Gegenwärtig ist die Debatte über das Verhältnis von Säkularisierung und Religion neu aufgeflammt. In ihrem Zusammenhang stellt Talal Asads Buch Fragen, deren Beantwortung die uns lieb gewordenen Annahmen über das Säkulare erschüttern. Ist Säkularisierung wirklich darauf aus, Religion zu zivilisieren und so das Gewaltpotenzial zu bändigen, das sie dieser unterstellt? Ist der Zusammenhang von Modernisierung und Säkularisierung tatsächlich so eng und so unproblematisch gegeben, wie viele es annehmen? Welche diskursiven Zurichtungen sind es, die das Religiöse in säkularistischer Perspektivierung erfährt? - Kämpferischer klingen die Stimmen aus der arabischen Welt.
Grundlegend sind dabei die Arbeiten des arabisch-amerikanischen Anthropologen Talal Asad, der mit seinem im deutschsprachigen Raum kaum beachteten Buch "Formations of the Secular" von 2003 eine Art Fundamentalkritik liberal-säkularer Gesellschaften vorgelegt hat. Sie gipfelt in der Feststellung, dass die Gewalt und der Wille zur Macht dem Liberalismus unauslöschlich eingeschrieben sind, auch ¿ oder gerade weil ¿ sie sich auf Vernunft beruft.
"Die liberale Gewalt, von der ich rede (im Unterschied zur durchsichtigen Gewalt illiberaler Regime), ist die Gewalt der sich als universell verstehenden Gewalt selbst. Um einen aufgeklärten Raum zu schaffen, muss der Liberale ständig die Finsternis der Außenwelt bekämpfen, die damit droht, diesen Raum zu erobern. (...) Liberalismus ist keineswegs nur eine Leidenschaft für zivilisierte Umgangsformen, sondern er beansprucht das Recht, in Gestalt von Drohungen und der Anwendung von Gewalt Macht auszuüben, wenn es darum geht, die Welt zu erlösen und die Widerspenstigen zu bestrafen."
Auch Talal Asad bleibt damit im Negativmodus der Kritik. Mehr als bei vielen anderen schält sich in der Radikalität seiner Position jedoch eine gegenteilige Vision heraus, die dezidiert als nicht-säkular zu bezeichnen ist und damit die Möglichkeit ins Spiel bringt, Religion, Tradition und Spiritualität auch politisch zu verstehen. Es ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert, dass Talal Asad der Sohn von Muhammad Asad, alias Leopold Weiss ist, einem ursprünglich aus Lemberg stammenden Juden, der in den zwanziger Jahren in Berlin zum Islam konvertierte, nach Saudi-Arabien und Pakistan auswanderte und in den fünfziger Jahren der Vordenker eines progressiven, gleichwohl politisch selbstbewussten Islams wurde.
Inhalt
Einleitung: Säkularismus denken 7
Das Säkulare
1 Wie könnte eine Anthropologie des Säkularismus aussehen? 29
2 Überlegungen zu Handlungsvermögen und Schmerz 83
3 Überlegungen zu Grausamkeit und Folter 125
Säkularismus
4 Den >Menschen< durch die Menschenrechte erlösen 159
5 Muslime als »religiöse Minderheit in Europa 197
6 Säkularismus, Nationalstaat, Religion 223
Säkularisierung
7 Rekonfigurationen von Recht und Moral im kolonialen Ägypten 249
Anhang
David Scott/Charles Hirschkind
Talal Asads anthropologischer Skeptizismus 311
Über dieses Buch 325