Das Verständnis des Phänomens der Computerspielabhängigkeit wird im gegenwärtigen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs bestimmt durch medizinisch-psychologische Perspektiven. Die Spielerinnen und Spieler werden tendenziell als ¿krank¿ konzeptualisiert.
Die vorliegende Arbeit nimmt demgegenüber eine andere Position ein und begreift abhängiges Computerspielen in der Tradition sozialwissenschaftlicher Suchtforschung als eine Form devianten Verhaltens. Ausgehend hiervon fragt sie nach der sozialen und biografischen Bedingtheit des Phänomens. Auf der Grundlage biografischer Interviews rekonstruiert Nadine Jukschat den voraussetzungsvollen Prozess der Entstehung und Verfestigung einer abhängigen Computerspielpraxis mit seinen Bindungsmechanismen und Dynamiken. Sie zeigt dabei, dass die abhängige Spielpraxis bezogen ist auf biografische Probleme, an denen die Spielerinnen und Spieler im Alltag scheitern. Computerspielabhängigkeit erscheint hier gerade nicht (mehr) als Ausdruck pathologischer Bedürfnisse und Wünsche, sondern als Bemühen der Spielerinnen und Spieler, doch noch Anerkennung, Zugehörigkeit und Autonomie im gesellschaftlich erwünschten Sinne zu erfahren ¿ wodurch sie allerdings, als ¿Abhängige¿ markiert, immer weiter ins gesellschaftliche Abseits geraten.
Durch diesen Perspektivwechsel wird eine abhängige Computerspielpraxis nicht nur als paradox scheiternder Versuch der Lebensbewältigung sichtbar, sondern es werden verschiedene Dimensionen des Phänomens offengelegt, die in der bisherigen medizinisch-psychologisch dominierten Computerspielabhängigkeitsforschung vernachlässigt wurden.
Inhalt
Vorwort 8
Einleitung 10
1 Vorspann - eine Geschichte der Video- und Computerspiele:
von Tennis for two bis Call ofDuty, World of Warcraft,
League ofLegends und Co. 17
1.1 Urgesteine, Meilensteine, Wegbereiter 18
1.2 Von Computer Spiellandschaften und Genreeinteilungen -
Versuch eines Überblicks 23
1.2.1 Actionspiele: reagieren 26
1.2.2 Abenteuer- und Rollenspiele: entscheiden 26
1.2.3 Strategiespiele: planen 27
2 Computerspielen zwischen Euphorie, Normalisierung
und Pathologisierung 29
2.1 Zur gesellschaftlichen Relevanz von Computer spielen und ihrer
utopischen Betrachtung 30
2.1.1 Computerspielen als Massenphänomen, Kulturgut
und Wirtschaftsfaktor 30
2.1.2 Verbreitung und Art der Computerspielnutzung in
Deutschland 32
2.1.3 Durch die rosarote Brille? Forschungsperspektiven der
Geistes- und Sozialwissenschaften auf Computer spiele 35
2.2 Zum Phänomen der Computerspielabhängigkeit 37
2.2.1 Zum Begriff der Computerspielabhängigkeit in medizinisch
psychologischer Forschung 37
2.2.2 Verbreitung, Ursachen und Charakteristika des Phänomens
Computer Spielabhängigkeit: Stand der Forschung 42
2.2.3 Zur Dominanz medizinisch-psychologischer Deutungen von
Computerspielabhängigkeit 51
3 Anknüpfungspunkte in game studies und sozialwissenschaftlicher Suchtforschung für die Erforschung von
Computerspielabhängigkeit 54
3.1 Beredtes Schweigen: Beiträge der game studies zum Verständnis
des Phänomens Computerspielabhängigkeit 55
3.2 Eine vergessene Tradition: Anknüpfungspunkte sozialwissenschaftlicher Suchtforschung für die Analyse des Phänomens
Computerspielabhängigkeit 63
4 Ergebnissicherung, Standortbestimmung und
Forschungsfrage n 69
4.1 Synthese und Positionierung 69
4.2 Fragestellungen der Arbeit 73
5 Methodologie und Methoden 75
5.1 Zugang zum Feld und Sampling 76
5.1.1 Rekrutierung von Interviewteilnehmern
und Interviewteilnehmerinnen 77
5.1.2 Zur Fallauswahl 85
5.2 Erhebung 89
5.2.1 Biografie- und Prozessorientierung: zur Wahl des narrativen
Interviews, seiner Anwendung und Widerständen im Feld 90
5.2.2 Revisited: Folgeinterviews in ausgewählten Fällen 101
5.3 Auswertung 104
5.3.1 Überlegungen zur Wahl und Kombination von Objektiver
Hermeneutik und Grounded Theory 104
5.3.2 Praktisches Vorgehen: der Weg zur gegenstandsbezogenen
Theorie 110
5.4 Forschungsethik: zum Umgang mit Daten- und Vertrauensschutz
sowie zur Verantwortung gegenüber den Beforschten 116
6 Computerspielabhängigkeit als unwahrscheinlicher Weg 121
6.1 Ein erstes Fallbeispiel: Sandra - ¿für mich äh ähm .. gibt es da
halt auch wirklich einen Freundeskreis¿ 124
6.2 Bedingungen der Entstehung und Verstetigung abhängiger
Computerspielpraxis: ein Karriere- bzw. Prozessmodell 153
6.2.1 Prädisponierende Bedingungen und situationelle
Einflussfaktoren 156
6.2.2 Prozessfaktoren und Verstetigungsmechanismen 159
6.2.3 Schutzfaktoren sowie Abbruchchancen 217
6.3 Zur Funktionalität abhängigen Computerspielens im
biografischen Kontext 235
6.3.1 Typus I: (Sehn-)Sucht nach Anerkennung 237
6.3.2 Typus II: (Sehn-)Sucht nach Zugehörigkeit 281
6.3.3 Typus III: (Sehn-)Sucht nach Autonomie 317
6.3.4 Übergreifende Bemerkungen zur Typologie 352
7 Game Over - abhängiges Computerspielen als Versuch
der Lebensbewältigung 356
Literatur 372
Anlagen 393
Hinweise zur Transkription 393
Fallübersicht 394