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Bildungsreform in Deutschland

Geschichte und gesellschaftlicher Widerspruch ; mit einem Nachwort zur Taschenbuchausgabe
Verfasser*in: Suche nach Verfasser*in Friedeburg, Ludwig von
Verfasser*innenangabe: Ludwig von Friedeburg. Mit einem Nachwort zur Taschenbuchausgabe 1992
Jahr: 1992
Verlag: Frankfurt am Main, Suhrkamp
Mediengruppe: Buch
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Inhalt

"Von Friedeburg legt mit diesem Buch sowohl eine Summe seiner eigenen bildungssoziologischen Arbeiten als auch einen abschließenden Überblick zu rund zwanzig Jahren im engeren Sinn erziehungswissenschaftlicher Forschung vor. Die mit diesem Buch vorliegende Gesellschaftsgeschichte deutscher Bildungspolitik hebt indessen von Anfang an die strukturellen Bedingungen und Restriktionen hervor, an der eine moderne und emanzipatorische Bildungspolitik in Deutschland zu arbeiten hatte. Anders als in den großen westlichen Demokratien ist das deutsche Bildungswesen Ausdruck einer halbherzigen, von oben gelenkten Modernisierung gewesen, die zwar die ökonomischen Prämissen einer modernisierten Gesellschaft abschöpfen, aber nicht deren demokratische Preis zahlen wollte." (Micha Brumlik)
 
AUS DEM INHALT
 
Einleitung 9
I VORGESCHICHTE: KIRCHE, STAAT UND SCHULE 1 5
Lateinschule und Universität 16
Abgrenzung der Volksschule 22
Bildung und Herrschaft 29
Bildungspolitik im achtzehnten Jahrhundert 38
Braunschweiger Schulreform (42)
Industrieschulen (46)
Bildung als Menschenrecht 53
II LANDESSTAATLICHE VOLKSSCHULPOLITIK 60
Reform und Reaktion in Preußen 62
Altwürttemberg 87
Bayern und Österreich 91
Hansestädte 99
Preußen nach der Reichsgründung 114
III HÖHERE BILDUNG ALS BERECHTIGUNG 133
Berufsständische Bildungspolitik 134
Neuhumanistische Reform 148
Entwicklung des deutschen Gymnasiums 158
Schulkrieg um die Hochschulreife 179
IV BILDUNGSREFORM IN DER ERSTEN DEUTSCHEN REPUBLIK : 2O2
Reformpädagogik und politische Opposition am
Ende des Kaiserreiches 202
Bürgerrecht auf Bildung 213
Der Kampf um die Grundschule 219
Entwicklung jeder Schulform für sich 232
Nationale Erziehung in den Gymnasien (2.32)
Die höheren Mädchenschulen (2.36)
Dreiteilung durch die Mittelschule (238)
Das duale System der Berufsbildung (244)
Gemeinsame oder getrennte Lehrerbildung 248
Kontinuität der Ordinarienuniversität 254
Wirtschaftskrise 263
Nationalsozialistische Bildungspolitik 268
V DER VERSÄUMTE NEUBEGINN 281
B e k e n n t n i s - o d e r E i n h e i t s s c h u l e :
W i e d e r a u f b a u d u r c h d i e T e r r i t o r i a l v e r w a l t u n g . . . . 282
Bayern (284) Rheinland-Pfalz (28s)
Nordrhein-Westfalen (287) Berlin (288)
Niedersachsen (293) Schleswig-Holstein (294)
Hamburg (296)
Bildungspolitik im Widerspruch zur Besatzungsmacht 3O2-
Hessen (304) Bayern (308)
Südwürttemberg-Hohenzollern (313)
Kulturhoheit und Koordination der Länder 318
Ständige Konferenz der Kultusminister (32.0)
Düsseldorfer Abkommen (321)
Vergebliche Neuordnungspläne 325
