Plutarch von Chaironeia (ca. 45 – ca. 120 n.Chr.), vielseitig gebildeter und weit gereister Biograph und philosophischer Schriftsteller, zählt zu den interessantesten Gestalten seiner Zeit. Neben seinen Parallel-Viten, die bedeutende Griechen und Römer in Doppel-Portraits einander gegenüber stellen, sind eine Fülle von Schriften zu Philosophie, Politik, Religion, Kultur und Alltagsleben erhalten, die unter dem Sammeltitel Moralia überliefert wurden und heute zu den ergiebigsten und anregendsten Quellen über das Geistesleben in hellenistisch-römischer Zeit gehören.
Die Moralia Plutarchs wurden zuletzt zwischen 1828 und 1861 in 26 Heften in der Reihe „Griechische Prosaiker in neuen Übersetzungen“ vollständig ins Deutsche übertragen. Diese Übersetzung wird nun in einer zweibändigen Ausgabe erstmals wieder als ungekürzter Lesetext zugänglich gemacht. - Von den knapp 260 Schriften, die in der Antike als Werke Plutarchs galten, behandeln weit mehr als die Hälfte philosophische Themen. In einer Sammlung, die unter der modernen Bezeichnung Moralia bekannt ist, sind 78 Schriften zusammengestellt, darunter einige unechte. Den größten Teil machen Abhandlungen über Fragen der Ethik aus. Daneben stehen u. a. Schriften zur Naturphilosophie, zur Logik und Erkenntnistheorie, zur Rhetorik und zu Lehren einzelner Denker und Philosophenschulen.
Unter den religionsphilosophischen Schriften ist vor allem die Untersuchung der Osiris-Thematik aus der ägyptischen Mythologie in der Schrift Über Isis und Osiris von Bedeutung. Diese Schrift war bis zur Entzifferung der Hieroglyphen eine der Hauptquellen für die ägyptische Religion. Sie bietet eine auch weiterhin durch die ägyptischen Zeugnisse nicht ersetzte Gesamtdarstellung des Mythos von Isis und Osiris. Plutarch verfasste auch grundlegende Werke zu Fragen des Orakelwesens und zur delphischen Theologie: Über das E in Delphi, Über die erloschenen Orakel, Über die nicht mehr metrisch gebundenen Orakel der Pythia. Dabei beklagte er das Schwinden der Orakel.
Fremden Religionen stand Plutarch wohlwollend gegenüber, da er meinte, dass jedes Volk auf seine Art Gottesverehrung praktiziere. Er bekämpfte den Unglauben und den stark verbreiteten Aberglauben seiner Zeit.[26]
Von den elf politischen Schriften, die Plutarch verfasst haben soll, sind nur fünf erhalten. Hierzu gehören Über Monarchie, Demokratie und Oligarchie, An einen ungebildeten Herrscher, Soll ein Greis politisch tätig sein? und Regeln der Staatskunst. In Regeln der Staatskunst wird der Politiker ermahnt, seine Stadt zu Eintracht und Zurückhaltung anzuhalten und dadurch Eingriffe der römischen Verwaltung zu vermeiden. Außerdem rät Plutarch in den Werken Regeln der Staatskunst und Soll ein Greis politisch tätig sein? einem Bekannten aus Sardeis, sich nicht über Gebühr um ein städtisches Amt zu bemühen, jedoch entsprechende Angebote anzunehmen. Des Weiteren beurteilt er in seinem Werk Über die Gemütsruhe die Karrierechancen junger Griechen im öffentlichen Leben Roms eher kühl und distanziert.[27]
Ein weiteres Themenfeld in den Moralia sind pädagogische Texte (Über die Kindererziehung, Über das Zuhören). Die Sammlung enthält auch Schriften mit sehr persönlichem Inhalt wie die Trostschrift an die Ehefrau, die Plutarch nach dem Tod seiner Tochter verfasste. Darin nimmt er zur Rolle der Frau Stellung, wobei er der platonischen Tradition folgend für eine Erziehung ähnlich der des Mannes eintritt. Die Partnerschaft solle auf einer geistigen und sittlichen Lebensgemeinschaft gründen und nicht nur eine Nachkommenschaft hervorbringen und der Befriedigung der Geschlechtslust dienen.
Die Moralia zeigen Plutarchs besondere Verehrung für Platon, den er als den ¿Göttlichen¿[28] bezeichnet. Ihm folgte Plutarch in fast allen Lehren und teils auch in formaler Hinsicht: Die Moralia sind teilweise in Form platonischer Dialoge aufgebaut. Obwohl Plutarch Platoniker war, griff er auch Gedankengut des Peripatos und der Stoa auf. Allerdings kritisierte er die Stoa auch heftig. Die Lehre Epikurs lehnte er vollkommen ab.
Zu den rhetorischen Schriften zählt vor allem das Werk Über die Geschwätzigkeit. Zwar sind viele rhetorische Schriften Plutarchs heute verloren, doch wird sein Verhältnis zur Rhetorik aus den erhaltenen Werken deutlich.
In seinem naturphilosophischen ¿uvre setzte sich Plutarch intensiv mit der Tierwelt auseinander, etwa in der Abhandlung Welche Tiere sind vernünftiger, die Wasser- oder die Landtiere? Dabei bekannte er sich zur platonischen Seelenwanderungslehre. Er brachte zahlreiche Argumente vor, mit denen er die Intelligenz der Tiere aufzeigen wollte. Daraus ergaben sich für ihn Konsequenzen für das Verhältnis des Menschen zur Tierwelt. Mit seiner Wertschätzung der Tiere stellte er sich gegen die Peripatetiker und Stoiker, die das Bestehen eines Rechtsverhältnisses des Menschen zur Tierwelt bestritten.[29]
Plutarch schrieb auch einige erklärende Schriften zu Homer, Hesiod, Empedokles und Platon. Ein weiterer Themenbereich, mit dem er sich beschäftigte, war das Schicksal (fatum). Darüber verfasste er die erhaltene Schrift Über das Verhängnis. Außerdem setzte er sich mit Leben und Lehren der Sieben Weisen auseinander (Symposiaka ton hepta sophon, ¿Das Gastmahl der Sieben Weisen¿). In den Schriften Über das primär Kalte und Über das Mondgesicht nahm er zu wissenschaftlichen Problemen Stellung, wobei er naturkundliche Forschung mit religiösen und mythischen Spekulationen verband.
Die Moralia sind auch eine wichtige Quelle zu einigen Aspekten des antiken Alltagslebens. So beschreibt Plutarch die ideale Sitzordnung im Speisesaal, dem Triclinium, unterschiedliche Trinksitten und Teile der Unterhaltung bei Tisch, darunter Themen für Gespräche, Musik und Tanz.
Verfasser*innenangabe:
Plutarchus
Jahr:
2012
Verlag:
Wiesbaden, Marix
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