Die Bildungsdebatte um Schulreform und Schulorganisation, Gesamtschule vs. Gymnasium und die jährlichen PISA-Studien, durch die Bildungsdefizite in Österreich offentreten, hat die Wienbibliothek zum Anlass genommen, einen Blick auf die Geschichte der Schule, im Speziellen der Trivial- und Volksschule in Wien zu werfen. Äußerer Anstoß zu unserer Ausstellung war die Übernahme von Beständen, die unsere Bibliothek mit pädagogischer Literatur, allen voran mit historischen Schulbüchern bereicherten: die Archive des Verlags für Jugend & Volk und des Österreichischen Bundesverlags, vor allem aber die "Zentralbücherei für Pädagogik", die Bibliothek des ehemaligen Pädagogischen Instituts der Stadt Wien, das seit den 1920er Jahren als Lehrerfortbildungsanstalt diente. Bei genauerer Durchsicht hat sich gezeigt, dass die seit 1856 gewachsenen Sammlungen der Wienbibliothek viele interessante "Schulgeschichten aus Wien" zu erzählen haben. "Erste Klasse: Tafelkratzer, zweite Klasse: Tintenpatzer..." – so beginnt ein traditionelles österreichisches Volksschülergedicht. Es steht stellvertretend für den Beginn eines neuen Abschnitts im Leben des Kindes: den Eintritt in die Schule, die mit ihren Ritualen, ihrer Disziplin und den jährlichen Bewertungsmechanismen den "Ernst des Lebens" einläutet. Erstmals treten damit auch jene drei Kulturtechniken ins Kinderleben, die seit jeher den Kern der Bildung ausmachen: das Rechnen, Schreiben und Lesen. In Anbetracht der kulturellen Bedeutung von Schriftlichkeit ist die Leistung der "Taferlklassler" kaum zu über schätzen: Volksschule – bis Mitte des 19. Jahrhunderts in Österreich unter dem Namen "Trivialschule" bekannt – ist alles andere als eine triviale Sache! Wie jedes Schulkind weiß, hat Maria Theresia die Schulpflicht in Österreich eingeführt. Mit der von ihr erlassenen "Allgemeinen Schulordnung" (1774) beginnt aber nicht nur die Geschichte der Pflichtschule mit all ihren Licht- und Schattenseiten, sondern auch eine Tradition heimischer Schulbücher und Lesefibeln, die das ambivalente Bild der Primarschulbildung nachzeichnen: an den ausgestellten Büchern, die von der Barockzeit bis zur Gegenwart reichen, ist sowohl der ausgeprägte Traditionalismus, als auch das bunte Spektrum der verschiedensten Lernmethoden und pädagogischen Konzepte bemerkenswert. Schulgeschichten aus Wien erzählen auch diesmal die viefältigen Bestände der Wienbibliothek und werfen interessante Fragen auf: Welche Schule besuchte Franz Grillparzer, wie waren seine Noten? Wie kommt der Hahn auf’s ABC und inwiefern war Johann Nestroy ein "schlimmer Bub"? Was hat Franz Schubert mit Kopfrechnen zu tun? Worin besteht der Unterschied zwischen "katholischen" und "israelitischen" Fibeln, und wie lernten gekrönte Häupter lesen? Wer verpasste Eugenie Schwarzwald auf der Weihnachtsfeier? Wie gelangte Maria Montessoris Glockenspiel nach Wien, welche Rolle spielte das "Pädagogische Institut" in der Schulreform? Wie verlief der Schulalltag in den beiden Weltkriegen? Und schließlich: Wann und warum tauchten eigentlich Schultüten in Wien auf?
INHALT
Vorwort
Sylvia Mattl-Wurm
Die Schule
Zum Widerspruch von Bildung und Herrschaft?
Micha Brumlik
"Nur Ruhe!" - Disziplinierung in der Biedermeierzeit
Reinhard Buchberger
Hausordnung für das kais. kön. Civil-Mädchen-Pensionat
Felicitas Heimann-Jelinek
84 Der Abakus
Karl Leibi
88 Ferdinand Schuberts "Kleiner, fleißiger Kopfrechner"
Thomas Aigner
94 Fibel, Schulbuch, Buchverlag in Österreich
Johannes Frimmel
104 Das Lesebuch Kaiser Josephs II.
Sylvia Mattl-Wurm
112 Abc-Bücher
Nina Linke
Von den Tafelkratzern des Mittelaltersbis zu den Tintenpatzern
des Fin de Siècle
Reinhard Buchberger und Nina Linke
Die Michael Zoller 'sche Schule am Neubau
Nina Linke
Johann Nestroy als "schlimmer Bube in der Schule"
Walte r Obermaier
Einiges zum jüdischen E rziehungswesen in Wien
Tirza Lemberger
124 Etwas zur Methode
Nina Linke
144 Das Motiv der Biene im Schulbuch
Nina Linke
152 Wiener Kinder- 1 · Buch
Das Wienbild im Schulbuch
Isabella Wasner-Peter
160 Schulgeschichte Österreichsim 20· Jahrhundert
Michaela Feurstein-Prasser und Felicitas Heimann-Jelinek
Eugenie Schwarzwald
Michaela Feurstein-Prasser
Buntes Glas gegen Kinderelend 240 Die Schultüte
Gerhard Murauer Julia König
Die österreichische Schulreform 246 Was in der Schule gelehrt wird
Alfred Pfoser Hilda Swiczinsky
Die Wiener Klassenlektüre 250 Fliegendes Klassenzimmer
Oskar Achs Martin Kohlbauer
Maria Montessori in Wien
Michaela Feurstein-Prasser 256
Biographien der Autorinnen und Autoren
"Bubis erster Schultag"
Aufzeichnungen aus dem Tagebuch 258
Abbildungen und Abkürzungen
von Ida Qualtinger
Kyra Waldner 259
Dank
"Er kam sehr vergnügt aus der Klasse"
Der erste Schultag von Günther Hamann
Marcel Atze
Das Pädagogische Institut im Zeichen der Gleichschaltung
Auswirkungen der Systembrüche 1934 und 1938
Christian Mertens
Das NS-Kriegstagebuch einer Wiener Schülerin (1939-1945)
Stefan Spevak
Der Giftpilz. Ein Stürmerbuch für Jung und Alt
Gerhard Milchram