Verlagstext:
Der unzeitgemäße Marx ist eine Herausforderung: 1995 erschienen, will Daniel Bensaïd nach dem Ende des Realsozialismus Marx von seinen dogmatischen und orthodoxen Gespenstern befreien. Er legt die theoretische Kohärenz seines kritischen Denkens frei und macht seine Aktualität deutlich: denn hat der Warenfetischismus nicht den ganzen Planeten erfasst?
Bensaïd geht mit einer negativen Dialektik vor und analysiert zunächst, was das Marx'sche Denken nicht darstellt: keine Philosophie vom Ende der Geschichte, noch eine empirische Klassensoziologie, die den unwiderruflichen Sieg des Proletariats ankündigt, noch eine Wissenschaft des Fortschritts. Marx¿ drei Kritiken: der historischen Vernunft, der ökonomischen Vernunft und des wissenschaftlichen Positivismus gehen aufeinander ein und ergänzen sich.
Der Autor liest Marx neu und interpretiert seine Theorie als Antworten auf gegenwärtige Fragen über den Sinn der Geschichte, die Repräsentation der Zeit, das Verhältnis zwischen den sozialen Widersprüchen und anderen Konflikten wie Gender, Nationalismus, Religion.
Der philosophisch-literarische Text misst die zeitgenössische Marx-Rezeption an Marx¿ Theorie.
Der französische Theoretiker und Aktivist Daniel Bensaïd, der mit nur 63 Jahren an einer schweren Krankheit starb, ist in Deutschland nur in kleinen Zirkeln bekannt. Dabei gehörte er in Frankreich zu den zentralen Personen der radikalen Linken. Er lehrte Philosophie an der Universität Paris 8 und war Mitbegründer der NPA (Neue antikapitalistische Partei).
»Bensa«, wie ihn seine Genossen nannten, war ein beschwingter Philosoph, der den Marxismus auf subjektivistischer Grundlage fortschrieb, ein unermüdlicher Aktivist, der an allen politischen und sozialen Auseinandersetzungen angefangen bei den Mobilisierungen gegen den Algerienkrieg über den Mai 68 bis in seine letzten Lebensmonate beteiligt war. Ebenso war er ein poetischer Schriftsteller, dessen Texte alle Genregrenzen durchbrechen. Darüber hinaus gilt Bensaïd als einer der originellsten und subtilsten Denker der historischen Zeit.
Aus dem Inhalt:
Erster Teil
Vom Heiligen zum Profanen
Marx¿ Kritik der historischen Vernunft..9
1. Eine neue Geschichtsschreibung..9
Das Elend der Popper¿schen Philosophie 11
Das Alphabet der neuen Schreibweise. 19
Von Affen, Eicheln und Menschen.28
Die Universalgeschichte dekonstruieren36
2. Die verstimmten Zeiten (Über den analytischen Marxismus)..41
Marx, ein Theoretiker der historischen Norm?42
Entsprechungen und Optimierung.49
Unterbrechungen und Zwischenfälle53
Historische Notwendigkeit und tatsächliche Möglichkeiten56
Inventar des Fortschritts..63
3. Ein neues Lauschen der Zeit71
Träume und Alpträume der Geschichte..71
Die Zeit als soziales Verhältnis.75
Gemessene und messende Zeit81
Ontologische und messianische Kritik.85
Die Politik hat von nun an den Primat über die Geschichte..92
Zweiter Teil
Der Kampf und die Notwendigkeit
Marx¿ Kritik der soziologischen Vernunft..97
4. Die Klassen oder das verlorene Subjekt97
Die unauffindbare Soziologie98
Produktion und Ausbeutungsverhältnis. 105
Zirkulation und produktive Arbeit..107
Die Reproduktion des Gesamtprozesses und das Rätsel des
unabgeschlossenen Kapitels..109
Soziale Klassen und politische Repräsentation . 114
5. Kämpfen heißt nicht spielen
(Spiel- und Gerechtigkeitstheorien bei Marx).. 124
Ein nicht juristischer Begriff von Gerechtigkeit. 126
Endliches Spiel, unendliches Spiel..133
Unterhalb und oberhalb der Gerechtigkeit 136
Adieu Wert, abstrakte Arbeit 145
Die Zweideutigkeit der Gerechtigkeit..153
Der Determinismus begehrt auf.162
6. Aber wo sind die Klassen geblieben?. 167
Eine allgemeine Theorie der Ausbeutung167
Das Geduldspiel der Mittelklassen .178
Wer beutet wen aus?183
Ist das Proletariat nicht mehr rot?. 190
Dritter Teil
Die Ordnung der Unordnung
Marx' Kritik des wissenschaftlichen Positivismus. 207
7. Wissenschaft anders betreiben 207
Die Wissenschaft im deutschen Sinne..208
Deutsche Wissenschaft?.. 213
Die Quellen der deutschen Wissenschaft. 214
Permanenz der Kritik 229
8. Eine neue Immanenz .245
Offene Totalität und Widerspruch.. 247
Die Bestimmung als Klarstellung. 252
Eine Wissenschaft des partikularen Konkreten. 257
Logische Ordnung, historische Ordnung..260
9. Die Hilflosigkeit der historischen Logik.. 267
Historische Kausalität und objektive Möglichkeit .268
Intrinsische Ursache und freie Notwendigkeit 272
Mechanische Notwendigkeit und permissive Notwendigkeit 275
Intendierte Notwendigkeiten und tendenzielle Gesetze..289
10. Chaotische Choreographien294
Die Spuren des Chaos295
Die Krise der europäischen Wissenschaften 297
Wirbelnde Logiken.302
Der Maskenball der Waren.308
11. Die Qualen der Materie
(Beitrag zur Kritik der politischen Ökologie)319
Ein natürliches menschliches Wesen 320
Auf der Suche nach der vergeudeten Energie..337
Physische Arbeit, gesellschaftliche Arbeit. 346
Ökologische Unvernunft der ökonomischen Vernunft.354
Das elende Maß des Reichtums.. 361