Sexualitäten waren untrennbar mit der europäischen Hexereiverfolgung verbunden. Dies betraf einerseits reale Sexualitäten (etwa wenn illegitime Handlungen wie Unzucht zu einem Hexenprozess führten), andererseits irreale wie den niemals stattgefundenen Geschlechtsakt mit den BuhldämonInnen. Der "Teufelspakt", der mit Dämonen, die ihr Geschlecht und ihren Körper verwandeln konnten, vollzogen wurde und den Pakt rechtsgültig machte, war ebenso wie auch die angeblich von den Mitgliedern der imaginären "Hexensekte" verübten Schadenzauberdelikte durchdrungen vom Thema Sexualität und damit verbundenen Aspekten des menschlichen Alltags. Fruchtbarkeit, Schwangerschaft, Geburt, Impotenz, außerehelicher Geschlechtsverkehr und Untreue während einer bestehenden Ehe (Unzucht), Infantizid, illegitime Beziehungen, etwa mit Priestern, die Ramingsteiner Bettlerhochzeit (die Inszenierung einer Heirat nach Art des Faschings) oder unerwünschte Ehen konnten Menschen in Prozesse verwickeln und waren vermeintlich Ziele des Schadenzaubers. Selbst als Hexende unter Anklage stehende Kinder und Werwölfe beiderlei Geschlechts wurden sexualisiert und ihre behauptete oder reale Sexualität in den Prozessen thematisiert. Von den theologischen Abhandlungen vom 15. bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts wurden in der vorliegenden Diplomarbeit hauptsächlich Johannes Niders "Formicarius" (ca. 1437), Heinrich Kramers "Malleus Maleficarum" (1486), Peter von Binsfelds "Tractat Von Bekanntnuß der Zauberer unnd Hexen Ob und wie viel denselben zu glauben" (1590) und Francesco Maria Guazzos "Compendium Maleficarum" (1608) erörtert. Behandelt wurden zudem jene Sexualitäten, welche in den Prozessen kaum oder gar nicht zur Sprache gebrachte wurden, wie Homosexualität, verschiedene Arten von Empfängnisverhütung oder Abtreibung, legitime sexuelle Praktiken, sexuelle Befriedigung oder Verweigerung von Frauen, Prostitution, sexualisierte Gewalt, Masturbation, Inzest, Oralverkehr, Sodomie und mögliche Gründe für das Desinteresse der Verfolgenden an diesen Varianten. Das zeitgenössische Frauenbild, Misogynie und die Rolle von Geschlechterstereotypen auf die Prozesse, die in vielen Regionen zu dem hohen Frauenanteil unter den Opfern der Hexereiverfolgung führten, wurden ebenso angesprochen wie die Vorstellungen von der vermeintlich essentiellen, wollüstigen Sexualität der Frau, die sie dem Teufel geneigter mache als es der Mann sei. Dieses Bild von Sexualität kehrt jedoch in den erfolterten Geständnissen nicht wieder, ganz im Gegenteil wurde die Buhlschaft durchwegs als unangenehm und schmerzhaft beschrieben; in dieser Weise wurden sexuelle Akte bereits in den Dämonologien beschrieben. Geschlecht spielte während der Verfolgungen eine zentrale Rolle, wie sich anhand der Dämonologien zeigen lässt, die vermeinten Delikte wurden häufig einem bestimmen Geschlecht zugeschrieben. Das historiographische Interesse an der Frage, ob die Hexenverfolgung eine "Frauenverfolgung" gewesen sei, wurde thematisiert und als falsche Herangehensweise an die Thematik interpretiert. Die Beschreibung und Behandlung des Körpers der Hexenden, der durch Schmerz, Folter und Geständnis zu reinigen sei, der als "Beweis" galt, an dem die Folterknechte als Experten die Hexerei ablesen könnten (Stigma Diaboli, Schmerzfreiheit, Unfähigkeit zu Weinen) ist nur eines der Exempel, an denen die Theoretiker die Hexerei als "Gegenwelt" kennzeichneten. Stigma als Stigmata, Hochzeitsnacht als Buhlschaft, Homagium als Hochzeit, Sabbat als Hochzeit und Teufel als Gott sind nur einige der Pendants jener teuflischen Welt als "Verkehrung" zur christlichen. Der Pakt wurde durch den Körper geschlossen und an ihm markiert. Die Folter, deren psychische Dynamiken erörtert wurden, brach den Willen jener der "Peinlichen Frage" unterzogenen Menschen und ermöglichte das Gestehen stereotypisierter irrealer Sexualitäten und des Schadenzaubers. Häufig wurden dabei reale sexuelle Handlungen in Kontakte mit DämonInnen umgewandelt, etwa, wenn jemand aussagte, die BuhlInnen hätten sich ihnen in Gestalt ihrer Sexual- oder EhepartnerInnen genähert. Interessant ist dabei, dass noch in der Antike als ehrenhaft bewertete Kontakte zwischen Menschen und übersinnlichen Wesen (meist Göttern) und die erzwungenen sexualisierten Gewaltakte (etwa durch Satyrn) im Laufe der Zeit diskursiv in freiwillige Handlungen zwischen Menschen und jenseitigen dämonischen Wesen verwandelt wurden, deren Motivation die außergewöhnlich großen sexuellen Bedürfnisse der Hexen gewesen sein sollen. Zur Frage gestellt wurde die bisher von HistorikerInnen meist abgelehnte These, dass sexualisierte Gewalt eine Ursache für die Selbstanzeigen von Kindern gewesen sein könnte. Die Berichte von Sexualverbrechen traten in einigen Hexereiverfahren auf oder führten zu solchen Prozessen. Kinder, die vermutlich nicht genau wussten, was die Gerichtsleute "hören wollten", d.h. konkret keine Vorstellungen dessen, was strafbare Hexerei beinhaltete, waren in ihren Aussagen deutlich kreativer als Erwachsene, die meist gestanden, um weiterer Folter entgehen zu können und ihre Geständnisse entsprechend anpassten. Versucht wurde die Widerlegung der vor allem in populärwissenschaftlichen Publikationen zu findende Anschauung, die Hexenverfolgung und der Eifer der zum Großteil zölibatären Verfolger und Theoretiker beruhe auf einer "Sexualneurose". Die Sabbatvorstellungen, die erst spät in die Hexereivorstellung Aufnahme fanden und die Massenprozesse ermöglichten, waren Voraussetzung für die hohe Anzahl der Opfer. Ebenso wesentlich waren der Einsatz der Folter und die Idee des "Crimen Exceptum", womit die Grenzen des Strafrechts übergangen werden konnten. Die Peinliche Frage brachte die meisten Menschen erst dazu, niemals begangene Straftaten, den Flug zum Sabbat, das Homagium und sexuelle Handlungen mit DämonInnen zu "gestehen".
Verfasser*innenangabe:
Helga Pregesbauer
Jahr:
2009
Verlag:
Wien, Löcker
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ISBN:
978-3-85409-537-8
Beschreibung:
298 S. : Ill.
Schlagwörter:
Europa, Folter, Geschichte, Hexenverfolgung, Neuzeit, Sexualität, Sexuelle Nötigung, Abendland, Geschlechtlichkeit, Geschlechtsleben, Landesgeschichte, Okzident, Ortsgeschichte, Regionalgeschichte, Zeitgeschichte
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Sprache:
Deutsch
Fußnote:
Literaturverz. S. 285 - 298
Mediengruppe:
Buch