Nicht erst die gegenwärtig extreme Häufung von Femiziden durch (Ex-)Beziehungspartner in Österreich erinnert daran: Gewalt dringt nicht so oft von ›außen‹ ein, wie sie vielmehr im sozialen Nahbereich ausgeübt wird, oftmals im gemeinsamen Haushalt. Häusliche Gewalt, die fast immer von Männern ausgeht, wird zur gewohnten Gewalt, wird von Betroffenen wie auch von Öffentlichkeiten viel zu oft als normal, als Teil des Alltäglichen, hingenommen.Das Kino weiß davon: nicht zuletzt davon, wie das allzu Gewohnte von Herrschafts- und Gewaltverhältnissen in Form von Schocks und Schrecken wahrgenommen wird; und wie daraus wiederum Routinen entstehen, Subgenres und Kinotrends, räumliche und erzählerische Muster. Besonders Filmthriller erzählen häufig von Heim, Beziehung und Familie als Schauplätzen von Bedrohung durch deine täglichen Nächsten, die männlich gegendert und sozial klassifiziert ist. Von den Gaslight-Filmen der 1940er Jahre und ihren Nachbildern bis zu den Wendungen von Gone Girl (2014), vom Sixties-Klassiker What Ever Happened to Baby Jane? bis zum Oscar-Gewinner Parasite (2019), von Nazis und anderen Feinden in deinem Bett bis zu den totalen (und brutalen) Familien des österreichischen Films: Diese Arten von Spannungskino wirken auch zurück auf populäre Sprechweisen und Vorstellungen von Gewalt, Viktimisierung und Gegenwehr.Die circa 50 kurzen Texte dieses Bandes ziehen Bahnen durch dieses Feld der domestic thrillers und ihrer Umgebungen, in Hollywood und weltweit. Filmkritik und Filmgeschichte verbindet sich dabei mit Sozialkritik der Gegenwart: Was an diesen Motivvorräten von Nahgefahr, Psychospielen und Entmächtigung erscheint im Licht rezenter Erfahrungen von Lockdown und ansteigender Beziehungsgewalt wieder oder neu aufschlussreich und klarsichtig? Wo sind diese Filme in ihren Festschreibungen – etwa von Rassifizierungen, von Geschlechter- und Klassenpositionen – selbst Teil des Problems? Und was verrät das Kino im Spannungsmodus über den Schrecken, der Alltagsobjekten, Hausarbeit und privilegierten Lebensweisen latent innewohnt? (Verlagstext)
Inhalt
Einleitung
Drehli Robnik /Joachim Schätz
1. Regieren, Manipulieren: Psychospiele und Gaslighting
„Stell Dir vor, es geht das Licht aus"
Starke Frauen und schwache Männer in den Versionen von gaslight
Elisabeth Streit
Gregory verdattert, Ralph erschossen
Über die stille Macht der unbekannten Frauen in gaslight (1944)
und MY NAME IS JULIA ROSS (1945)
Martin Thomson
Das Haus am Sutton Place
Häusliche Herrschaft und heimliche Gewalt im Zentrum der Macht:
SLEEP, MY LOVE (1948)
Karl Sierek
Wenn weiße Männer alles wollen
Gaslighting und Faschismus im Domestic Thriller 1940/2020
Drehli Robnik
Zur Nachahmung empfohlen?
Zwei,instruktive" Filme zur häuslichen und medialen Gewalt:
AWAIT FÜRTHER INSTRUCTIONS (2018) und SURVIVAL SKILLS (2020)
DavidAuer
Selbstbefreiung durch Selbsttechnologie
Videofilming gegen Gaslighting in before i go to sleep (2014)
Renee Winter
Two Girls on Different Trains
Die Hollywood- und die indische Netflix-Verfilmung von
The Girl on the Train
Claus Tieber
Meine teuflischen Nachbarinnen
Unzuverlässige Wahrnehmung und unglaubwürdige Zeuginnenschaft in
THE WOMAN IN THE WINDOW (2021) und FEAR OF RAIN (2021)
Ulrike Wirth
2. Beziehung als Bedrohung: Männergewalt
Das unheimliche Script des Patriarchats
ROSEMARY’s BABY (1968)
Irina Gradinari
Häusliche Gewalt als zeitloses Sittenbild der Gesellschaft
MARTHA (1974)
Laura Wiesböck
Mehr mütterlich als männermordend
Zur Selbstverteidigung im J.Lo-Film enough (2002)
Lea Susemichel
He said/She’s bad
Glaubwürdigkeit in GONE GIRL (2014)
Louise Haitz
Sex und Crime daheim
Echte Femizide vor der Netflix-Jury
