Kurztherapien haben sich als selbständige Behandlungsformen etabliert, und ihre Erfolge sind durch zahlreiche Studien belegt. Eine extrem geringe Anzahl therapeutischer Sitzungen stellt höchste Anforderungen an Planung, Durchführung und Verlauf einer Behandlung. Steve de Shazers zunächst paradox anmutende Forderung: »die Lösung muß vorliegen, bevor das Problem verstanden wurde«, ist der Schlüssel zum Erfolg in der Kurztherapie.
Inhalt
Vorwort von H. Weakland 7
Vorwort von John C. Wynne 9
Einführung 12
Dank 15
1 Woher weiß man, was zu tun ist? 19
2 Der beklagte Sachverhalt: Verdammtes Pech 38
3 Bindungen, Schleifen und "Ockhams" Rasiermesser" 76
4 Eine kooperative Form der Therapie 97
5 Die Kristallkugel-Technik 116
6 Die Konstruktion des Problems 131
7 Halten wir's einfach 146
8 "Dietriche" 163
9 Veränderung ist nicht nur möglich,
sondern unumgänglich 184
10 Schlußfolgerungen 213
Nachwort von Gunther Schmidt 231
Bibliographie 240
/ AUS DEM INHALT: / / /
1
Steve de Shazer:
"Wege der erfolgreichen Kurztherapie" (Kurzfassung)
Klett-Cotta, 2005
Grundtenor der dargestellten Kurztherapie-Methode ist Optimismus und eine gegenüber den Möglichkeiten der Klienten grundsätzlich positive Einstellung. So nach dem Motto: yes, we can anyway.
Die Methode ist eine spezifische Entwicklung aus der Hypnotherapie von Milton H. Erickson. Sie fusst fast axiomatisch darauf, dass sich innerhalb von wenigen Stunden (sieben bis zehn Stunden) eine Lösung der akuten Probleme des Klienten in der Realisierung befindet, wobei der Lösungsprozess schon nach der ersten Stunde mittels konkreter Aufgabenstellung an den Klienten beginnt. Die vom Klienten gewünschte "bessere Situation" wird zusammen mit dem Therapeuten/der Therapeutin "konstruiert".
Zitat: "Damit die Lösung rasch auftaucht, empfiehlt es sich, die "Vision" oder Schilderung einer erfreulicheren Zukunft zu entwerfen, die sich sozusagen in der Gegenwart breitmachen kann. Ist eine solche "realistische Vision" - als einer von mehreren in der Zukunft möglichen und erreichbaren Zuständen - erst einmal konstruiert, dann entwickeln die Klienten häufig "spontane" Formen der Lösung ihrer Schwierigkeiten. Der Therapeut hat also die Aufgabe, die entsprechenden Hoffnungen und Erwartungen in seinem Klienten zu wecken."(S.13)
Zentral ist der Ansatz, dass der Therapeut nicht notwendigerweise etwas über die Vergangenheit des Klienten wissen und auch nicht unbedingt genau darüber informiert sein muss, was das Problem am Leben erhält. Bei dieser Behandlungsform wird also ausdrücklich keine Ursachen- und Hintergrundforschung betrieben, sondern die ganze Arbeit wird auf die "glückliche Perspektive", auf die mit dem Klienten skizzierte konkrete Hoffnung ausgerichtet.
Zitat: Den Details des beklagten Sachverhalts schenkt dieses Modell relativ wenig Beachtung. Es konzentriert sich vielmehr auf die Frage, woran der Klient es merken wird, dass sein Problem gelöst ist.(S.14)
Ein erster wesentlicher Punkt ist, im Klienten das Bewusstsein und die Erwartung zu wecken, "dass sich die Dinge ändern werden". Therapeut und Klient mobilisieren zusammen den Veränderungswillen des Klienten, indem u.a. eine "Landkarte" der Zukunft und eine Mind map der Veränderungsmöglichkeiten entworfen wird.
