Ein wichtiges Dokument zur Rolle jüdischer Funktionäre in der NS-Zeit.
Der französische Dokumentarfilmer Claude Lanzmann führte Mitte der 1970er Jahre ein Interview mit dem ehemaligen jüdischen Funktionär Benjamin Murmelstein. Murmelstein war während entscheidender Phasen der nationalsozialistischen Judenverfolgung in Schlüsselstellen der jüdischen Administration tätig, die mit der Verfolgungsrealität unmittelbar konfrontiert wurden. Die heftige Kritik an seiner Rolle »zwischen Hammer und Amboss« - zwischen Täter und Opfer, wenngleich selbst Opfer - verstummte auch nach dem Krieg nicht.
Ausgehend von dem umfassenden Interviewmaterial Lanzmanns untersucht Lisa Hauff, wie Benjamin Murmelstein seine Funktion ausübte und welche Strategien er unter dem nationalsozialistischen Druck und der sich verändernden Situation entwickelte. Das Interview wird so zu einem einzigartigen empirischen Fundstück, das neues Licht auf die Rolle eines umstrittenen Judenratsältesten in der Geschichte des Nationalsozialismus wirft und einen wichtigen Beitrag zur »Handlungsfalle«, in der sich jüdische Funktionäre befanden, leistet.
/ AUS DEM INHALT: / / /
I. Einleitung 7
Quellen, Literatur und Begriffe 15
II. Dr. Benjamin Murmelstein - Eine biographische Skizze ... 23
III. Das Thema "Judenrat" in der öffentlichen Rezeption und
der historischen Forschung seit 1945 33
1. Frühe Rezeption und Bewältigung 33
2. Die pauschale Verurteilung in den 1950er und 1960er Jahre . . 36
3. Modifizierte Wahrnehmung seit den 1970er Jahren 45
4. Die Judenratsdiskussion heute 49
IV Die Methode der Oral History und das Interview
mit Benjamin Murmelstein 53
1. Oral History: objektive historische Wahrheit
oder subjektive Erinnerung? 53
2. Claude Lanzmanns sekundäre Zeugenschaft 60
3. Einführung in das Interviewmaterial 71
V Das Dilemma der Judenräte am Beispiel Benjamin
Murmelsteins. Seine innere und äußere Wahrnehmung .... 76
1. Sein Selbstbild: "zwischen Hammer und Amboss" 77
2. Fragen des Charakters: "Notwendige Tarnung" 90
VI. Benjamin Murmelstein im Dienste der Auswanderung.
Die Emigration der österreichischen Juden 1938-1941 99
1. Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien
und ihr Einfluss auf die Israelitische Kultusgemeinde 107
2. Das Verhältnis zu den Tätern - Benjamin Murmelstein und
Adolf Eichmann: "ein Fachmann für Auswanderung" 118
3. Staatlicher Druck auf die Auswanderungsquoten 127
4. Finanzierung der Emigration und der Gemeinde 130
5. Die Auswanderungsabteilung der IKG Wien 136
6. Persönliche Auswanderungspläne 179
VII. Von der Auswanderung zur Deportation 187
1. Die Pläne zum "Judenreservat":
"Endlösung [durch] Desorganisation" 188
2. Die Verhältnisse in Wien am Vorabend der
einsetzenden Deportationen 208
VIII. Deportationen. "Für Deportationszwecke hat man gewusst,
dass ich einer bin, der Widerhaken hat" 213
1. Die Deportationen aus Wien: "das sollen die Herrschaften
selbst machen" 214
2. Amtsdirektion, Zimmer 8 223
3. Zusammenstellung der Transportlisten 230
4. Aushebungen für die Transporte 237
5. Enthebungen von den Transporten 252
6. Wohnungsräumungen 268
7. Die Deportation der Familie Murmelstein 279
IX. Benjamin Murmelstein und Theresienstadt.
"Das Musterghetto Eichmanns" 284
X. Benjamin Murmelstein nach dem Krieg 298
XI. Schluss 308
Anhang
Deportationstransporte aus Wien 317
Abkürzungen 320
Quellen-und Literaturverzeichnis 321
Abbildungsverzeichnis 335