Sara van Dordrecht
Dritte Instanz: Die Frauen mit der Kamera
Der Dokumentarfilm in Österreich und Szenarien häuslicher Gewalt
Alejandro Bachmann/Michelle Koc
MIT DIESEM PROBLM STEHEN SIE NICHT ALLEINE DA
AUSWEGE (2003)
Marie Luise Lehner
3. Haus/Arbeit
Erinnerungen an die Unterentwicklung
Dreimal the housemaid (1960-1982)
Sulgi Lie
Parasites und Para-$ites
Klasse, Solidarität und Scham in zwei Filmen über Hausangestellte,
die heimlich eine Villa bewohnen -
PARASITE (2019) und ALL THE PRETTY LITTLE HORSES (2020)
Sebastian Schweer
Es knarrt in Lizzie Bordens Closet
Queere Genrereflexivität in LIZZIE (2018)
Stefan Schweigler
Un-heimliche Klassenverhältnisse
THE PLUMBER (1979)
Thomas Waitz
THE SHINING (1980)
Das Homeoffice als Todesfälle
Dominik Dusek
Die Gastfreundschaft der Frauen
Vier Filme über ältere Frauen und jüngere Männer
Valerie Dirk
Einander lesen, einander nutzen
SHIRLEY (2020)
Karin Harrasser
4. Gegeneinander zusammenwohnen
Wohnungsvermietung als Ohnmachts- und Gewaltverhältnis
LE LOCATAIRE - DER MIETER (1976) und PACIFIC HEIGHTS (1990)
Gabu Heindl
Der eingeladene Terror
Zwischen Pseudo- und Neoliberalismus im Domestic Thriller um 1990
Jan-Hendrik Müller
Starren und Domestifizierung
WHAT EVER HAPPENED TO BABY JANE? (1962)
Dennis Göttel
Hollywood-Monster
Auf Spurensuche mit Baby Jane und
Robert Aldrich im domestischen Thriller
Ivo Ritzer
Zusammenziehen im Untergang
THE HOLE (1998)
Kristina Pia Hofer
Horizontal Vertikal /\ House, Home, Violence, Vision
Heim (2009) und Nation estate (2012)
Iris Fraueneder
5. Familien-Fälle
Gewalttätige Kinder als BadSeeds von Müttern?
Zu Filmen von Mervyn LeRoy, Lynne Ramsay,
Xavier Dolan und Giorgos Lanthimos
OlafSanders
Spanne(r)nde Seventies
Psychokrieg im Strandhaus unter Palmen in what the peeper saw (1972)
Florian Widegger
Making kin am Pferdehof
PELIKANBLUT (2019)
Monika Bernold
Untold Family Secrets
NATTLEK -VERSCHWIEGENE SPIELE (1966)
Brigitte Mayr
Die totale Familie
Gewalt, Besitz und Souvenir im österreichischen Film
Matthias Wittmann
Onkel Charlie-Komplex
SHADOW OF A DOUBT (1943) und STOKER (2013)
Melanie Letschnig
Boy Meets Woman
Manipulation und Ambiguität in MY COUSIN RACHEL
nach Daphne du Maurier (1952 und 2017)
Sylvia Szely
6. Inneneinrichtung
„Theysmell the same!"
Verhängnisvolle Wohnverhältnisse in BongJoon-hos parasite (2019)
Kathrin Heinz
„From the looks ofthings"
DETOUR (1945)
Lisa Gotto
Merkwürdige Katzen
Bildspannung in den Heimfilmen von Ramon Zürcher und Händl Klaus
Linda Waack
Domestic Thriller ohne vier Wände
Herrschaft und Privates in postkolonialen Filmen:
MEURTRE A PACOT - MORD IN PACOT (2014) und
KARE KARE ZVAKO (2005)
Aylin Basaran
Surveillerotica
Zur Videofilmserie night eyes
Lukas Foerster
Besitz besichtigen, Besitz bewegen
Das Einfamilienhaus als Schauwert und Schauplatz
bei Claude Chabrol und nach fatal attraction (1987)
Joachim Schätz
7. Spielräume und Auswege
Jo B.n.t by Jo B.n.t
Joan Bennett, Blaubart, Büchsen, Besetzungen
Johannes Binotto
„Still waters certainly run deep"
So übel Joan Fontaine in ihren berühmtesten Filmen
auch mitgespielt wird, am Ende triumphiert sie doch
Michael Omasta
Stimme geben, Stimme nehmen
THE SPIRAL STAIRCASE (1946)
Christian Cargnelli
Verjüngungskur mit Giftpilzen
PHANTOM THREAD (2017)
Heike Klippel
Home Terror Home
Gewalt gegen Menschen mit Behinderung und der Horror
der Normalität-ausgehend von RUN (2020)
Vina Yun
Gehäusebrüche
thrilling Women
Irene Nierhaus
Messer, Gabel, Schere, Licht
Über swallow (2019)
Kathi Hofer
Horror im Haus
PRÄSTÄNKAN - DIE PFARRERSWITWE (1920) und CRAIG's WIFE (1936)
Heide Schlüpmann
Apparat
Autor_innen
Register der Filme, Serien und Podcasts
Abbildungsnachweise