Die theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema Geschlecht ist im Kontext systemischer Therapien seit den 1990er Jahren verstummt. Die Weiterentwicklung feministischer Theorienbildung um dekonstruktivistische Ansätze wird somit weitgehend ignoriert. Das ist insofern erstaunlich, als Konstruieren und Dekonstruieren von Wirklichkeiten und Vorannahmen Schwerpunkte systemischer Therapien darstellen. Die Dekonstruktion von Geschlecht allerdings ist im systemtherapeutischen Diskurs noch nicht erfolgt. Damit verbleibt Geschlecht in einem metaphysischen Bereich.
Diese Leerstelle greift dieses Buch auf und zeigt, dass sowohl der radikale Konstruktivismus als auch der soziale Konstruktionismus als Grundlage des narrativen Ansatzes keine ontologischen Letztbezüge kennen. Es wird dargelegt, dass das aktuell wirkmächtige Geschlechtermodell der Sex/Gender-Trennung, zirkulär verknüpft mit der „naturhaften“ Zweigeschlechtlichkeit, im systemischen Denkgebäude theoretisch nicht haltbar ist.
Es braucht also ein neues Konzept, Geschlecht zu denken, das den Ansprüchen (narrativer) systemischer Therapie gerecht wird. Dieser Aufgabe stellt sich die Autorin, indem sie den auf Michel Foucaults Überlegungen gründenden narrativen Ansatz mit der politisch-philosophischen Gendertheorie Judith Butlers zusammenführt. Daraus wird eine neue psychotherapeutische Haltung zu Gender entwickelt, die den systemischen Anspruch, die Anzahl der Möglichkeiten zu vergrößern, erfüllt.
Zum Geleit 3
Psychotherapie zwischen Affirmation und Emanzipation - eine Einleitung 7
1. Die systemische Therapie entdeckt das Geschlecht 21
Nachgedanken - Kritik 24
2. Psyche und Geschlecht 27
2.1 Die Erfindung der Psyche und der Psychologie 27
2.2 Die Natur okkupiert Geschlecht und Sexualität 31
Nachgedanken 36
3. Grundlagen narrativer systemischer Therapie und psychotherapeutische
Selbstverortung 43
3.1 Radikaler Konstruktivismus 47
3.2 Das Geschlecht des radikalen Konstruktivismus und das Problem der Macht50
3.3 Sozialer Konstruktionismus 56
Nachgedanken - Kritik und Erkenntnis 61
4. Aus der Deutungshoheit des Skalpells: Der Gender-Begriff 67
Nachgedanken 68
5. Feministische Wissenschaft, Androzentrismuskritik und Politik 71
Blitzlichter zum Konstruktionscharakter von Geschlecht und ein Essay 74
5.1 Simone de Beauvoir befragt die Biologie 74
5.2 Margaret Mead findet ein Kontinuum 75
5.3 Gayle Rubin erklärt das Sex/Gender-System in einem Essay 75
Nachgedanken zu Gayle Rubin 78
5.4 Susanne Kessler und Wendy McKenna: Alltägliche Konstruktion von
Zweigeschlechtlichkeit 80
5.5 Christina Thürmer-Rohr nimmt Frauen in die Pflicht 81
5.6 Carol Hagemann-White bezweifelt die Binarität 81
5.7 Candace West und Don Zimmerman zeigen, was alle tun 84
Nachgedanken 86
6. Poststrukturalismus 89
6.1 Das psychopolitische Subjekt 90
Nachgedanken 93
6.2 Geschlecht therapieren 97
6.3 Judith Butler 101
6.4 Geschlecht neu denken 104
6.4.1 Die Macht der Sprache im Diskurs 104
6.4.2 Die Subjektwerdung in der "Matrix der Intelligibilität" 109
6.4.3 Der Zwang in der Performativität 114
6.4.4 Die Kritik in der Parodie 119
6.4.5 "Ain't I a Woman?" 122
Nachgedanken und Ausblick 125
7. Narrative Therapie und Geschlechterdekonstruktion 129
7.1 Theoretische Treffpunkte 129
7.1.1 Die Frage nach der Wahrheit 130
7.1.2 Sprache und Diskurs 131
7.1.3 Politische Verantwortung 133
Nachgedanken/Politik 134
7.2 "Aufstand des unterdrückten Wissens" 136
7.3 Vorläufige theoretische Conclusio 141
8. Vom Geschlecht-Sein zum Geschlecht-Tun - ein narratives
Geschlechter(de)konstruktionsmodell 143
8.1 Narrative Geschlechter(de)konstruktion 146
8.2 Psychotherapeutische Sprache in Geschlecht-Geschlecht in der
psychotherapeutischen Sprache 152
8.3 Das offene Gender als narrative Haltung 156
Schluss und Ausblick 165
Danksagung 169
Literatur 170