Rahmenplan des Deutschen Ausschusses (327)
Bremer Plan (330)
VI MODERNITÄT UND CHANCENGLEICHHEIT 334
Bedarfsfeststellung 337
Bildungsökonomie 343
Hamburger Abkommen 348
Bildungsplanung 350
Landschulreform 355
Strukturreform 361
Anstöße der Experten 3 70
Studentenbewegung 384
Parteiprogramme 395
VII BILDUNGSREFORM IN DER BUNDESREPUBLIK 403
Bildungsgesamtplan 404
Hochschulreform 417
Berufsbildung 429
Schulreform • 434
Oberstufe (435) Mittelstufe in Hessen (440)
Hessische Rahmenrichtlinien (449)
Länderperspektiven (460)
Ausblick 466
Literaturverzeichnis 479
Personenregister 513
Sachregister 521
 
"Kein schwölstiges Wissen"
Ludwig von Friedeburgs umfassende Analyse der deutschen Bildungsreform / Von Detlef Berentzen
Bildungsreform — ein hartes Geschäft. Wer von ihr redet, spricht von ihrem Scheitern. Ganz problematisch wird es, wenn der Zeitgeist „Bildung" nur noch unter „Katastrophen" abhandelt, wie kürzlich eine Zeitung, die den 1964 von Georg Picht geprägten Begriff „Bildungskatastrophe" wiederbelebte. Da erhebt sich plötzlich jemand und behauptet: „Die Bildungsreform steht auf der Tagesordnung Man könnte meinen, Ludwig von Friedeburg sollte es besser wissen. Der ehemalige Kultusminister des Landes Hessen (1969 bis 1974) muß doch merken, was von dem „Großen Hessenplan", von Förderstufe und Gesamtschulträumen geblieben ist. Doch von Friedeburg wäre nicht jener höchst lebendige und wache Direktor des Instituts für Sozialforschung, wenn er nicht das Scheitern der Reform reflektieren und nach dessen Bedingungen fragen würde. Die Suche nach einer Antwort führt ihn weit zurück in die Geschichte. Zehn Jahre lang hat er den historischen Entwicklungslinien der Bildungsreform in Deutschland nachgespürt, um jetzt ein Buch darüber vorzulegen, das einen erstaunlichen Optimismus verbreitet („Bildungsreform in Deutschland. Geschichte und gesellschaftlicher Widerspruch", Suhrkamp Verlag 1989). Denn, so Friedeburg ganz richtig, die Durchsetzung von Reformen hat mit Macht zu tun. Und mit Interessen. Daß die Mächtigen die Bildung stets in ihre eigenen Dienste gestellt haben, um ihre Untertanen zu züchten und zu züchtigen, ist wohlbekannt. Und daran, auch das konstatiert von Friedeburg, hat sich nicht viel geändert. Wenn also Reform greifen soll, dann nur, so wollen es von Friedeburg und die Dialektik der geschichtlichen Bewegung, wenn Machtverhältnisse im Umbruch sind — wie etwa zur Zeit der Reformation, der Industrialisierung, des untergehenden Kaiserreichs Grundsätzliche Widerstände blieben freilich trotz aller Reformen wirksam. Etwa das ständige Bemühen der jeweils herrschenden Schichten um „Bildungsbegrenzung" zur Sicherung der eigenen Privilegien „Kein schwülstiges Wissen" sollten sich die niederen Stände aneignen, deklamierte Ludwig I schon 1825. Bundestagsabgeordnete — von Friedeburg zitiert sie —, die in Bildungsdebatten reklamieren, daß ein Elektriker Leitungen legen, aber nichts von der Stromabrechnung verstehen müsse, stehen noch immer in dieser Tradition.
