Über Jahrhunderte wurde unbefangen über Behinderungen gelacht. Erst im 18. Jahrhundert kommt es zu Einschränkungen und Verboten dieses Lachens. Bis Mitte der 1970er Jahre ist nicht Komik, sondern Mitleid prägend für den Umgang mit Behinderung. Heute ist es in bestimmten Kontexten, etwa Witzen und Cartoons, wieder erlaubt, sich über körperliche und kognitive Abweichungen zu amüsieren. Welche komischen Darstellungen von Behinderung sind für verschiedene Zeiten charakteristisch? Wie werden Lachanlässe und Lachverbote begründet? Anhand zahlreicher Quellen erforscht Claudia Gottwald komische Repräsentationen und ihre Diskurse und leistet damit einen Beitrag, die Kontingenz von Behinderung zu beleuchten.
"Mit ihrer Dissertation gibt Claudia Gottwald einen groß angelegten Überblick der Sprechweisen über komische Repräsentationen von Behinderung. Sie zeigt historische Veränderungen mittels vielfältigem Material auf und dokumentiert den Wandel des Lachens hin zu einem kritisch bewerteten Akt, der in Bezug auf Behinderung absolute Legitimation im Mittelalter erfuhr, heutzutage jedoch ein vielfach internalisiertes Verbot darstellt. Interessant wäre hier eine weiterführende Untersuchung des Wandels von Außenzwängen (theologischen, moralischen, philosophischen Lachverboten) zu Innen-/Selbstzwängen (internalisiertes Lachtabu).
Dabei dürfte das Buch vornehmlich historisch interessierte LeserInnen aus den Sozial-, Kultur-, Geistes- und Rehabilitationswissenschaften sowie der (Sonder- und Heil-) Pädagogik ansprechen.
Lehrenden an Schule oder Universität dient das Werk als Hintergrundinformation für Diskussionen über Komik und Behinderung. Gedacht ist an Unterrichtsfächer wie Werte und Normen, Ethik und Philosophie. Ebenso für die Ausbildung von ErzieherInnen, Sonder- und HeilpädagogInnen würde sich diese Lektüre als Vorbereitung von Lehreinheiten zu Verhalten gegenüber Behinderten sicherlich lohnen." socialnet.de
AUS DEM INHALT
Einleitung 9
1. Komik und Behinderung als Thema 15
1.1 Fragestellung und spezifisches Erkenntnisinteresse 15
1.1.1 Erkenntnismöglichkeiten und Relativität
des Komischen 16
1.1.2 Zur historischen und kulturellen Relativität
von Behinderung 19
1.1.3 Forschungsfrage 23
1.2 Wissenschaftstheorie, Methodologie und Methode 24
1.2.1 Geschichte, Wahrheit und Diskurs 25
1.2.2 Diskursanalyse und Hermeneutik 29
1.2.3 Quellen und Analyseverfahren 32
1.3 Zusammenfassung 38
2. Theorien des Komischen 41
2.1 Versuch einer Bestimmung des Komischen 41
2.1.1 Die umgangssprachliche Bedeutung des Begriffs 42
2.1.2 Ansatzpunkte der Theorien über das Komische 42
2.1.3 Das Komische, das Lächerliche und der Humor 44
2.2 Das Komische als Hässliches 47
2.2.1 Das Hässliche 47
2.2.2 Unschädlichkeit als Bedingung des Lachens
über das Hässliche 48
2.3 Das Komische als Gefühl 50
2.3.1 Überlegenheit und Aggression 50
2.3.2 Angst 52
2.3.3 Das Entlastungslachen 54
2.4 Das Komische als Widersprüchliches 56
2.4.1 Inkongruenzen und Kontraste 57
2.4.2 Der Kontrast zum Erhabenen und
die Bedeutung der Freiheit 60
2.5 Das Komische als Grenzüberschreitung
und Normverletzung 64
2.5.1 Transgression und Limitation 66
2.5.2 Ritters Theorie der >komischen Ordnung< 68
2.6 Zusammenfassung 70
3. Spotten und Lachen über Behinderungen
und behinderte Menschen 71
3.1 Das Lachen über die natürlichen Narren 71
3.1.1 Die natürlichen Narren - eine kurze Einführung 72
3.1.2 Die Institution des Hofnarrentums
und die Funktion der Narren 83
3.1.3 Die Chronik der Grafen von Zimmern (1566) 91
3.1.4 Die Narren in den Facetien Poggios,
Bebeis und Paulis 108
3.2 Spotten und Lachen über körperliche
und andere Behinderungen 115
3.2.1 Kleinwüchsige Menschen an den Höfen
und im Zirkus 116
3.2.2 Spott über blinde Menschen und die Blindheit 124
3.2.3 Spott über Kropf und Kretinismus 136
3.3 Komik und Behinderung im 18., 19. und
beginnenden 20. Jahrhundert 144
3.3.1 Die Situation Kleinwüchsiger
nach der Zeit der Hofzwerge 144
3.3.2 Konkrete Erfahrungen:
Zitronenjette und Max Herrmann-Neisse 147
3.3.3 Literarische Quellen 150
3.4 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen 156
4. Auseinandersetzungen mit Behinderung als
Gegenstand der Komik und Versuche der Begrenzung 163
4.1 Distanzierung vom Lachen über Behinderungen 164
4.1.1 Kritik am Lachen der >Alten< 164
4.1.2 Überwindung des Lachens über Behinderung
durch Bildung und Zivilisation 166
4.1.3 Abwertung der lachenden Subjekte 173
4-2 Theorien über die Ursachen
des Lachens über Behinderung 175
4.2.1 Überlegenheit und Stolz 175
4.2.2 Kontraste und Regelwidrigkeiten 180
4.3 Gründe für das Lachverbot 183
4.3.1 Die Sünde: moraltheologische Ansätze
des Mittelalters (Exkurs) 183
4.3.2 Dem Komischen widersprechende Empfindungen 191
4.4 Zwischen Schädlichkeit und Unschädlichkeit-
Versuche der Grenzziehung 201
4.4.1 Unschädliche oder schädliche Hässlichkeit? 202
4.4.2 Spiel und Simulation:
zur Nachahmung und zum Theater 212
4.5 Reaktionen behinderter Menschen auf den Spott 221
4.5.1 Sichtweisen, Einschätzungen und Vorurteile
nichtbehinderter Menschen 222
4.5.2 Eigen-und Innensichten: Positionen behinderter
Menschen im 19. Jahrhundert 231
4.6 Institutionen und Begriffe 239
4.6.1 Medizinisierung und Institutionalisierung von
Behinderung und ihr Verhältnis zur Komik 240
4.6.2 Behinderungsbegriffe zwischen 1711 und 1924 246
4.7 Verortung der Diskurse 254
4.8 Zusammenfassung 257
5. Und heute? 263
5.1 Witze und Spott über behinderte Menschen
in den 1970er und 1980er Jahren 264
5.1.1 Witze und Cartoons 264
5.1.2 Soziale Interaktionen 268
5.2 Komische Repräsentationen von Behinderung
und ihre Bewertung heute 270
5.2.1 Aussagen behinderter Menschen
seit den 1990er Jahren 272
5.2.2 Aussagen nichtbehinderter Menschen
seit den 1990er Jahren 283
6. Schlussfolgerungen 291
Literatur 299
Danke 329