Karl Leonhard Reinholds Briefe über die Kantische Philosophie gehören zu den wirkungsmächtigsten Produkten seines umfangreichen Schaffens und tragen wesentlich zur Etablierung der ersten Kant-Bewegung bei. Martin Bondeli macht in der vorliegenden kommentierten Ausgabe einen schwer greifbaren Text allgemein zugänglich. Die Neuedition mit einer ausführlichen Einleitung und einem Kommentar vermerkt zudem die Abweichungen von früheren Fassungen der in den Band eingeflossenen Texte. Der Band präsentiert neue Kontexte der Philosophie Reinholds, insbesondere zu Moral, Naturrecht und Freiheit, und leistet einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Geschichte der Kantischen Philosophie und des deutschen Idealismus. In den insgesamt 12 Briefen dieses Bandes finden sich neben diagnostischen Einlassungen zum Zeitgeist zahlreiche Reflexionen zur Begründung von Moral, Naturrecht und positivem Recht, in denen sich der damalige Gegensatz zwischen bürgerlichen Reformern und Vertretern eines sich neu formierenden Konservativismus spiegelt. Das philosophische Herzstück bilden die Briefe 6 bis 11. Im 6. Brief entwickelt Reinhold eine von Einsichten Kants ausgehende «Neue Darstellung der Grundbegriffe und Grundsätze der Moral und des Naturrechts», die mit dem 11. Brief durch eine am Verhältnis von Stoizismus und Epikureismus festgemachte historische Betrachtung zur Moralphilosophie ergänzt wird. Die bei dieser Neudarstellung eingeführte Deutung von Recht als «Erlaubnis» wird die naturrechtlichen Arbeiten Erhards, Fichtes, Schellings und anderer Autoren beeinflussen. Die Briefe 7 bis 10 enthalten richtungweisende Definitionen und Erörterungen zu Trieb, Wille und Willensfreiheit. Reinhold hat hiermit das praktische Fundament seines nachkantischen Systems erarbeitet und zugleich eine eigenwillige Interpretation des Begriffs der Willensfreiheit, wie er in Kants Schriften bis 1792 entfaltet wird, vorgelegt. Sein Versuch, die Autonomie des Willens nicht nur als dem Sittengesetz konformes Wollen und Handeln, sondern auch als Entscheiden für oder gegen das Sittengesetz zu verstehen, prägt bis heute die Debatten zu Kants Freiheitsbegriff. --- Reinholds Briefe über die Kantische Philosophie gehören zu den wirkungsmächtigsten Produkten seines umfangreichen Schaffens. Von den Zeitgenossen teils mit großer Begeisterung aufgenommen, tragen sie wesentlich zur Etablierung der ersten Kant-Bewegung bei. Durch ihr Bestreben, die Vernunftkritik als Theorie der moralisch-religiösen Erneuerung zu präsentieren, gelten sie als die brisanteste unter den damaligen philosophischen Neuerscheinungen. Sie sind wegweisend für einen Kantianismus, der sich im Laufe der 1790er Jahre als eine die politischen Umwälzungen in Frankreich flankierende Geistesrevolution begreift.
Der neu herausgegebene Band enthält zwölf Briefe, welche die "auffallendsten Resultate" von Kants Vernunftkritik ausgehend von den "dringendsten wissenschaftlichen und moralischen Bedürfnissen unserer Zeit" darstellen. Der Adressat erfährt, dass mit Kants Erkenntniskritik und moralischer Neubegründung der speziellen Metaphysik ein taugliches Mittel zur Bewältigung gegenwärtiger Grundlagenkrisen im Gebiete von Moral, Naturrecht, Theologie und Ästhetik bereitsteht. Mit Nachdruck wird das problemlösende Potential von Kants moraltheologischen Resultaten hervorgehoben. In Kants Vernunftglauben und Statuierung eines moralischen Erkenntnisgrundes für das Dasein Gottes und die Unsterblichkeit der Seele sieht Reinhold die besten Voraussetzungen für die Beendigung einer Reihe aufklärungshemmender Debatten. Im Visier steht allem voran der als Pantheismusstreit berühmt gewordene Disput zwischen Mendelssohn und Jacobi, in dessen Einflussbereich ein wenig ergiebiger Kampf zwischen Naturalisten und Supernaturalisten dominant werden sollte. Die Darstellung geschichtlicher Kontexte zur Idee der Unsterblichkeit der Seele und die eingehende Auseinandersetzung mit den antiken Seelenlehren kulminieren in der These, durch Kants Kritik und Neufundierung der rationalen Psychologie könne auch der bisherige, Antike und Neuzeit durchziehende Gegensatz zwischen Spiritualisten und Materialisten als aufgelöst gelten. Wiederholt wird zu Reflexionen über die Geschichte der Menschheit angesetzt, die deutlich machen, dass Reinhold das Geschichtsbild der Illuminaten mehr und mehr in Anlehnung an Lessings Idee einer kommenden Menschheitsepoche des dritten Evangeliums sowie an Kants Vision eines weltbürgerlichen Endzustandes vorträgt.
Die Neuedition ist mit einer ausführlichen Einleitung und einem Kommentar versehen. In diesen Teilen wird unter anderem auf die Entstehungsgeschichte der Briefe, auf Reinholds Kant-Rezeption sowie auf sein Kant-Verständnis, das mit der damals gängigen Ansicht über den "Alleszermalmer" kontrastiert, eingegangen. Vermerkt werden zudem inhaltlich relevante Abweichungen von früheren Fassungen der in den Band von 1790 eingeflossenen Textteile.
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