuscholastik. Das Denkmal erhielt die Inschrift: "A Giordano Bruno - Il secolo da lui divinato - Qui ove il rogo arse" (Für Giordano Bruno - Das von ihm geweissagte Jahrhundert - Hier, wo der Scheiterhaufen loderte). Über den teleologischen und autistischen Optimismus, dass gerade die Spätaufklärer des 19. Jahrhunderts Vollender des Brunianismus seien, kann man mehr als ein weiteres Jahrhundert später weise lächeln.
Um so mehr fällt die Symbolik des Aktes auf. Absichtlich am Ort des Martyriums errichtete man das Denkmal und entsprach damit urchristlicher Tradition, auf den Gräbern der Glaubenszeugen Altäre zu errichten. Die weihevolle Sprache enthüllt mehr Tradition als wissenschaftlichen Fortschritt. Im Moment des Mementos wird das Monument zum Heiligtum. Der Fortschritt gerät überzeitlich, wenn nicht gar übernatürlich. Die Teleologie der Brunianischen Philosophie wandelt sich zur Eschatologie des "geweissagten Jahrhunderts", und Leben, Werk und Denken des Philosophen werden - rückwirkend - zum Opfer geheiligt.
Das philosophische Problem des Denkmals liegt in der komplexen Struktur des Opfers. Opfer verweist auf Transzendenz. Zwar ist diese bei den Brunianern in die Zeit hinaus buchstäblich säkularisiert, trotzdem wird der Tod von 1600 mit einer ihn übersteigenden Bedeutung beladen. Zugleich müssen gewissermassen natürliche Bindungen zwischen Verehrern und Opfer bestehen, es muss sozusagen ein Minimum an Rauch geben. Mit der Monumentalisierung Brunos feierte man nicht nur die leuchtende Gegenwart, sondern auch die Vergangenheit, die der Gegenwart das Licht verlieh. Gerade dadurch heiligte man nicht nur den Ort der Hinrichtung, sondern die Hinrichtung selbst und das Opfer. So wie das katholische Messopfer Tod und Auferstehung Christi feiert, indem es sie wiederholt, so wurde hier der Märtyrer geheiligt, indem man Brunos Zukunft, die Gegenwart der Verehrer und ihre Vergangenheit im Denkmal vereinte. Das Medium dieser Vereinigung war Brunos Philosophie.
GEDÄCHTNISORT
An dieser Stelle darf man sich erinnern, dass ein solches Denkmal die Eigenschaften eines Gedächtnisortes trägt, über die Bruno selbst ausführlich theoretisiert hatte. In den Bildern der Gedächtniskunst sind komplexe Beziehungen zwischen der Konstruktion von Bildern und dem, worauf sie verweisen können, in eins zusammengefasst. Ihre Wahrheit liegt in der virtuellen Entfaltung solcher Beziehungen und zugleich in ihrer undurchsichtigen Komplikation (Zusammenfaltung) in eben diesem Bild. Das Opfer, zumal das religiöse, ist bei Bruno ein häufig verwendetes Beispiel dafür.
So heisst es etwa in einer symboltheoretischen Schrift, der Hahn werde der Nacht geopfert, weil er als Sonnentier der Finsternis entgegengesetzt sei. Die Nacht erscheint als Aufopferung des Lichts, das sie in sich in der Weise des Opfers einschliesst. Das Gebet und andere Formen kultischer Verehrung haben für ihn deshalb bildtheoretische Bedeutung, weil sie auf das Ferne verweisen, indem sie es in das Bild des Gestus herabrufen. Das Streben über sich hinaus, das etwa in der Hoffnung eine rein emotionale Bewegung bleibt, wird in der Opferung ins Bild gebannt.
Kultische Orte sind für Bruno der Modellfall. In seiner zu Lebzeiten unveröffentlichten Schrift "Über die Prinzipien der Dinge" sammelt er Fälle, in denen antike Weise ihre Produktivität an bestimmte Orte banden, darunter auch der Berg Sinai für den Gesetzgeber Moses. Seine religionsphilosophische Interpretation weist nun darauf hin, dass der jüdische Gott einen einzigen Ort zu seiner Verehrung bestimmt habe, Analoges gelte für die römischen, griechischen und ägyptischen Götter (also alle). Indem Bruno die "Lokalreligion" (religio locorum) als göttliches Gebot darstellt, erklärt er die örtliche Bindung des Kultes zum Grundcharakter jeder Religion. Denn nun ist es nicht der Ort, der Kreativität fördert, sondern das Prinzip der Kreativität, das sich seinen Ort zur Manifestation sucht. Als Gegenbeispiel führt er Diogenes an, der keine Grabstätte habe zulassen wollen, weil ihm der Himmel als Dach, der universale Raum als Grab und die Sterne als Grablichter genügten. Die Religion entsteht oder manifestiert sich an erhabenen Orten, die sich durch Göttlichkeit von der profanen Welt abheben.