Elemente der kurztherapeutischen Arbeit nach Shazer
Konfusions-Technik: Aus den häufig bruchstückhaften und "Durcheinander"-Schilderungen der Klienten wird ein Problem formuliert und in konkrete und spezifische Begriffe gefasst. "Tatsächlich kommen die Klienten oft mit vagen und/oder mit einander wechselseitig ausschliessenden Zielen, oder aber sie können ihre Zielvorstellungen nicht beschreiben"(S.26). Diesen Zustand nennt der Autor "Zielbedürftigkeit". Um diesen unerquicklichen Zustand so rasch wie möglich zu beseitigen, drängt der Autor in seiner Arbeit auf die Formulierung realistischer und problemadäquater Zielvorstellungen, die es dann ermöglichen, sehr rasch Fortschritte zu messen. Die Zielvorstellungen wiederum fussen auf einer - durch die Konfusion des Klienten bedingt - "konstruierten problematischen Realität". Was
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immer das auch genau heissen mag, ist es so, dass der Therapeut interventionistisch für ein Problem-Ziel-Konstrukt sorgt, das dann in den folgenden Sitzungen durch Rückmeldungen des Klienten eingegrenzt wird. Der Autor nennt es eine "Passgenauigkeit" schaffen.
Passgenauigkeit: "Das Konzept der Passgenauigkeit des Vorgehens (das auf dem Gedanken aufbaut, dass brauchbare Problemkonstruktionen von Fall zu Fall variieren, je nach den Komponenten - Verhalten, Kontext, Denk- und Bezugsrahmen -, die in die Konstruktion eingehen, und dem bereits in das Unternehmen eingebauten Ziel) soll dem Therapeuten gangbare Wege der Zusammenarbeit mit dem Klienten aufzeigen. Eine brauchbare "therapeutische Problemkonstruktion" muss zumindest eine potentielle Lösung einschliessen." (S.96)
Veränderung: Veränderung ist ein zentraler Begriff in der Shazer'schen Kurztherapie. Dabei geht er von der systemischen Überlegung aus, dass schon kleinste Veränderungen an einer Stelle sich zu einer Veränderung des ganzen Systems entwickeln. Daraus folgt die Hypothese, dass es keine Rolle spielt, in wieweit andere Personen in die Therapie direkt einbezogen werden, da sie als Systemglieder in einer Interaktion mitwirken und solcherart eigene Veränderungen und Positions- und Verhaltenswechsel mitmachen.
Veränderungserwartungen: Ein weiterer zentraler Punkt ist, im Klienten klare Erwartungen über Vorteile und Gewinn aus Veränderungen zu wecken. Ein Veränderungsweg wird zu einem Ziel skizziert, und den Weg beschreiten heisst, etwas zu tun, und zwar etwas anderes als bisher. Das "etwas-Anderes-tun" ist die Aufgabe des Klienten, die von Therapiesitzung zu Sitzung aufgetragen, dann besprochen und ev. neu justiert wird.
Ein Axiom dieser Therapie ist, dass schon die Erwartung eines besseren künftigen Daseins und die Beschreibung möglicher Veränderungen dahin, auf den Klienten eine dynamisierende Wirkung hat.
Rekonstruktion des Problems aus dem beklagten Sachverhalt (Zitat): Was der Klient beklagt, ist in der Regel ein sehr komplexer Sachverhalt aus einer Vielzahl von Elementen, von denen ihm irgendeins vielleicht gewichtiger erscheint als die übrigen:
1. eine einzelne Verhaltensweise oder eine Verhaltenssequenz
2. die Bedeutungen, die der Situation zugeschrieben werden
3. die Häufigkeit des beklagten Geschehens
4. der Schauplatz des beklagten Geschehens
5. das Mass der Unfreiwilligkeit des beklagten Geschehens
6. wichtige Bezugspersonen, die direkt oder indirekt mit dem beklagten Geschehen zu tun haben
7. die Frage, wer oder was dafür verantwortlich zu machen ist
8. der äussere Kontext (Berufstätigkeit, ökonomischer Status, Lebenskreis etc.)
