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Integration durch berufliche Mobilität?

eine empirische Analyse der beruflichen Mobilität ausländischer Arbeitskräfte in Wien
Verfasser*in: Suche nach Verfasser*in Faßmann, Heinz; Kohlbacher, Josef; Reeger, Ursula
Verfasser*innenangabe: Heinz Fassmann, Josef Kohlbacher und Ursula Reeger. (In Zusammenarbeit mit Katharina Demel und Irene Stacher). [Hrsg.: Österreichische Akademie der Wissenschaften, Insitut für Stadt- und Regionalforschung]
Jahr: 2001
Verlag: Wien, Verl. der Österr. Akad. der Wiss.
Mediengruppe: Buch
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Inhalt

ISR – Forschungsbericht 25
Heinz FASSMANN, Josef KOHLBACHER und Ursula REEGER
(in Zusammenarbeit mit Katharina Demel und Irene Stacher)
Integration durch berufliche Mobilität? Eine Empirische Analyse der beruflichen Mobilität ausländischer Arbeitskräfte in Wien.
Fazit
Die Erhebung bestätigt einmal mehr die berufliche Positionierung von Arbeitsmigranten und ihre spezifische berufliche Mobilität. Das Gros der ausländischen Arbeitskräfte ist in spezifischen Bereichen des Wiener Arbeitsmarktes tätig. Die "Gastarbeiter" der 60er und 70er Jahre bildeten ein unterschichtendes Segment auf dem Arbeitsmarkt und haben sich - nicht zuletzt auch aufgrund ihrer mangelhaften Ausbildung und Qualifikation - auf der untersten Ebene der Beschäftigungshierarchie eingliedern müssen. Mehr als drei Viertel üben un- oder angelernte Tätigkeiten als Arbeiter aus. Dies gilt in einem gewissen Ausmaß auch für die Zuwanderung der 90er Jahre, nicht jedoch für die "Elitewanderung" aus Deutschland.
Der Wechsel der angestammten, gleichsam reservierten Bereiche des Beschäftigungssystems ist für die "eingesessenen" Arbeitsmigranten relativ selten und hängt in vielen Fällen von der mitgebrachten schulischen Ausbildung, der erworbenen berufsspezifischen Qualifikation und der Sprachkompetenz ab. Zwischen den deutschen Sprachkenntnissen und dem monatlichen Nettoeinkommen bestehen ebenso Zusammenhänge wie mit den in Österreich gesetzten Weiterbildungsaktivitäten. Wer über bessere Sprachkenntnisse verfügt, ist auch hinsichtlich des Erwerbs von Zusatzqualifikationen bemühter. Wer der Ausbildung einen höheren Stellenwert einräumt, hat in der Regel weniger Schwierigkeiten bei der Aneignung neuen Wissens. Und wer eine bessere Sprachkompetenz aufweist, der kann sich vom ethnischen Netzwerk unabhängig machen und andere Wege der Arbeitsplatzsuche beschreiten. Drei Viertel der ausländischen Erwerbstätigen ohne Deutschkenntnisse gaben an, zum Zeitpunkt der Befragung einen in Relation zu ihrer Ausbildung inadäquaten Beruf auszuüben. Mit besserer Deutschkompetenz nimmt das Ausmaß an Dequalifikation signifikant ab.
Den objektiven Befunden über die Arbeitsmarktplatzierung der Mehrheit der ausländischen Arbeitskräfte steht die subjektive Selbsteinschätzung gegenüber. Die berufliche Zufriedenheit ist verhältnismäßig hoch. Mehr als die Hälfte der Befragten drückt Zufriedenheit mit dem bisherigen Verlauf der jeweiligen Berufslaufbahn aus. Ebenfalls ausgeprägt sind die Zufriedenheitswerte bezüglich der derzeitigen beruflichen Tätigkeit. Weniger positiv beurteilen die Migranten die beruflichen Aufstiegschancen in Österreich. Die "Gastarbeiter", unter ihnen in erster Linie die Türken, artikulieren die geringste Zufriedenheit mit ihrer aktuellen Berufsposition, mit ihrer beruflichen Laufbahn insgesamt und mit ihren Aufstiegsperspektiven auf dem österreichischen Arbeitsmarkt.
