(I-23/10-C3) (G ZWs / PL)
Dass Wissen und Macht einander beeinflussen und durchdringen, dass sie sich wechselseitig verstärken oder blockieren können, ist keine neue Einsicht. Umso erstaunlicher ist, dass die Philosophie sehr lange gebraucht hat, um die ethischen Konsequenzen genauer unter die Lupe zu nehmen, die sich insbesondere in unserem Erkenntnisleben aus Vorurteilen und Stereotypen ergeben. In ihrem bahnbrechenden Buch, das mittlerweile als ein moderner Klassiker gilt, nimmt sich Miranda Fricker dieser Aufgabe an: Sie erschließt eine bislang kaum bedachte, aber für Wissensgesellschaften hochaktuelle Form der Ungerechtigkeit, die sowohl die Persönlichkeitsentwicklung der Betroffenen als auch unsere geteilten Praktiken des Erkennens massiv bedroht. Der Begriff, den Miranda Fricker geprägt hat und der auf den Punkt bringt, was in unserem Erkenntnisleben schiefläuft, ist der Begriff der „epistemischen Ungerechtigkeit“. Sie findet statt, wenn Frauen oder People of Colour, migrantischen Gemeinschaften oder der Bevölkerung ganzer Kontinente die Fähigkeit und Berechtigung abgesprochen wird, relevantes Wissen zu erlangen und eigene Erfahrungen verlässlich zu kommunizieren. Eine erkenntnisbezogene Ungerechtigkeit geschieht aber auch dann, wenn bestimmte Gruppen oder Individuen gar nicht im Besitz der begrifflichen Ressourcen sind – wie z.B. der Begriffe des sexuellen Missbrauchs oder der Ausbeutung –, um ihre besondere Leidenserfahrung überhaupt erkennen und einordnen zu können. Miranda Fricker enthüllt diese beiden Formen der epistemischen Ungerechtigkeit als mächtige, aber weitgehend stille Dimensionen der Diskriminierung. Dabei untersucht sie nicht nur die Natur des jeweiligen Unrechts, sondern macht auch deutlich, welche Tugenden wir erlernen müssen, um es zu verhindern. Bei C.H.Beck erschient dieses philosophische Standardwerk nun endlich auf Deutsch.
Inhalt
Eine wirklich soziale Erkenntnistheorie:
Miranda Frickers Epistemische Ungerechtigkeit
Eine kurze Einführung von Christine Bratu
und Aline Dammel 9
Vorwort zur deutschen Ausgabe 15
Vorwort 19
Einleitung 23
1 Zeugnisungerechtigkeit 33
1.1 Macht 33
1.2 Identitätsmacht 39
1.3 Der zentrale Fall von Zeugnisungerechtigkeit 43
2 Vorurteile in der Glaubwürdigkeitsökonomie 59
2.1 Stereotype und vorurteilsbehaftete Stereotype 59
2.2 Gibt es vorurteilslose Zeugnisungerechtigkeit? 73
2.3 Welches Unrecht bewirkt Zeugnisungerechtigkeit? 75
3 Bezeugungen im Licht der Tugend-Epistemologie 95
3.1 Eine kurze Darstellung der dialektischen Position 95
3.2 Die verantwortliche Hörerin? 102
3.3 Tugendhafte Wahrnehmung in moralischer und
epistemischer Hinsicht 108
3.4 Die Übung der Sensibilität 119
4 Die Tugend der Zeugnisgerechtigkeit 125
4.1 Vorurteile korrigieren 125
4.2 Geschichte, Schuld und moralische Enttäuschung 141
5 Die Genealogie der Zeugnisgerechtigkeit 153
5.1 Eine dritte fundamentale Tugend der Wahrheit 153
5.2 Eine hybride Tugend: Intellektuell-ethisch 167
6 Ursprüngliche Bedeutsamkeiten: Eine erneute Betrachtung
des Unrechts 179
6.1 Zwei Arten von Schweigen 179
6.2 Über den Begriff des Wissenden 195
7 Hermeneutische Ungerechtigkeit 201
7.1 Der zentrale Fall von hermeneutischer
Ungerechtigkeit 201
7.2 Hermeneutische Marginalisierung 208
7.3 Das Unrecht der hermeneutischen Ungerechtigkeit 220
7.4 Die Tugend der hermeneutischen Gerechtigkeit 231
Schluss 239
Anmerkungen 241
Literaturverzeichnis 263
Register 271
Informationen zur Autorin, Übersetzerin und
den Verfasserinnen des einführenden Vorworts 277