Ludwig von Friedeburgs Gang in die Geschichte der Bildungsreform ist durchaus parteilich, wenn er sich denen widmet, die immer schon durchs Netz der Reformen gefallen sind, ja mit Reformen in Wahrheit nie gemeint waren — Bauern, Arbeiter, Frauen. Mit Akribie hat er auf seiner Geschichtswanderung die Quellen aufgesucht, 500 Seiten mit historischer Spezifikation gefüllt. Das vielfach belegte Resultat: Die gesellschaftlichen Bedingungen für Reformen entstehen aus der Kraft des Widerstands „von unten". Kein Wunder also, daß die Französische Revolution für von Friedeburg ein markantes Beispiel abgibt — eines, das allerdings auch zeigt, wie umfassend Veränderungen manchmal sein müssen, um wenigstens winzige Fortschritte zu ermöglichen. Nun will niemand den Aufbruch der sechziger und siebziger Jahre in die Euphorie der Bildungsreform mit den Folgen der Französischen Revolution vergleichen. Doch geschah auch dabei etwas Einzigartiges: In diesen Jahren wurden Weichen für Reformansätze gestellt, die in „Friedenszeiten" entwickelt worden und nicht einem Volksaufstand geschuldet waren. Die Qualität der Revolte, die vor über zwanzig Jahren zum Beispiel die Idee der integrierten Gesamtschule gegen die traditionelle Dreigliederung des Schulwesens setzte, fand zumindest ein gewisses Quantum an Entsprechung auch in der offiziellen Bildungspolitik. Freilich nur für kurze Zeit. Was dann kam, hat für von Friedeburg die Dimension einer geschichtlichen Erfahrung: „Der Mittelstand grub sich wieder ein"; die bürgerliche Konkurrenz setzte sich durch gegen eine „kopflastige" sozialdemokratische Bildungspolitik.
Von Friedeburg will diesen Prozeß erklären, den er den „Umschlag von Euphorie in Restauration" nennt. Er spricht von der „Beharrlichkeit" des Bildungssystems, das sich als weitgehend immun erweise gegen kulturelle Innovation. Von daher ist die Rede von der Notwendigkeit radikaler Brüche, die Veränderungen vorantreiben, nur konsequent. Solche Brüche werden auch weiterhin notwendig sein. Vielleicht ist mit ihrer Produktivkraft etwas gegen Bildungsantiquare wie den bayrischen Kultusminister Zehetmair zu setzen, die das gegliederte Schulsystem als Perspektive für das Jahr 2000 bezeichnen; und eventuell könnte in Baden Württemberg der Anachronismus des „Schulgebets" ad acta gelegt werden. Doch setzte dies die Entwicklung eines Gesamtstaats voraus, der zunächst die Ungleichzeitigkeit der historischen Entwicklungen in den einzelnen „Fürstenstaaten", vulgo Bundesländern, aufhebt. Nach wie vor jedoch ist Bildungspolitik Ländersache, und die angebliche Innovationsfreudigkeit ist nach A- und B Ländern differenziert. Für diese wird Bildungspolitik zur Mangelverwaltung, ihre Auseinandersetzung zu einem Streit um Marginalien. Unterdessen weisen die Gymnasien bereits Schüler ab; der gesellschaftliche Wert höherer Schulen steigt. Nach Realien und Humaniora fragt keiner mehr. Maßgebend ist heute der soziale Status des Schulabschlusses, seine Qualität als Berechtigungsnachweis, nicht die Qualität von geistigen Inhalten. Damit wird ein Bildungsbegriff festgeschrieben, der sich zwar an den Forderungen des Arbeitsmarkts orientiert, bei dem aber neben kulturellen Traditionsbeständen auch die Subjekte der Bildung, die Schüler und später die Studenten, gleichgültig werden.