9. die zugehörige physiologische Befindlichkeit
10. die Vergangenheit
11. ein düsteres Zukunftsbild
12. utopische Erwartungen
In der Konstruktion des beklagten Sachverhaltes ist jedes dieser Elemente mit den übrigen Elementen in der Weise verbunden, dass sie einander wechselseitig definieren. Folglich kann eine Veränderung in einem dieser Elemente zu Veränderungen in den übrigen Elementen "führen" (S.49/50)
Mittel der therapeutischen Arbeit
- Team hinter dem Spiegel
- Beratungspause mit dem Team
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- "Kristallkugeln": Virtuelle Kugeln in denen der Klient bestimmte Lebens-Situationen heraufbeschwört (in der Regel Erfolg, glückliche Momente, Anerkennung, besondere Leistungen)
- Problem konstruieren
- Aufgaben erteilen
- Landkarten zur eigenen Situation
- Mind-Mapping durch den Therapeuten
-
Zusammengefasst: Der Schlamassel von gestern ist alter Hut und interessiert niemanden, da eine Archäologie der misslichen Situation nichts zur Lösung beiträgt. Denn die Aufarbeitung vergangenen Unglücks - so die apodiktische Behauptung - trage kein Jota zu einer besseren Zukunft bei. Vielmehr muss aus einer "passend" konstruierten und phantasierten Zukunft die Lust und Kraft zu deren Gestaltung gezogen werden. Die Arbeit an den zukunftsträchtigen Elementen wiederum verlangt eine laufende Erfolgskontrolle. Es wird in dieser Therapieform viel drängender und investigativer nach "guten" fördernden Erlebnissen, Gefühlen und Wahrnehmungen während den Tagen zwischen den Sitzungen gefragt, als dies vielleicht in einer klassischen psychoanalytischen Therapie der Fall ist.
Ein weiterer Punkt der wesentlich von eher klassischen psychotherapeutischen Vorstellungen abweicht, ist der Umgang mit dem Widerstand. Kurz gesagt wird bei dieser Form von Kurzzeittherapie die Ansicht vertreten, dass es keinen Widerstand des Klienten gibt, da dieser ja an einer Lösung interessiert wird und damit grundsätzlich positiv eingestellt ist und mitarbeitet. Es gibt nur einen Widerstand des Therapeuten, sich überhaupt mit diesem Fall zu beschäftigen.
- Zitat: Das hier beschriebene Modell baut auf einer Beziehung zwischen dem Therapeuten und dem Klienten auf, die ihrem Wesen nach kooperativ ist. Der Klient kommt ja zur Therapie, weil er seine Situation verändern will; der Therapeut kann die Kooperationsbereitschaft also mühelos schon dadurch fördern, dass er seinerseits auf diese "offene" Veränderungsbereitschaft des Klienten setzt. Damit gelingt es ihm, an "Visionen" einer schöneren Zukunft mit zu bauen.
Zur kurztherapeutischen Behandlung wurden von Milton H. Erickson einige Merkmale formuliert, welche die grundsätzliche Vorgehensweise bestimmen sollen:
- Diejenige neurotische Symptomatik, die die einmaligen (spezifischen) Bedürfnisse des Patienten befriedigen, muss gezielt benutzt werden, um Lösungen des akuten Problems zu finden; "dabei muss dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Patient ja sehr an seinen neurotischen Behinderungen hängt."
- Problemlösungen - sog. konstruktive Anpassungen - für den Klienten dürfen "nicht gegen das Hindernis der weiterhin bestehenden Neurotizismen" getroffen werden sondern sollen "sozusagen gefördert durch diese Neurotizismen erfolgen."
- Die hier referierte Methode der Kurztherapie verzichtet ausdrücklich auf Korrektur "irgendwelcher kausaler zugrundliegenden Fehlanpassungen."