Auch wenn die groben Umrisse der Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte gleich geblieben sind, so hat sich bei näherem Hinsehen doch etwas verändert. "Gastarbeiter" sind zwar noch immer Arbeiter, aber die Arbeitsinhalte haben sich verändert, das Ausmaß an Kompetenz nahm zu, die physischen Belastungen haben sich vermindert, und der Zufriedenheitsgrad stieg an. Bei vielen Migranten manifestiert sich im Verlauf der Erwerbsbiographie ein Trend der sozialen und beruflichen Aufwertung, des Aufstiegs in der
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Hierarchieebene und vor allem der Reduktion der mit der beruflichen Tätigkeit einhergehenden Belastungen.
Die positive Beurteilung der beruflichen Position basiert auch auf einer weiter ausholenden Perspektive der Arbeitskräfte selbst. Werden sie auf einen Vergleich mit den Tätigkeiten der Eltern angesprochen, dann stellen sie einen sozialen Aufstieg fest. Waren die Eltern noch in der Landwirtschaft tätig, so kennzeichnet die unselbständige Tätigkeit mit Urlaubsanspruch und Sozialversicherung die eigene Berufstätigkeit. Mit der Migration kann am "social overhead" eines modernen Staates partizipiert werden, und dies empfinden viele Befragte als Fortschritt und Aufstieg gegenüber der Existenz der Eltern.
Diese optimistische Sichtweise überträgt sich auch auf die Einschätzung der zukünftigen Entwicklung. Knapp die Hälfte sieht keinerlei Diskriminierung auf dem österreichischen Arbeitsmarkt und rund ein Drittel rechnet mit einer deutlichen Verbesserung der beruflichen Situation in der Zukunft. Dabei besteht allerdings eine erhebliche Variabilität zwischen den ethnonationalen Gruppen. Am positivsten schätzen die Deutschen ihren weiteren beruflichen Werdegang ein, die negativsten Wertungen geben die Türken ab.
Welche Schlüsse lassen sich aus den empirischen Ergebnissen nun ziehen? Sicherlich der eine, dass integrationspolitische Maßnahmen wichtig und notwendig sind, denn die Schritte zur gesellschaftlichen Integration über eine verbesserte berufliche Teilhabe sind klein und vollziehen sich sehr langsam. Auch nach vier Jahrzehnten "Gastarbeiterwanderung" haben sich eben die groben Umrisse nur wenig verändert. Absentiert sich die öffentliche Hand von integrationspolitischen Maßnahmen und überlässt sie diese den gesellschaftlichen Steuerungsprozessen, dann dauert es sehr lange, bis sich über eine verstärkte schulische Partizipation auch die beruflichen Mög-lichkeiten verbreitern.
Was der politischen Realisierung bedarf, ist Folgendes:
1.
Die erste und zugleich basale Forderung richtet sich auf eine grundsätzlich stärkere Wahrnehmung der Qualifikationspotenziale, welche die in Österreich lebenden und arbeitenden Ausländer mitbringen. Seitens des aufnehmenden Arbeitsmarktes und der Arbeitgeber täte eine Bewusstseinsveränderung not, welche ausländischen Arbeitnehmern nicht a priori das noch aus der Gastarbeiterära stammende Bild des weitgehend unqualifizierten, aus einem ländlichen Herkunftskontext stammenden manuellen Arbeiters zuschreibt, sondern die Heterogenität der Bildungs- und Qualifikationsstruktur berücksichtigt. Im unmittelbaren Zusammenhang damit stehen ein formal und bürokratisch unkomplizierteres Procedere der Anerkennung sowie die gesetzliche Erleichterung der entsprechenden Anwendung von Vorbildung. Ausländische Arbeitskräfte, die nachprüfbare Qualifikationen besitzen, sollen nicht durch formale Barrieren an der Berufsausübung gehindert werden (z.B. im Bereich des Gewerbes).
2.
Ausländische Arbeitskräfte sollten verstärkt die Möglichkeit besitzen, schulische Qualifikationen nachholen zu können. Denn schulische Qualifikation hat sich in der vorliegenden Analyse als wichtiger direkt und indirekt wirkender Schlüsselfaktor beruflicher Mobilität von Arbeitsmigranten herausgestellt. Dabei repräsentiert in erster Linie die Vermittlung von auf dem Arbeitsmarkt unmittelbar umsetzbaren Qualifikationen ein
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Desideratum. Diese Qualifikationen könnten sowohl in Form innerbetrieblicher Maßnahmen als auch durch Kursangebote des Ar-beitsmarktservice und anderer außerbetrieblicher Weiterbildungsinstitutionen vermittelt werden.
3.
