Nicht einmal in unserem Narzissmus sind wir ganz allein... Der Autor konfrontiert das klassische psychoanalytische Narzissmus-Konzept mit den empirischen Befunden und theoretischen Ansätzen der Säuglingsforschung, Sozialpsychologie, Neurobiologie und anderen Nachbardisziplinen, die unter dem Paradigma der Intersubjektivität den Anderen als Bezugspunkt außerhalb des Selbst entdeckt haben.Traditionell wird unter Narzissmus Selbstliebe und Ich-Bezogenheit verstanden. Dieser Lesart eines zentralen psychoanalytischen - und inzwischen auch umgangssprachlichen - Begriffs setzt Martin Altmeyer eine intersubjektive Definition entgegen. Der Narzissmus thematisiert das Grundbedürfnis, von anderen Menschen gesehen, beachtet, anerkannt und geliebt zu werden. Der Narzissmus ist gerade nicht die einsame Selbstbespiegelung. Im Spiegel der Umwelt bildet sich das Selbst. Wir wissen, dass der primäre Narzissmus des Säuglings auf die Haltefunktion der Mutter und das Lächeln in ihrem Blick angewiesen ist. Wir erleben, dass das narzisstische Kind Aufmerksamkeit und Bewunderung sucht. Wir sehen, dass die Selbstinszenierung des Medienstars den Beifall des Publikums braucht. Und wir ahnen, dass auch die narzisstische Störung einen stillen oder lärmenden, aber immer verzweifelten Kampf um intersubjektive Anerkennung bedeutet.Dem Frankfurter Klinischen Psychologen Altmeyer ist es gelungen, eine zusammenfassende Chronologie der Auseinandersetzung in der Psychoanalyse um den zentralen psychoanalytischen Begriff des Narzissmus vorzulegen, und darüber hinaus eine klärende Bestimmung vorzunehmen, nämlich die intersubjektive Definition des Begriffs. Danach ist der Narzissmus nicht einfach nur eine objektive Selbstbezogenheit; er konstruiert sich erst über die Spiegelfunktionen des Objekts: Ohne Zuschauer, ohne Publikum, ohne die anderen kein Narzissmuss und auch keine narzisstische Störung. Er hat etwas mit dem Wunsch nach und dem Gefühl von Versorgtwerden, Gesehenwerden, Geliebtwerden, Anerkanntwerden zu tun, und seine Ausgestaltung ist angelegt in der Art und Weise der mütterlichen Liebe und Fürsorge in der frühen Kindheit.
Inhalt
Dank ................................................................................. 9
Vorwort von Stavros Mentzos .......................................... 11
Einleitung: Abschied von der Amöbensage ..................... 16
Das Dilemma der psychoanalytischen Narzißmus-Theorie
1 Zur Karriere eines psychoanalytischen Begriffs .... 25
Was ist Narzißmus? Ein notorisches
Definitionsproblem ............................................................. 25
Die klinische Dimension: Narzißmus und narzißtische
Störung ........................................................................... 30
2 Der Ursprung der Konfusion ....................................... 41
Die Vieldeutigkeit des Freudschen Narzißmusbegriffs 42
Monadologie oder Umweltbezogenheit? ..................... 46
3 Ein verwirrendes Panorama .......................................... 54
Freuds Modell-Konstruktionen .................................... 54
Andreas-Salomes »Narzißmus als Doppelrichtung« …. 58
Ferenczis Paradies-Modell .......................................... 59
Das Spiegelungs-Modell von Lacan ........................... 60
Ein objektbeziehungstheoretisches Modell .................. 61
Ich-psychologische Modellvorstellungen
des Narzißmus ............................................................... 62
Kohuts selbstpsychologisches Modell des Narzißmus 65
Modelle der narzißtischen Homöostase und
Gefühlsregulation ..................................................................... 67
Integrationsmodelle ...................................................... 71
Traditionslinien im Narzißmus-Diskurs -
Ein Orientierungsversuch
4 Narzißmus und Objekt .................................................... 81
Primäre Liebe ................................................................ 81
Objekt und Selbst-Objekt .............................................. 84
Narzißmus als pathologische Verdichtung ................... 87
Die immanente Objektbezogenheit des Narzißmus ... 89
5 Narzißmus und Libido. Aporien des triebtheoretischen
Modells ............................................................................ 95
Monadentheorie und Triebmythologie bei Grunberger
und Chasseguet-Smirgel ................................................. 96
Eine »deutsche« Variante des libidotheoretischen
Modells ......................................................................... 103
Die monadologische Sackgasse der Triebtheorie . . . .107
6 Ein affektives Regulationsprinzip. Narzißmus und
Selbstwertgefühl ............................................................. 114
Ein »Ich-Gefühl« des inneren Behagens ...................... 115
Narzißmus und Sicherheitsprinzip ............................... 116
Selbsterhaltungstrieb und Sicherheit ............................ 119
Narzißtische Homöostase .............................................. 121
Der »intersubjective turn« - Herausforderungen
durch die Nachbardisziplinen der Psychoanalyse
7 Primärer Narzißmus oder primäre Intersubjektivität ..128
Beobachtung, Konstruktion oder Rekonstruktion? . . .129
Das Säuglingsmodell der Säuglingsforschung ............. 133
Die interpersonelle Entwicklungstheorie von Stern ..136
Domes’ Kritik an der Theorie des primären
Narzißmus ...................................................................... 141
8 Narzißmus, Perspektivenübernahme und Anerkennung 145
Selbstachtung durch Anerkennung ............................... 145
Der »Kampf um Anerkennung« als Medium
von Individuierung ...................................................... 152
Narzißmus zwischen Selbstbehauptung und
Anerkennung .................................................................. 157
9 Narzißmus in einer erweiterten Theorie des Selbst . . . 167
Narzißmus als Modus der Umweltbeziehung ............... 167
»Private« und »public seif« .......................................... 172
Auf dem Weg zu einer intersubjektiven Reformulierung
des Narzißmus
10 Selbst als Objekt. Folien für eine
Objektbeziehungstheorie des Narzißmus 183
Ich-Entwicklung und Realitätsintegration .................. 183
Narzißmus als Geliebtwerden .................................... 188
Emergenz durch Anerkennung .................................... 192
Narzißmus oder Trisexualität .................................... 199
11 Das Subjekt im gegenwärtigen Diskurs der
Psychoanalyse über Intersubjektivität 207
Subjektivität und der »feste Kern« des Individuums 208
Das »Zwischen« oder das »Dritte« in der Psychoanalyse ..... 214
Der Spiegel als intersubjektive Metapher .................. 220
12 Vom Schatten zum Spiegel des Objekts ..................... 226
Elf Thesen zum Narzißmus ....................................... 226
Ein Definitionsvorschlag ............................................. 227
Literatur .............................................................................. 231