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Zukunft 2022; 06

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Jahr: 2022
Zukunft 2022
Zählung: 06
Mediengruppe: Zeitschrift
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Inhalt

EDITORIAL: Ökologien erzählen / BIANCA BURGER, THOMAS BALLHAUSEN und ALESSANDRO BARBERI
 
Mit der vorliegenden Ausgabe Ökologien erzählen stellen wir den Begriff der Ökologie ganz vorsätzlich in seiner Aktualität, aber eben auch in seiner Pluralität ins Zentrum. In Zeiten, in denen die gegenwärtigen Herausforderungen einander diskursiv zu überlagern beginnen und die SIPRI-Reports von neuen Krisenformen künden, überrascht es nicht, dass Brandon Carters einleuchtendes „Doomsday Argument“ durchaus so ausgelegt wird, dass wir als Menschheit historisch betrachtet höchstwahrscheinlich näher zu unserem Ende stehen, denn zu unseren Anfängen. Aus unserer Arbeit im Sinne der ZUKUNFT war es auch deshalb geboten, den wortwörtlichen oíkos zu thematisieren, neu zu denken und zu (re-)kontextualisieren: In positiver Abgrenzung zum wortgeschichtlichen Schwesterbegriff der Ökonomie wird die Ökologie auf ihre Systeme, Ordnungen und Verhältnismäßigkeiten sowie auf intendierte bzw. eingelagerte Erzählangebote hin untersucht, um ebendiese Narrative für einen aufgeklärten politischen Diskurs zu bergen und (wieder) verhandelbar zu machen.
 
Schon die Wahl des Titels verdeutlich, dass wir mit dem Begriff der Ökologie auf Themenfelder wie gesellschaftliche Lebensbedingungen und die Auseinandersetzung mit Formen von Gemeinschaft und Umwelt abzielen, die unter dem Vorzeichen der Verantwortung zu diskutieren sind. Aus der Position des Inmitten heraus sollen neue Verhältnisse entdeckt und entworfen werden, die den schon in den 1990er-Jahren befürchteten „epochalen Winter“ (H. Padrutt) verhindern helfen sollen. In einer ethischen Dimension meint das eine Erweiterung von Kants Willensmaximen des Verhältnisses zwischen Menschen in Richtung einer politischen Relation von Mensch und Natur. Nicht zuletzt die Künste und das Theoriebündel Ecocriticism haben dahingehend deutlich gemacht, welchen Konstruktionsmechanismen unsere Umwelt- und Naturvorstellungen unterliegen. Hier kann ein Rückgriff auf politikwissenschaftliche und -theoretische Momente hilfreich sein, namentlich die Arbeiten von Jane Bennett: In ihrer bahnbrechenden Monografie Vibrant Matter fordert sie nichts weniger als eine nachhaltigere Politik auf der Grundlage eines radikalen Umdenkens des tradierten Gegensatzpaares Belebt/Unbelebt. Von der umfassenderen Berücksichtigung nichtmenschlicher Aktanten leitet sie nicht nur ein neues Selbstverständnis der Menschen in einem allumfassenden Gefüge ab, sondern auch die Einrechnung einer entsprechend erweiterten Handlungsfähigkeit der Dinge. Die insbesondere in unserer Gegenwart so berechtigte Problematisierung anthropozentrischer Perspektiven gleitet bei ihr aber nicht einfach in die Notwendigkeit einer Abschaffung des Menschen ab. Vielmehr deklariert Bennett ihre durchaus humane Perspektive auf die zu verändernden existenziellen Umstände und Bedingungen – stets mit dem Ziel vor Augen, den von ihr anhand zahlreicher Beispiele anschaulich herausgearbeiteten sogenannten „vitalen Materialismus“ theoretisch zu fassen und aus tradierten Verständnisweisen herauszulösen: Materie ist bei ihr nicht mehr passiv, verfügbar und von uns abgetrennt, sondern vielmehr aktiv, widerständig und ins Menschliche hineinverwoben.
 
