Der Monte Verità (dt. Wahrheitsberg) ist ein kulturgeschichtlich bedeutender Hügel (Höhe 321 m im Westen von Ascona, im Kanton Tessin, Schweiz. In den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war der Monte Verità Sitz einer lebensreformerischen Künstlerkolonie, die als eine der bedeutendsten Wiegen der Alternativbewegungen gilt und stark durch die Ideen ihres Mitbegründers Gusto Gräser und des Lebensreformers Karl Wilhelm Diefenbach geprägt war. In ihr sammelte sich der Widerstand gegen die Kultur und Gesellschaft der Zeit, die als patriarchal und militaristisch wahrgenommen wurden. Monte Verità wurde ein Zentrum neuer Bewegungen: Lebensreform, Pazifismus, Anarchismus, Theosophie, Anthroposophie, OTO, Psychoanalyse, östliche Weisheit, Ausdruckstanz.
Darüber hinaus wurde der Monte Verità auch ein Zentrum des politischen Widerstands gegen die autoritären und chauvinistischen Regime des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. So war der Kanton Tessin im 19. Jahrhundert unter anderem Anlaufpunkt verschiedener russischer Intellektueller, speziell bedeutender Anarchisten. Neben Graf Pjotr Alexejewitsch Kropotkin (1842–1921) hielt sich in den Jahren 1873/74 Michail Bakunin (1814–1876) in Locarno-Minusio und Lugano, also in direkter Nähe zu Ascona, auf. Auch nach der Gründung des Sanatoriums Monte Verità 1900 blieben Anarchisten und Pazifisten Gäste auf dem Berg. Als Beispiel sei hier nur auf Erich Mühsam verwiesen. Der politische Aktivist und Antimilitarist befreundete sich während seiner Aufenthalte zwischen 1904 und 1908 mit dem Siedler Gusto Gräser. Vor und während des Ersten Weltkriegs sammelten sich dort die Pazifisten, Verweigerer, Emigranten und Flüchtlinge aus den kriegführenden Staaten: so Hans Arp, Hugo Ball, Ernst Bloch, Hermann Hesse, Ernst Toller und viele andere. Durch Hermann Hesse, der seinen Freund, den Mitgründer Gusto Gräser, in den Meistergestalten seiner Dichtungen verewigte, durch Gerhart Hauptmann, Bruno Goetz, Reinhard Goering, Emil Szittya und andere, vor allem aber durch die Person und das Werk von Gusto Gräser selbst, wurde der Berg zu einem Mythos.
INHALT
Martin Meyer
10 Grosse Pläne, böses Scheitern
Der Glaube an Utopie, Autonomie und Weltverbesserung, der den Monte Veritä prägte, lässt sich zurückverfolgen bis ins Paradies zu Adam und Eva.
Oliver Prange / Bild-Portfolio
16 Rudolf von Laban, Vater des neuen deutschen Tanzes
Die bekleideten und unbekleideten Tänzerinnen und Tänzer von Rudolf von Laban prägen den Mythos des Monte Veritä bis heute.
Mario Botta
24 Es werde Licht!
Es ist kein Zufall, dass der Monte Veritä im faszinierenden Licht des Südens entstand. Der Tessiner Architekt Mario Botta kämpft gegen die Zerstörung unseres kulturellen Erbes durch kommerzielle Architektur und für den Sonneneinfall in unsere Kultur.
Harald Szeemann, Theo Kneubühler, Willy Rotzler, Dominik Keller
30 Die grossen Reformer des Monte Veritä
23 Close-ups aus dem Du auf die labyrinthische Geschichte des Monte Veritä.
Jakob Flach
40 Der erste Schritt ins Wunderland
Robert Landmann
50 Menschen, die den Berg prägten
Gustav Gräser - Henri Oedenkoven und Ida Hofmann - Theodor Reuss - Eduard Freiherr von der Heydt - Baronin Antonietta Saint-Leger
Erich Mühsam
66 Ethische Wegelagerer
Friedrich Glauser
68 Marianne von Werefkin: «La Signora»
Oliver Prange
70 Bilder im Kopf
Lorenzo Sonognini im Gespräch mit David Streiff
78 «Alle unsere Veranstaltungen stehen im Einklang mit dem Genius Loci des Monte Veritä»
Lorenzo Sonognini ist seit gut zwei Jahren der Direktor der Fondazione Monte Veritä. Er definiert das Gebilde, das heute den Wahrheitsberg ausmacht, als Centro culturale e congressuale.
Durs Grünbein
82 Im Garten der Gartenstadt
Ähnlich wie der Monte Veritä war Hellerau bei Dresden in den Zwanzigerjahren ein Anziehungspunkt für Künstler mit radikalen Reformideen. Durs Grünbein, zentrale Figur der deutschen Gegenwartslyrik, ist in Hellerau aufgewachsen und erzählt von seiner Kindheit am legendären Ort.
Jules Spinatsch (Bilder) / Alexandra Blättler (Text)
90 ASYNCHRON I-V
5 Episoden zur Geschichte der Nukleartechnologie vom Kalten Krieg bis heute. Du präsentiert eine Auswahl der Bilder, mit denen der Schweizer Fotokünstler Jules Spinatsch den Jurypreis des Greenpeace Photo Award 2012 gewonnen hat.
3 Editorial
8 Bildnachweis und Impressum
98 Service und Vorschau