Verlagstext:
Ist der 'homo oeconomicus' die vorherrschende Gestalt des Menschen auch in anderen Epochen und Kulturen als der modernen westlichen? Ist der Mensch,der knappe Mittel zweckrational einsetzt, der Mensch als solcher oder nur eine der möglichen, unter besonderen Bedingungen hervorgetretene Ausprägung des Menschentums? Diese Frage erörtern hier Ethnologen, Orientalisten, Historiker und Ökonomen anhand konkreter Beispielfälle. Hieraus ergibt sich ein Panorama menschlicher Wirtschaftsformen und es zeichnet sich eine historische Wirtschaftsanthropologie ab, welche den ahistorischen "Ökonomismus" sinnvoll ergänzt.
Stimmen zum Buch:
"[...] Nachdem die Entfremdung zwischen der Wirtschafts- und Kulturgeschichte in der jüngsten Zeit vermehrt Gegenstand der Diskussion gewesen ist, schlägt der anzuzeigende Tagungsband, eine Veröffentlichung des Freiburger Instituts für historische Anthropologie, ebenfalls eine Brücke zwischen zwei scheinbar unvereinbar gegenüberstehenden Polen. Dazu bedient er sich eines breiten zeitlichen wie interdisziplinären Bogens. Um den ökonomischen Akteur "als [...] durch die Kulturen geformte[s] [...] Wesen" (Vorwort) zu untersuchen, stellt der Band dem rational choice-Modell der Ökonomie einen kulturell vergleichenden Ansatz gegenüber, der davon ausgeht, "dass die Menschen in ihren Sprachen, Symbolen, Ritualen, Verhaltensweisen und Wahrnehmungsformen flexible Kulturwesen sind" (ebd.).
[...]
Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis macht deutlich, warum die historische Wirtschaftsanthropologie bislang als eigenständige Subdisziplin ohne Bedeutung geblieben ist. Fragen der Wirtschaftskulturen und -stile, transnationaler Wirtschaftsaktivitäten, der Arbeitsauffassung oder der Genese von Tausch- und Geldwirtschaft bilden seit Langem einen festen Bestandteil der Wirtschaftsgeschichte, so dass sich hier z.T. eine Art 'Déjà-vu'-Empfindung einstellt. Zentrale wirtschaftsanthropologische Aspekte von hoher aktueller Bedeutung, die leider auch in der Wirtschaftsgeschichte bislang lediglich am Rande diskutiert wurden, wie z.B. die Bedeutung der Frau als ökonomischer Akteurin, kommen nun ausgerechnet auch in diesem Band zu kurz, weil "keine Referentinnen oder Referenten für die [...] selbständig wirtschaftende Frau in Geschichte und Gegenwart gewonnen werden" konnten (so die Herausgeber in ihrem Vorwort, XXII). Ähnliches gilt für innovative Forschungsansätze wie Ute Freverts Arbeiten zur Geschichte der Gefühle, die sich gleichfalls auf wirtschaftliche Zusammenhänge übertragen lassen. Anlass genug, um an diesen informativen Band, dem leider ein Autorenverzeichnis fehlt, anzuknüpfen, denn zweifelsohne verdient die historische Wirtschaftsanthropologie einen angemessenen Platz unter den Subdisziplinen des historischen Fächerkanons."
Quelle: Susanne Hilger, sehepunkte.de
/ AUS DEM INHALT: / / / Wolfgang Reinhard: Historische WirtschaftsanthropologieEinführung (3-11); Klaus EMüller: Arbeit adelt nicht, sondern macht gemein (13-32); Axel TPaul: Der Tausch, die Zahlung und die MünzeÜber einige Schwierigkeiten und Wegmarken beim Versuch, eine Geschichte des Geldes zu schreiben (33-50); Heinrich von Stietencron: Wirtschaftsverhalten und Wirtschaftsethik im Alten Indien (53-70); Claus Wilcke: Markt und Arbeit im Alten Orient am Ende des 3Jahrtausends vChr(71-132); Egon Flaig: Mit Kapitalismus keine antike StadtkulturÜberlegungen zum Euergetismus (133-157); Thomas OHöllmann: Als die Löwen nutzlos wurdenAnmerkungen zum chinesischen Tributsystem unter den Dynastien Ming (1368-1644) und Qing (1644-1911) (159-172); Raimund TKolb: Die Ökonomie des organisierten Bettels am Beispiel der Stadt Peking im späten 19und frühen 20Jahrhundert (173-201); Roswitha Badry: 'Islamische Ökonomik'- die späte Reaktion muslimischer Akteure auf die Einbindung in die europäische kapitalistische Weltwirtschaft: eine gelungene Synthese von Zweck- und Wertrationalität? (203-226); Michael Mitterauer: Kaufleute an der Macht - Voraussetzungen des Protokolonialismus in den italienischen Seerepubliken am Beispiel Pisas (229-268); Martin Dinges: Wandel des Stellenwertes der Ökonomie in Selbstzeugnissen der Frühen Neuzeit (269-290); Norbert Schindler: Ländliche Schacherwirtschaft am Ende des 18Jahrhunderts (291-318); Werner Plumpe: Die Geburt des 'Homo oeconomicus'Historische Überlegungen zur Entstehung und Bedeutung des Handlungsmodells der modernen Wirtschaft (319-352); Jürgen Osterhammel: Anthropologisches zum Freihandel (353-369); Wolfgang Fikentscher: Die Rolle des Marktes in der Wirtschaftsanthropologie und das globale Wirtschaftsrecht (373-399); Gebhard Kirchgässner: Das Gespenst der Ökonomisierung (401-433); Jörg Rüpke: Der 'rational choice approach towards religion': Theoriegeschichte als Religionsgeschichte (435-449); Gerold Blümle/ Nils Goldschmidt: Die historische Bedingtheit ökonomischer Theorien und deren kultureller Gehalt (451-473); Uwe Pörksen: Expansion der Wirtschaftssprache (475-484).