Ein Maßnahmenbündel von zentraler Wichtigkeit richtet sich auf die Vermittlung und den Erwerb von Deutschkenntnissen in Wort und Schrift, wobei vor allem den schriftsprachlichen Deutschkompetenz als Voraussetzung für qualifiziertere Berufspositionen ein besonderer Stellenwert zukommt. Die Förderung des deutschen Spracherwerbs müsste idealerweise bereits in der Frühphase der Zuwanderung einsetzen, aber auch den bereits länger in Österreich ansässigen Migranten sollten vermehrt Möglichkeiten zur Anhebung ihrer Deutschkenntnisse geboten werden.
4.
Ein rascher Familiennachzug ist dabei nicht nur ein Gebot der Humanität, sondern auch ein Faktor der verbesserten Arbeitsmarktintegration der nächsten Generation. Kinder von bereits legal in Österreich lebenden und arbeitenden Ausländern sollten möglichst früh in das hiesige Bildungs- und Ausbildungssystem integriert werden. Dies minimiert das Problem des späten Erwerbs von Deutschkenntnissen und erhöht die Vermittelbarkeit der Schulabgänger.
5.
Eine wichtige Voraussetzung für eine verbesserte berufliche und sprachliche Qualifizierung bildet der Ausbau eines institutionellen Netzes von Einrichtungen. Möglichkeiten zum Erwerb von Deutschkenntnissen und berufsbegleitender Weiterbildung bestehen zwar, diese bedürfen aber einer erheblichen Expansion, um einen möglichst großen Teil der Migranten in- und vor allem auch außerhalb Wiens tatsächlich erreichen zu können. Und sie müssen weiters auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes und der Zuwanderer ausgerichtet sein. Berufsbegleitende Weiterbildung sowie Deutschkurse für ausländische Facharbeiter müssen eine andere Schwerpunktsetzung aufweisen als jene, die sich an andere Bevölkerungs- und Qualifikationsgruppen richten.
6.
Damit Investitionen in den Spracherwerb und alle weiteren beruflichen Qualifikationen aber überhaupt getätigt werden, bedarf es einer sehr grundsätzlichen Änderung von Wahrnehmung, Bewertung und rechtlichem Rahmen der gegenwärtigen Zuwanderung. Benötigt wird - viel rascher als bisher - eine rechtlich bindende Aufenthaltssicherheit. Vieles stellt sich dann gleichsam automatisch ein. Wer als "Gastarbeiter" damit zu rechnen hat, bei nachlassender Arbeitskräftenachfrage wieder zurückkehren zu müssen, der wird wenig in Österreich investieren - weder in seine Wohnung oder in sein Wohnumfeld noch in sein persönliches Humankapital. Das Erlernen der deutschen Sprache in Wort und Schrift macht wenig Sinn, wenn man zu befürchten hat, nach wenigen Jahren das Land wieder verlassen zu müssen. Notwendig ist daher mehr denn je eine rasche Aufenthaltssicherheit, damit alle Investitionen, die in einer bestimmten Weise mit dem Standort verbunden sind, keine verlorenen Investitionen darstellen. Die Aufhebung von Aufenthaltsunsicherheiten fördert eine langfristige Orientierung beruflicher Karriereplanung und stellt somit eine ganz wesentliche Voraussetzung für die Realisierung aufwärts gerichteter beruflicher und damit auch sozialer Mobilität dar. Erst dann "rechnen" sich Investitionen in die eigene beruflich Aus- und Weiterbildung und werden langfristig getätigt.

Details

Verfasser*in: Suche nach Verfasser*in Faßmann, Heinz; Kohlbacher, Josef; Reeger, Ursula
Verfasser*innenangabe: Heinz Fassmann, Josef Kohlbacher und Ursula Reeger. (In Zusammenarbeit mit Katharina Demel und Irene Stacher). [Hrsg.: Österreichische Akademie der Wissenschaften, Insitut für Stadt- und Regionalforschung]
Jahr: 2001
Verlag: Wien, Verl. der Österr. Akad. der Wiss.
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Systematik: Suche nach dieser Systematik GS.BMA
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ISBN: 3-7001-3039-2
Beschreibung: 53 S. : graph. Darst.
Schlagwörter: Ausländischer Arbeitnehmer, Berufliche Integration, Berufliche Mobilität, Umfrage, Wien, Berufliche Eingliederung, Berufseingliederung, Vindobona, Wenia, Wien <Land>
Beteiligte Personen: Suche nach dieser Beteiligten Person Demel, Katharina; Stacher, Irene
Sprache: Deutsch
Mediengruppe: Buch