Dazu gehört auch, dass die Opfernden sich selbst im Opfer reinigen oder ent-schulden. Im kontroverstheologischen Kontext der Reformationszeit beobachtet Bruno die Manifestation des Göttlichen im Partikularen auch in der Form der religiösen Intoleranz. Denn die Verfolgung der Andersgläubigen stellt sich jeweils als gottesdienstliches Opfer dar. Die jeweilige Religion konstituiert sich sogar im Opfer des Anderen, der als Sündenbock für den eigenen Zweifel dient. Die Toleranz des Philosophen, die Bruno für sich beansprucht, verdankt sich daher letztlich dem eigenen "Capriccio" bzw. der individuellen Imaginationskraft. Typisch ist für ihn, dass das Opfern der Andersgläubigen nur der katholischen Konfession zusteht, während vor allem die Reformierten wegen der Prädestinationslehre weder das eigene noch, und erst recht nicht, das Schicksal der anderen durch einen solchen Akt ändern können. So heisst es in der religionsphilosophischen Schrift "Vertreibung der triumphierenden Bestie".
Gemeinsames Band dieser Brunoschen Theoriestücke ist die sachliche, innere Verbindung der geistigen und göttlichen mit der sichtbaren und sozialen Welt. Die kreative Phantasie des Menschen deckt die Einheit in den disparaten Bereichen und allen einzelnen Dingen und Handlungen auf. Das Opfern ist ein solcher Akt.
In der Anrufung und Herabrufung der geistigen Kräfte durch Opfer und andere Zeremonien wird der Opfernde selbst zu deren "Gefäss und Instrument" - letztlich mit dem Ziel, den höheren Mächten zu gebieten. Deshalb ist die Opferung "selbstreferentiell", denn sie richtet sich auf Jenseitiges um des Akteurs willen. Dann aber unterscheidet sie sich in der Anlage nicht von der Liebe: So wie die Liebe zum Anderen in der wesentlichen Unerfüllbarkeit der Sehnsucht besteht, so bleibt der Opferkult, solange er dauert, notwendig unvollkommen. Das Risiko der Liebe wie des Opfers besteht in Brunos "Heroischen Leidenschaften" darin, dass der Gegenstand der Verehrung vom Rauch der Lobpreisung und des Ruhms verdüstert wird, dass die Leidenschaft der Verehrung sich also selbst genügt.
Trotzdem ist nach Bruno das "Opfer des Ruhms" (sacrificio de laude) gerechtfertigt und sogar notwendig, denn nur durch Ruhm entstehen Helden wie Achill oder Odysseus. Damit ist das Opfer verinnerlicht: Der Gegenstand des Kults entsteht erst durch die kultische Absicht des Opfernden. Der Opferaltar ist das "Herz" des Verehrers. Opfernder, Opfertier, Opfer, Rauch und Verehrtes haben hier ihren gemeinsamen Ort. Eines verwandelt sich in das andere, denn auch in der Liebe und in der Erkenntnis verwandelt sich der Liebende in das Geliebte und der Erkennende in das Erkannte - "und für den heroischen Geist wenden sich alle Dinge zum Guten".
Dieser heroische Geist ist jedoch nicht irgendwer, es ist der "würdige Priester", der wahre Philosoph. Alle anderen Kulte bekommen bei Bruno eine funktionalistische, soziale und symbolische Rolle. In der schärfsten blasphemischen Stelle der "Vertreibung der triumphierenden Bestie" wird Christus in den Himmel zurückgeschickt, ausgestattet mit Brot und Wein, "um als Opferlamm und Opferer, als Priester und Tier zu dienen". Christus wird zum blossen, aber eindrucksvollen Symbol des religiösen Kultes im Sinne einer "moralischen Fabel", einer Gedächtnisstütze fürs Volk. Er drückt die Paradoxie aus, dass in der Religion Ebenen verknüpft werden müssen, die der Sache nach verschieden sind und doch nicht getrennt bleiben können: das Heilige und das Konkrete.
Nichts anderes tut aber auch die Brunianische Philosophie, denn auch sie will die Ebenen des Bildlichen, des Sinnlichen und des Metaphysischen zusammenführen. Worauf es daher ankommt, in der Religion wie in der Philosophie, ist: die falschen Propheten zu entlarven und sich selbst als den Verkünder der Wahrheit zu etablieren. Der Akt des Denkens hat dann die Struktur des Opfers. Der Philosoph, Bruno, muss sich als der Wahre erweisen, indem er den Akt des Denkens mit seiner Wahrheit identifiziert. Und so wird der Philosoph zum Denkmal seiner selbst.