„Vorsicht vor dem Sinnesrausch!“ (48) Die Geliebten warnen sich vor einander, aber es nützt
nichts, im Gebirge setzen nicht nur die scharfen Witterungen jäh ein, auch die Gefühle
kommen spitz und zart und ungebändigt.
In Regina Hilbers „ich spreche bilder“ geht es um den aufregenden Ausnahmezustand, worin
die Sprache scheinbar versagt und in Bilder überquillt. Die Sätze werden zu JEPGs der
Empfindung und treten als großes Ereignis auf. Es geht vorerst um die Liebe, das Gebirge und
die Reduktion des Lebens auf das Notwendigste. Freilich werden die Bilder umso
aufschäumender, je reduzierter das Umfeld ist. Die Ekstase nach einer langen Hungerkur der
Sprache lässt sich allmählich im lyrischen Ich nieder. Und als geliebte Ansprechperson taucht
regelmäßig Semja auf, ein Geliebter aus Fleisch und Blut, aber auch ein semantischer Korpus,
der nicht zufällig wie ein zustimmendes Sem-Ja heißt, so spricht man in manchen alpinen
Mundarten die höchste Zustimmung aus.
Der quirlige Text berichtet einerseits von den Umständen, die zum reinsten Destillat der
Sprache führen, andererseits brechen immer wieder die glitzernden Quarze aus dem
Sprachgestein.
„Ein Gedicht will geschrieben sein. Eines über das Alpensein.“(11) Das lyrische Ich fasst stets
Tagesprogramme aus uns setzt sich Ziele für die Beobachtung und das Nachschleifen der
vorbereiteten Sprachrohlinge. Nach langen Wanderungen tun sich plötzlich die Erkenntnisse
auf, die in einem einzigen Satz alles sagen.
„Wir plaudern über das Mannschen und Frauschen und treten bald wieder voneinander /
weg.“ (22) In dieser kurzen erotischen Begegnung wird offensichtlich alles gesagt, was
zwischen Mann und Frau notwendig ist, kurzum, alles über den Sinn des Lebens.
Regina Hilbers Lyrik ist voller Zuneigung. Das hängt damit zusammen, dass diese Gedichte
von einem fetten prosaischen Rahmen gehalten werden, der den Leser ab und zu bei der Hand
nimmt auf Erkundungstour. Als Leser hat man den Eindruck, dass es gewünscht ist, wenn
man die Texte mag und auch versteht. Oft hat ja Lyrik nichts anderes im Sinn, als die letzten
Fans von sich selbst abzuschütteln.
Im zweiten Teil, neu paginiert, sind die Schneebälle für Sibirien von Herbert Fuchs
aufgefädelt. Der Schneeball ist ja in der Kommunikation etwas ziemlich Skurriles, einerseits
ist er hart, kalt und verletzend, wenn er ins Auge geht, andererseits ist er eine gute
Möglichkeit, jemandem spielerisch den Ball zuzuwerfen. In den sibirischen Schneebällen
schütteln sich wie die Flocken einer Schneekugel von Mariazell Schlieren, die allmählich den
Blick auf Fragmente freigeben. Eine Hauskante, der Ausriss einer Fassade, ein halbdunkel
abgehängter Lampenschirm – alle diese Pigmente eines öffentlichen Raums sind klug
verdichtet und in Schneeball- oder Eiform gepackt. Am Schluss sind jene sechzig Orte von
Kashmir bis Sansibar aufgezählt, von denen aus die Flugbahnen nach Sibirien ihren Ausgang
genommen haben.
Wohltuend, dass Text und Bild selbständig zum Leser sprechen dürfen, immerhin sind die
Arbeiten von Regina Hilber und Herbert Fuchs selbständige Kunstwerke, die sich aber
rücksichtsvoll ergänzen.
Regina Hilber: ich spreche bilder. / schneebälle für sibirien. Bilder von Herbert Fuchs.
Innsbruck: TAK 2005. 59+66 Seiten. EUR 17,-. ISBN 3-900888-42-6.
Regina Hilber, geb. 1970 in Hausleiten, lebt in Zirl.
Herbert Fuchs, geb. 1952, lebt in Innsbruck.
Helmuth Schönauer 21/04/05
Gesendet als Buchtipp am 29.5.2005 in ORF, Radio Tirol.