Verlagstext:
Die Ungleichheit zwischen armen und reichen Ländern gehört seit dem Zweiten Weltkrieg zu den wichtigsten Themen der internationalen Politik. Dieses Buch zeigt historisch auf, welche Formen des Wissens dabei global bedeutsam wurden. Im Zentrum steht die Geschichte des zahlenmäßigen Vergleichs von Volkswirtschaften nach ihrem Bruttosozialprodukt. Diese Sichtweise war bis in die 1930er-Jahre unbekannt. Sie stammt aus der quantifizierenden Makroökonomie, doch die Vertreter dieser Disziplin standen den gesamtwirtschaftlichen Abstraktionen lange äußerst skeptisch gegenüber. Erst als nach 1945 aus dem Tagesgeschäft der internationalen Politik und der Diplomatie heraus eine neue Nachfrage nach globalen Statistiken entstand, trat das Bruttosozialprodukt seinen Siegeszug an. Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung stellte eine vermeintlich neutrale Darstellung von weltwirtschaftlicher Ungleichheit bereit, die es den politischen Akteuren erlaubte, Komplexitäten zu reduzieren. Daniel Speich Chassé untersucht diese Verringerung von Komplexität. Am Beispiel des wachsenden Einflusses von Wissenschaftlern auf die internationale Politik zeigt er auf, welches Potenzial die Wissensgeschichte in der Verbindung mit der Globalgeschichte hat. Eine neue Sichtweise des Dekolonisationsprozesses und der Entstehung von internationalen Organisationen wird entworfen. Und weiterführende Perspektiven zur Erforschung der Erfolgsgeschichte der Wirtschaftswissenschaften werden skizziert.
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Vorwort 9
Einleitung 11
1Die Vermessung der Wirtschaft 41
1.1 Colin Clark und die Bedingungen des wirtschaftlichen
Fortschritts 42
1.1.1 Eine statistische Kampfschrift von 1940 42
1.1.2 Die Aufnahme von Colin Clarks Arbeit in der Zunft 51
1.1.3 Der Kalte Krieg und der Universalismus der Statistik 55
1.2 Die deutsche Debatte über das Volkseinkommen 67
1.2.1 Das Vermächtnis der Historischen Schule 67
1.2.2 Wien, 1926: Streit im Verein für Socialpolitik 70
1.3 Die Entstehung des internationalen Zahlenvergleichs 80
1.3.1 Die Konzeption des "Ökonomischen" bei Simon Kuznets 82
1.3.2 Washington, 1947: Die Globalisierung der Statistik 88
1.4 Das System of National Accounts 96
1.4.1 Richard Stone und die Buchhaltung 99
1.4.2 Gründe für den Erfolg des "System of National Accounts" 103
1.4.3 Kritik am Buchhaltungs-Ansatz 107
1.5 Das Andere im Zählrahmen 112
1.5.1 Frauenkarrieren 113
1.5.2 Sozialwissenschaft im Spätkolonialismus 115
1.5.3 Phyllis Deane und das Problem der Differenz 121
1.5.4 Wirtschaftsstatistische Feldforschung 127
2Politik mit Zahlen 137
2.1 Wirtschaftsstatistik im entstehenden UNO-System 139
2.1.1 Wissenschaftlicher Universalismus 140
2.1.2 Ein technisches Friedenswerk 146
2.1.3 Die Sonderrolle der USA 149
2.1.4 Der Traum der Entwicklungshilfe 155
2.2 Entwicklungsökonomie als Handlungswissenschaft 162
2.2.1 Der Zauber der Investitionsquote 164
2.2.2 WArthur Lewis im Kreuzfeuer der Kritik 173
2.2.3 Geschichte in zählbaren Stufen 179
2.3 Die Weltkarte der Wohlstandsunterschiede 185
2.3.1 Dekolonisation als Kommunikationsprozess 187
2.3.2 Addis Abeba, 1961: Statistik im postkolonialen Raum 194
2.3.3 Die Entstehung der "Dritten Welt" 202
2.4 Das Ende der Entwicklungsökonomie 210
2.4.1 Wachstum und Entwicklung 210
2.4.2 New York, 2000: Die Vervielfältigung der Indikatoren 221
3Ökonomie und die Verwissenschaftlichung des Sozialen 231
3.1 Konturen des ökonomischen Universalismus 236
3.1.1 Das Ausgreifen der Wirtschaftswissenschaften 237
3.1.2 Die statistische Abgrenzung der Wirtschaft 245
3.2 Globale Zeiträume der Verwissenschaftlichung 253
3.2.1 Der Aufstieg der Experten 254
3.2.2 Die Ökonomie im Verwissenschaftlichungsprojekt 261
Bilanz 273
Abkürzungen 279
Quellen- und Literaturverzeichnis 283