Im Sinne dieses notwendigen (Um- bzw. Weiter-)Denkens haben wir die vorliegende Ausgabe der ZUKUNFT konzipiert: Eröffnet wird der Schwerpunkt von Dominik Irtenkauf, der in seinem persönlichen Essay Wo sind wir? größere Fragenkomplexe herausarbeitet und mit den Mitteln der Literatur unsere vereinbarte Wirklichkeit analysiert. Unter ständiger Rückbindung an zentrale Begriffe des Ökologischen gelingt ihm dadurch nicht nur eine feinfühlige Erschließung unserer Welt und Gegenwart, sondern auch eine erfahrungsgeleitete Reflexion über Instrumente zu einem sinnerfüllten Miteinander. Bildung, Achtsamkeit und auch Geduld lassen sich da als – durchaus anspruchsvolle – Forderungen aus seinen anregenden Überlegungen ableiten. Deutlich polyphoner nimmt sich dagegen der literarische Beitrag Stimmen von Lorena Pircher aus, die die Begrifflichkeit der Ökologie zeitlich in die Vergangenheit hin ausdehnt. Ganz im Sinne politisch-philosophischer Denker wie Furio Jesi oder literarischer Vorbilder wie Christa Wolf greift die Schriftstellerin auf mythologische Stoffe zurück, um Spannungsverhältnisse zwischen Literatur und Leben poetisch zu durchdringen. Zentrales Moment dieser Unternehmung ist, dass die dabei auf ihre Potenziale befragten Quellen und Textbestände nicht einfach reaktiviert, sondern eben auch ästhetisch bzw. politisch (zurück-)reklamiert werden: Literarisch-kulturelle Bestände wie Sagen, Märchen und eben auch Mythen sind einfach zu wichtig – und: zu gut – um sie als Verluste an ein sogenanntes „rechtes Denken“ abzuschreiben.
 
Für die aktuelle Bildstrecke konnten wir den Fotografen, Autor und Regisseur Christoph Mayr gewinnen. Während der Nächte des Lockdowns hat der Künstler seine nächste Umgebung aus einem ganz neuen Blickwinkel betrachtet und dabei Unerwartetes wie Zuversichtliches für sich entdeckt. Für seine Serie Lockdown Winter Nights wurde er im April 2022 bei den Fine Art Photography Awards in der Kategorie Night Photography ausgezeichnet. Im Interview mit ZUKUNFT-Redakteurin Hemma Prainsack offenbart Christoph Mayr, warum im Banalen solche Schönheit liegt und die Einfachheit mitunter das Schwierigste ist. Es ist ein intensiver Austausch über Tradition, die Schule des Schauens, den anhaltenden Kampf Licht gegen Dunkelheit und die wunderbare Beruhigung, die das Sammeln von Steinen bereithält. Prinzipien der Verwandlung und der Transformation bestimmen auch den Beitrag Und dann kamen die Wölfe von Lisa Brenk. Ihre Erzählung, die noch über den Literatur-Wettbewerb Der goldene Pod der literarischen Vereinigung Jung Wien ’14 ihren Weg zu uns gefunden hat, stellt auf spannungsgeladene Weise die verschwimmenden Grenzen zwischen Jägern und Gejagten, Menschen und Tieren dar. Ihr Text stellt viele für selbstverständlich angenommene Kategorien in Frage und stellt auf zweiter Ebene auch deren Konstruktionscharakter aus. Auch in Aldebaran von Thomas Ballhausen werden Konventionen und die sogenannte Normalität einer kritischen Lektüre unterzogen. In seiner von fantastischen Elementen durchzogenen Erzählung arbeitet der Autor anhand eines sensibel nachgezeichneten Zusammenbruchs eines fragwürdigen Machtsystems die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Geschichte, Historiografie und Storytelling heraus. Sein Text, in dem sich menschliche und auch völlig nicht-menschliche Dramen abspielen, steht in klarer Nähe zu Material Ecocriticism oder auch New Materialism und demonstriert die – nicht zuletzt erzählpolitisch wirksame – Option der Inkorporation theoretischer Elemente in künstlerische Praxis.

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Jahr: 2022
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