Die Formel-Aufgabe der 1. Sitzung
Dieser sog. Formel-Aufgabe wird von Shazer und seinem Team ein grosser Stellenwert zugemessen. Die Formel lautet wie folgt:
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"Wir möchten Sie bitten, von jetzt an und bis zu unserem nächsten Treffen auf alle Vorgänge in Ihrer Familie/Ihrem Leben/Ihrer Ehe/Ihrer Beziehung zu achten - und zwar so, dass Sie sie uns das nächste Mal schildern können - deren Fortsetzung Sie wünschen."(S. 184)
Shazer und sein Team hörten in der folgenden Stunde nicht nur von bisherigen (sich wiederholenden) guten Ereignissen oder Verhaltensweisen, sondern von solchen, die überraschend neu aufgetreten waren. "Ein um das andere Mal wurde uns daraufhin von konkreten und spezifischen Veränderungen in der Woche zwischen der ersten und der zweiten Sitzung berichtet."(S. 185)
" Mit dieser Aufgabe ist nicht die Erwartung verbunden, dass rasch eine Lösung auftaucht, nachdem der Klient einen ganz bestimmten unangenehmen und störenden Sachverhalt vorgetragen hat. Diese Aufgabe passt zu dem Denkrahmen, den die Klienten häufig erkennen lassen - die Dinge geschehen ihnen -, was natürlich impliziert, dass die Klienten keine Kontrolle über das Geschehen haben. Sie sehen sich schlicht als Opfer." (S. 186)
Obwohl die Formel-Aufgabe der 1. Sitzung für das spezifische Problem einer bestimmten Familie entwickelt worden war, nutzten es Shazer und Team versuchsweise - und erfolgreich - auch für andere Fälle. In aller Regel zeigten sich schon in der 2. Stunde verschiedene Ansätze, für verändertes Verhalten. Dabei muss der Therapeut den Beobachtungsrahmen relativ weit spannen, denn Veränderungen können sich plötzlich an ganz anderen Teilen des Systems zeigen, die vom Klienten gar nicht zur Sprache gebracht worden sind, aber verdeckt eine grosse Rolle in der Problemkonfiguration spielen. Shazer und sein Team fassten die Ergebnisse mit dieser Formel-Aufgabe der 1. Sitzung in einer Art Studie zusammen:
"1. Die Aufgabe wurde 56 (64 Prozent) von 88 neuen Klienten erteilt. Von diesen berichteten 50 (89 Prozent) , dass sich etwas Lohnendes ereignet habe, während 6 (11 Prozent) nicht meldeten, von dem sie sich wünschten, dass es weiterhin geschehe. Die erwähnten 50 Klienten fassten ihre Berichte ausnahmslos in von den Therapeuten als "konkret und spezifisch" bezeichneten Wendungen ab.
2. 46 (82 Prozent) berichteten, dass zumindest eines der erwünschten Ereignisse neu oder anders gewesen war.
3. 32 (57 Prozent) berichteten, dass die Dinge "besser" geworden seien, während 19 (34 Prozent) die Dinge als "gleichgeblieben) bezeichneten.
4. 5 (9 Prozent) sprachen davon, dass die Dinge "schlechter" geworden seien."
(S. 205/6)
Schlussfolgerungen von Shazer
"Da die Klienten von konkreten Veränderungen berichten, die in Reaktion auf die Aufgabe in ihrem Verhalten eingetreten sind, kann der Therapeut nun die Fortsetzung dieser bereits in die Wege geleiteten Veränderungen zum Ziel machen. Sobald es von diesen Veränderungen heisst, dass sie innerhalb des problematischen Bereichs "auftreten", kann man sagen, dass das Ziel der Kurztherapie erreicht ist: die Veränderung ist eingeleitet, die Lösung ist "auf dem Weg". Jetzt muss der Therapeut zusammen mit dem Klienten nur noch darauf bedacht sein, dass die Dinge "die gleichen bleiben". Oder, um die Sache noch unter einem anderen Aspekt zu sehen: der Therapeut kann dem Klienten helfen, die gewünschten Veränderungen zu verstärken." (S. 211)
Juni 2010 alt.
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