"Federns unorthodoxe Beschreibungen und Analysen, die mit den allzu einfachen Zuordnungen von Gut und Böse brechen, zeigen, was psychisch mit den Menschen geschehen ist, nachdem die Nazis an die Macht gekommen waren, um verhindern zu helfen, daß es noch einmal dazu kommt." Achim Perner, Arbeitshefte Kinderpsychoanalyse
In systematisierender Form setzt sich Federn mit den Grundmerkmalen und Methoden einer Psychologie der Extremsituation auseinander. Allgemein als "Terror" definiert, unterscheidet er dabei zwischen physischer und psychischer Folter, deren Verknüpfung das System Konzentrationslager als "höchstentwickelte" Form der zynischen Barberei kennzeichnet. Dabei lehnt Federn zugleich populäre Begriffe wie den der "Kollektivschuld" ab und liefert stattdessen eine differenzierte Sicht auf das Innenleben des Lagers, das sich als verkleinertes Abbild des kompletten Nationalsozialistischen Regimes darstellt.
Federns Ausführungen werden ergänzt durch Beiträge von Bernhard Kuschey, Wilhelm Rösing und Maritha Barthel-Rösing sowie von Roland Kaufhold, die sich mit Federns Leben und seinem Werk auseinandersetzen. Der Anhang liefert zusätzlich eine Studie von Federn über das Konzentrationslager und eine Dokumentation des Briefwechsels mit Bruno Bettelheim, den er im Konzentrationslager Buchenwald kennenlernte, aus den Jahren 1945 bis 1989.
Federn, 1914 in Wien geboren, war von 1938 bis 1945 als politischer Häftling in den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald inhaftiert. Er und Bruno Bettelheim lernten sich im Konzentrationslager Buchenwald kennen.
"[...] In den KZs wurde aus solchem Terror ein ausgefeiltes System, ein Netz, in dem sich die Opfer unheilvoll mit den Tätern verfingen. Ernst Federn, der 1938 in Wien als Trotzkist verhaftet worden war, beschreibt die Psychologie des Terrors und der Terroropfer aus eigener Erfahrung. Er hat sie nach seiner Freilassung aus dem KZ Buchenwald in einem Bericht niedergelegt: Selbst politische Häftlinge, die in Buchenwald "Lagerfunktion" übernommen hatten, wurden dort "wider ihren Willen zum Werkzeug der SS". In dem von Roland Kaufhold herausgegebenen Band findet sich im Anhang auch eine Dokumentation des Briefwechsels Federns mit Bruno Bettelheim, der bis 1939 in Buchenwald inhaftiert war und danach in die USA emigrieren konnte. Und so ist dieser Band nicht nur Lesern zu empfehlen, die grundlegend über Traumatisierungsfolgen bei politischen Gefangenen informiert werden wollen, sondern auch Lesern, die sich für die in die Zeitgeschichte verwobene Geschichte der Psychoanalyse interessieren." Bernd Nitzschke
""Als Wilhelm Rösing 1992 seinen Dokumentarfilm "Überleben im Terror - Ernst Federns Geschichte" im Frankfurter Filmmuseum erstaufführte, wurde der Wiener Psychoanalytiker Ernst Federn hierzulande einem breiteren Publikum bekannt. Er berichtete darin als Zeitzeuge nicht nur von den sieben Jahren Haft im Konzentrationslager Buchenwald, sondern - und das war thematisch neu und vielen unbekannt - auch von der Gefahr, der er als damaliger Trotzkist auch von Seiten der kommunistischen Funktionshäftlinge ausgesetzt war, welche in Buchenwald nach dem "Teile und herrsche"-Prinzip der Nazi eine interne Lagerhierarchie hatten aufbauen dürfen und dementsprechend bestimmte Häftlinge begünstigten und andere - wie ihn - benachteiligten, was unter den dortigen Bedingungen immer mit Todesgefahr verbunden war. Der Filmbericht brach mit dem Mythos der solidarischen Einheit der (politischen) Häftlinge unterinander. Ernst Federn ließ jedoch keinen zweifel daran, daß "alle diese Dinge (.) doch nur Anklagen gegen den faschistischen Terror und nicht gegen seine Opfer" sind.