Von Friedeburg postuliert in diesem Zusammenhang einen neuen Allgemeinbildungsbegriff. Er bestimmt ihn aber nicht näher. Die Folgerungen aus seinem beeindruckenden Gang durch die Geschichte der Bildungsreform bleiben skizzenhaft. Es bedarf schon der persönlichen Nachfrage im Institut für Sozialforschung, um festzustellen, daß der Frankfurter gar nicht so weit von den Positionen des Berliner Erziehungswissenschaftlers Ulf Preuß Lausitz (Alternative Liste) entfernt ist, der angesichts der möglichen ökologischen Zerstörung unseres Planeten die Entwicklung eines Bildungsbegriffs fordert, der darauf reagiert, daß die Zukunft nicht mehr selbstverständlich ist. Recht knapp, eher en passant, hat von Friedeburg in seinem Buch die Wissenschaft zur öffentlichen Verantwortung ihrer Arbeit und zu intensiver Selbstreflexion aufgefordert. Aber er ist und bleibt Protagonist der öffentlichen Erziehung mit einem emphatischen Blick fürs Ganze. Und hier ist ihm „Einheitsschule" nicht bloß eine Metapher, sondern harte Forderung. Denn sie, die gemeinsame Schule „für alle", ihr Entstehen und der Kampf um sie, sind die Schwerpunkte seines Buches. Da kann es ihm allerdings nicht um „Begabtensonderklassen" gehen, nicht darum, „einseitig Schwerstbegabte" (Jens Naumann, Max Planck Institut für Bildungsforschung) zu produzieren, und der jahrhundertealte Streit um die Notwendigkeit einer Elite, ohne die die Nation verkomme, findet den Demokraten von Friedeburg auf der Seite derer, die gegen „Selektionsschulen" argumentieren. Bildung im Sinne der Aufklärung meint eben zuerst die Emanzipation der Individuen und nicht deren funktionale Zurichtung für die Gesellschaft. Gerade im Hinblick auf „Erziehung als Zurichtung" sei leise verwundert angemerkt, wie sehr sich im Buch des kritischen Theoretikers von Friedeburg der Name Pestalozzi umtreibt. Immer wieder der Verweis auf jenen „Dichterpädagogen", der sicherlich wundervolle Bilder von Menschlichkeit und Liebe zeichnen konnte, aber als „hervorragender Pädagoge" von Gnaden einer Legende lebt. Die pädagogische Praxis des Mannes vom Schweizer Neuhof hatte weniger die Unterrichtung der Kinder im Sinne, als vielmehr die „Bemeisterung ihrer Bosheit". Das Menschenbild, vor dem Bildung zu diskutieren wäre, hätte sich an der Entfaltung der Individuen und nicht primär an der Beschneidung ihrer Möglichkeiten zu orientieren. Die Deutung der Geschichte als eines Lernprozesses, wie sie von Friedeburg betreibt, hätte auch den Mythos Pestalozzi zu zerstören. Es ist ja der Bruch mit „beharrlich" reaktionären Traditionen, den der Autor einklagt. Gerade die Geschichte der Pädagogik belegt die Folgen des Wahns von der Formbarkeit der Scholaren, und die Studien von Klaus Hurrelmann zur psychischen Schädigung von Schulkindern legen ein ebenso beklemmendes Zeugnis davon ab wie die Verzweiflung der Lehrer beim letzten „Grundschulkongreß" ob all der „schwierigen" Kinder. Die Sehnsucht der Pädagogen nach einer „Didaktik der Stille" spricht Bände: Sie sind der gesellschaftlichen Situation nicht mehr gewachsen. Vielleicht ist dies ein Zustand, der im von Friedeburgschen Sinne Reformen provoziert. Die kommenden Wahlen könnten klarstellen, wer eigentlich wahrnimmt, daß die Bildungsreform tatsächlich auf der Tagesordnung steht. Das Buch, in dem diese Behauptung plausibel gemacht wird, zeigt auf beeindruckende Weise Bildungsbürgern und Konservativen, wo sie herkommen, und Sozialdemokraten wie Grünen, wo es in Zukunft langgehen sollte. Nicht nur der Bildungssoziologe Ludwig von Friedeburg schrieb dieses Buch; der Politiker hat sich verdienstvoll eingemischt.

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Verfasser*in: Suche nach Verfasser*in Friedeburg, Ludwig von
Verfasser*innenangabe: Ludwig von Friedeburg. Mit einem Nachwort zur Taschenbuchausgabe 1992
Jahr: 1992
Verlag: Frankfurt am Main, Suhrkamp
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Systematik: Suche nach dieser Systematik PN.U
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ISBN: 3-518-28615-3
2. ISBN: 978-3-518-28615-9
Beschreibung: 1. Aufl., 532 S.
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Sprache: Deutsch
Fußnote: Literaturverz. S. 483 - 518
Mediengruppe: Buch