Strafrechtsreform
Das alte Strafrecht - Wurzeln, die bis ins Jahr 1803 zurückreichen: Die Strafrechtsreform hatte 1970 bereits einen langen Diskussionsprozess hinter sich. In seinen Grundzügen reichte das damals bestehende Strafrecht bis ins Jahr 1803 bzw. 1852 zurück, als es im Wesentlichen nur zu einer ergänzenden Ausgabe des Strafgesetzbuches von 1803 kam. Reformbemühungen gab es spätestens seit den 1860er Jahren. Entwürfe zu einer Strafrechtsreform wurden 1912 und 1927 ausgearbeitet. 1954 wurde von Justizminister Gerö eine Kommission zur Reform des Strafrechts eingesetzt, die ihre Arbeiten 1962 mit einem Strafrechtsentwurf abschloss. 1964 und 1966 folgte auf dieser Basis ein Ministerialentwurf. Sowohl über diese beiden Entwürfe als auch über einen während der ÖVP-Alleinregierung 1968 vorgelegten (weitgehend verschärften) Strafrechtsentwurf gab es jedoch keine Beschlussfassung.
Veränderungen im Bereich des Strafrechtes wurden in der Zeit der Großen Koalition und der ÖVP-Alleinregierung nur in einzelnen Bereichen und Fragestellungen vorgenommen. Zu nennen sind in diesem Sinn etwa die Verabschiedung eines neuen Jugendgerichtsgesetzes im Jahr 1961, womit erstmals die Bewährungshilfe in Österreich eingeführt wurde, oder die Neukodifikation des Strafvollzugsgesetzes 1969. Rechtspolitisch von fundamentaler Bedeutung war hingegen die Abschaffung der Todesstrafe im ordentlichen Verfahren 1950 und im Standrecht 1968.
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Reformdiskussion ab den 1960er Jahren
Zu einer grundlegenden Reform kam es jedoch nicht. Anzumerken ist dabei, dass das Thema Strafrechtsreform bei den politischen Parteien und in der Öffentlichkeit auch erst allmählich ein größeres Interesse erregte und dieses anfangs - abgesehen von einzelnen Anlassfällen - v.a. von Juristen diskutiert wurde. Während die 1954 eingesetzte Strafrechtskommission - so der Rechtssoziologe Wolfgang Stangl - den Charakter einer "unpolitischen Expertenreform" hatte, die gleichsam im "politischen Windschatten" vor sich hinarbeitete, kam es erst in den Jahren nach 1960 zu einer "Verpolitisierung der Reform". Maßgeblich dafür war v.a., dass nun auch die ÖVP der Strafrechtsreform eine größere Aufmerksamkeit schenkte, während die Sozialdemokratie in ihrer Geschichte dem Strafrecht seit jeher ein vergleichsweise höheres Interesse gewidmet hatte. Verbunden mit der Politisierung des Reformdiskurses war, dass die grundsätzlichen Gegensätze zwischen sozialdemokratischem und bürgerlich-konservativem-klerikalem Lager deutlich wurden. Gezeigt hat sich dieser Gegensatz v.a. in der Frage, welche Bereiche das Strafrecht schützen soll, wo es zweckmäßig erscheint, wie Schuld und Täter vorkommen, wo Sitte und Moral berührt werden und was zur Resozialisierung gesagt werden soll. 1966 wurde die Strafrechtsreform sogar zum Wahlkampfthema, wobei es hier jedoch weniger um eine inhaltliche Diskussion, sondern um einen Angriff auf Justizminister Broda ging, der einer der stärksten Befürworter der Strafrechtsreform war.
Der Durchbruch in der Strafrechtsreform erfolgte erst in den Jahren nach 1970 gestützt auf das 1969 verabschiedete Justizprogramm der SPÖ. In der Zeit der Minderheitsregierung Kreisky folgte erst die so genannte "Kleine Strafrechtsreform", nach der Erringung der absoluten Mandatsmehrheit wurde die Rechtsreform mit der "Großen Strafrechtsreform" fortgesetzt.
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Kleine Strafrechtsreform
Die Kleine Strafrechtsreform (Strafrechtsänderungsgesetz 1971 BGBl. 273/1971) brachte eine Entkriminalisierung der Homosexualität unter Erwachsenen, der Ehestörung und der Amtsehrenbeleidigung, womit das Gesetz eine Rücknahme des Strafrechts aus dem Privatbereich vornahm, aber auch zu einer Liberalisierung der Delikte gegen die Obrigkeit bzw. zum Abbau des obrigkeitsstaatlichen Verkehrs zwischen Staat und BürgerIn beitrug. Der Ehebruch wurde teilweise entkriminalisiert, eine Rücknahme des Strafrechts wurde zudem bei leichten Verkehrsdelikten vorgenommen.
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Große Strafrechtsreform
Die Große Strafrechtsreform vom November 1973 brachte ein neues Strafgesetzbuch (StGB). Im Gegensatz zur Familienrechtsreform, wo die Reform in Teilschritten erfolgte, wurde hier somit eine Gesamtreform verwirklicht. Ein von der SPÖ angestrebter konsensualer Beschluss über das neue Strafgesetzbuch kam aufgrund der im Gesetz vorgesehenen Fristenlösung in der Frage der Schwangerschaftsunterbrechung nicht zustande. Vielmehr wurde das neue, nur mit den Stimmen der SPÖ beschlossene StGB im Bundesrat beeinsprucht. Im Nationalrat musste es daher von der SPÖ im Jänner 1974 mittels eines Beharrungsbeschlusses bestätigt werden. In Kraft getreten ist das neue Strafgesetzbuch mit 1.1.1975.
Erst nach 120 Jahren gelang dem Justizminister Christian Broda die "Große Strafrechtsreform" mit kompletter Neukodifizierung. Das jahrelang durch eine Strafrechtskommission (Mitglieder waren u.a. Franz Bulla, Franz Douda, Otto Estl, Roland Graßberger, Hans Gürtler, Franz Handler, Max Horrow, Hans Kapfer, Paul Hausner, Ferdinand Kadecka, Wilhelm Malaniuk, Friedrich Nowakowski, Franz Palun, Theodor Rittler, Eugen Serini, Rudolf Skrein und Franz Zamponi) eingehend durchberatene Gesetzbuch fand großteils allgemeine Zustimmung, lediglich aufgrund der im StGB enthaltenen Fristenregelung wurde es vom Nationalrat allein mit den Stimmen der SPÖ (welche zu jener Zeit die absolute Mehrheit besaß) am 29. November 1973 und, nachdem der Bundesrat Einspruch erhoben hatte, nochmals am 23. Jänner 1974 (Beharrungsbeschluss) beschlossen. Es trat am 1. Jänner 1975 in Kraft. Seitdem erfolgten zahlreiche Novellierungen.
Im Februar 2013 trat erstmals eine Reformgruppe bestehend aus 18 Experten zusammen, um gemeinsam ein modernisiertes StGB 2015 zu entwickeln. Dabei sollte insbesondere die oft kritisierte Strafenrelation zwischen Vermögensdelikten und den Delikten gegen Leib und Leben verbessert werden. Auch die in § 70 StGB normierte Gewerbsmäßigkeit stand zur Debatte.[3] In 15 Sitzungen wurden verschiedene Reformvorschläge erarbeitet: Empfohlen wurde unter anderem, die Wertgrenzen zu erhöhen, Gewerbsmäßigkeit enger zu definieren, gefährliche Drohung nicht auf einzelne Rechtsgüter zu beschränken und die Strafdrohungen der Körperverletzungsdelikte zu verändern.[4]