In Buchenwald begann auch die lebenslange Freundschaft zwischen Federn und Bruno Bettelheim. In dieser Situation des vollständigen Ausgeliefertseins fanden sie ein Mittel zum Überleben dadurch, daß sie sich nicht als leidende Opfer betrachteten, sondern als gemeinsame stille Beobachter des im Lager herrschenden NS-Terrors. Sie wollten insbesondere die psychologischen Mechanismen von Terror und Sadismus sachlich ergründen, eine "Psychologie der Extremsituation" erarbeiten und notierten an Ort und Stelle einige Beobachtungen und Überlegungen. Ernst Federn gelang es, bereits 1945 und 1946 zwei wissenschaftliche Studien zu diesem Thema fertigzustellen, an deren Veröffentlichung zunächst allerdings kein Interesse bestand und die zum Teil erst später in Belgien und Frankreich erschienen und innerhalb der Fachliteratur auf keine Resonanz stießen. Im vorliegenden Buch werden - neben anderen Aufsätzen, beispielsweise gedenkenden Erinnerungen an ermordete Mithäftlinge und Sekundärliteratur - diese beiden aufschlußreichen Analysen "Versuch einer Psychologie des Terrors" und "der Terror als System: das Konzentrationslager", die auch eine ungeschminkte und nüchterne Wiedergabe des Lageralltags in Buchenwald enthalten, nun erstmals (!) zusammenhängend publiziert. Bemerkenswert an jenen Aufzeichnungen ist ebenso, daß sich der Häftling Ernst Federn als Psychoanalytiker bemühte, sich nicht nur mit seiner eigenen Situation, sondern auch mit den konstatierten Verhaltensmechanismen seiner Peiniger auseinanderzusetzen und somit sowohl über deren äußere und innere Zwänge reflektierte als auch über die Wechselwirkung zwischen Leidendem und Peiniger und ihren Konsequenzen. Was Ernst Federn damals und heute hervorhebt, ist, daß er mit seinen Studien ein Terrorsystem wie das Nazi-Regime keineswegs historisieren will, sondern terroristische Regime, deren Intention die Vernichtung des Gegners ist, auch als zukünftige Bedrohung der Menschheit betrachtet. Die Fähigkeit, ein terroristisches System aufzurichten, bestünde immer, schreibt er: "Nur kann verhindert werden, daß diese Fähigkeit zur Wirklichkeit wird." Daran arbeitet er seitdem sein ganzes Leben lang, praktisch und theoretisch." Marianne Kröger
AUS DEM INHALT: / / Vorwort zur Neuauflage 7 / Roland Kaufhold / Vorwort 23 / Ernst Federn / Einleitung 25 / Roland Kaufhold / / Teill / Versuche zur Psychologie des Terrors / Versuch einer Psychologie des Terrors (1946/1989) 51 / Emst Federn / Einige klinische Bemerkungen zur Psychopathologie des Völkermords (1960/1969) 92 / Emst Federn / Mechanismen des Terrors (1996) 105 / Emst Federn / / Teil 2 / Ernst Federns Erinnerungen an Mithäftlinge / Fritz Grünbaums 60. Geburtstag im Konzentrationslager (1945) 111 / Emst Federn / / Gemeinsam mit Robert Danneberg im KZ (1973) 114 / Ernst Federn / Bruno Bettelheim und das Überleben im Konzentrationslager (1994) 121 / Emst Federn / / Teil 3 / Studien über Ernst Federns Versuche zur Psychologie des Terrors / Das Leben Ernst Federns im absoluten Terror des nationalsozialistischen Lagersystems 127 / Bernhard Kuschey / Überleben im Terror - Ernst Federns Geschichte. / Zur Entstehung des Filmes mit Ernst Federn und Hilde Federn 144 / Wilhelm Rösing & Maritha Barthel-Rösing / Material zur Geschichte der Psychoanalyse und der Psychoanalytischen Pädagogik: Zum Briefwechsel zwischen Bruno Bettelheim und Ernst Federn 161 / Roland Kaufhold / / Anhang / Der Terror als System: Das Konzentrationslager (1945) / (Mit einer Einführung von W. Rösing) 191 / Ernst Federn / Dokumentation des Briefwechsels Bruno Bettelheim - Ernst Federn 235 / Literatur 254 / Die Autorinnen und Autoren 261