Der durch Migrationen hervorgerufene sprachliche und kulturelle Wandel der Gesellschaft ist unübersehbar und unüberhörbar. Die Frage aber, welche Herausforderungen dem Bildungswesen hieraus erwachsen und wie dieses sie lösen kann, findet in der Pädagogik im allgemeinen recht wenig Beachtung. Die zentrale These dieser Studie lautet, daß das nationalstaatlich verfaßte deutsche Bildungswesen im 19. Jahrhundert ein monolinguales Selbstverständnis herausbildete. Dieses Selbstverständnis regiert die Schule bis heute – und zwar um so sicherer, als der Vorgang seiner Herausbildung selbst im Vergessen versunken ist. Unter den Umständen wachsender Pluralität in der Schülerschaft aber, die sich als Konsequenz der Migration für Bildung und Erziehung eingestellt hat, erweist sich dieses Selbstverständnis mehr und mehr als dysfunktional: Es begrenzt die Kompetenzen, die zur Bewältigung der Komplexität schulischer Arbeit unter den Umständen sprachlicher Vielfalt nötig sind.Die Untersuchung konzentriert sich auf Entwicklung, Wandlung und jetzige Erscheinungsformen der monolingualen Orientierung im Lehrberuf. Im Kern steht die Frage, wie es zur „Vernatürlichung“ der Vorstellung kam, daß die Schule einsprachig organisiert sein müsse, daß sich Bildung am besten im Medium einer einzigen Sprache vollziehe und daß die Entfaltung von Einsprachigkeit in der Nationalsprache der ganze Zweck der Bildung sei. Vorgestellt werden außerdem die Sicht- und Handlungsweisen heutiger Lehrerinnen und Lehrer, die alltäglich vor der Aufgabe stehen, eine vielsprachige und kulturell heterogene Schülerschaft zu unterrichten.
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT XI
EINLEITUNG 1
ERSTES KAPITEL
Sprachliche Pluralisierung der Schule als Aspekt einer
»kulturellen Modernisierung«. Einführende Betrachtung
»Das Bildungswesen der Zukunft« 5
Migrationen, ethnische Differenzierung, Modernisierung 8
Sprachliche Pluralisierung in der »modernen Schule« 14
Allgemeine sprachliche Bildung 17
Die sprachliche Lage der heutigen Schule 24
Forschung über Lehrerarbeit 27
Monolingualer Habitus 30
Abschnitte und Abbildungen 35
ZWEITES KAPITEL
Erster heuristischer Abschnitt:
»Zu Natur gewordene Geschichte« -
Über die Grundlegung des monolingualen Habitus der Lehrerschaft . . . . 41
In groben Strichen:
Die Karriere des Deutschen im Bildungswesen des 19. Jahrhunderts 44
Erste Station: Deutsch im Vormärz
»Hebel der Modernisierung« 49
»Die naturgemäße Methode« 51
»Das ausländische Idiom« 53
»Die trennenden Unterschiede beseitigt« 55
»Das Hochdeutsche zu lehren« 57
»Der Schwerpunkt liegt aber eben im Deutschen« -
Veranschaulichung an Robert Heinrich Hieckes Konzept vom
deutschen Unterricht 60
»Lektüre« 62
»Deutsche Grammatik« 63
»Aufsatzlehre« 64
»Tiefes Wissen« 65
Das Vorbild des Lehrers 65
Zweite Station:
»Deutsche Bildung« im Kaiserreich - Hebel der Restauration 69
»Das Leben war ihm immer das erste, und das Denken das zweite« . . . . 71
»Endlich die Deutschheit« - Abkehr von formaler Bildung 72
»Der deutsche Michel« - Werterziehung als sprachliche Bildung 73
»Der einigende Boden« - Strukturelle Konsequenz 76
»Der Sieg des Naturverfahrens« - Didaktische,
methodische Konsequenzen 78
»Nicht länger vom Mutterboden getrennt« - Fremdwörter,
Fremdsprachen, Mundart 81
»Der Lehrer als Sprachgärtner« 86
»An den Polen wird ein gutes Werk vollzogen« - Utraquistische Schulen . . . . 90
»Die Länge des Weges vom Wollen zum Vollbringen« -
Noch kurz von der ersten Deutschdidaktik in der BRD 94
Vergessen der Geschichte 100
DRITTES KAPITEL
Zweiter heuristischer Abschnitt:
»Der Konsens über den Sinn der Praktiken und der Welt« -
Geäußerte pädagogische Meinung über die »multilinguale Schule« . . . . 105
Die »Welt des Alltagsverstands« 108
Erste Abbildung:
»Herrschende Redeart« über die multilinguale Schule 111
»Spekulative Prämissen« - die Konstruktion der Skalen 114
Sätze über die »multilinguale Schule« 121
Erprobung des Instruments 123
Ergebnisse der Befragung:
Wie Hamburger Lehrerinnen und Lehrer die »multilinguale
Schule« sehen 124
Kennzeichen der Stichprobe 124
Der Trend: Auf die »multilinguale Schule« eingestellt 130
Zusammenhänge 134
Verleugneter monolingualer Habitus oder »multilingualer Zeitgeist«? . . 141
Zweite Abbildung:
Pädagogischer Alltagsverstand vom Begriff »Zweisprachigkeit« 145
»Allgemeines« und »spezielles pädagogisches« Verständnis
von Zweisprachigkeit - zur Methode der Untersuchung 146
Erhebung und Stichprobe 147
»Allgemeines Verständnis« von Zweisprachigkeit:
Einträge in allgemeine Nachschlagewerke 149
»Das Nebeneinander verschiedener Sprachen« 151
»Pädagogisches Verständnis« von Zweisprachigkeit - Pädagogische
Nachschlagewerke 155
Pädagogisches Verständnis laut Lexika:
Bewertung, Behandlung von Zweisprachigkeit 158
Die Ansichten pädagogisch Gebildeter über Zweisprachigkeit
Konstruktion des »Wörterbuchs« 164
Was »Zweisprachigkeit« den Gefragten bedeutet -
Im Studium 168
Zum »Räumlichen«: wenige Antworten 170
Im Schwergewicht: Individuelle Zweisprachigkeit 172
»Im alltäglichen Leben«
Zweisprachigkeit nach der Ansicht Studierender 179
Was praktische Erfahrung ausmacht 181
Bereit und nicht bereit? 185
VIERTES KAPITEL
Letzter heuristischer Abschnitt:
»Die Praxis ist der Ort«
Näherung an den sprachlichen Habitus der Lehrerschaft einer Schule . . 187
Im Schulfall 190
Porträt: »Die Faberschule« 192
Schulgeschichte 192
Das schulische Umfeld heute ; 199
Die Schülerschaft 201
Pädagogisches Personal 204
Vielsprachigkeit und das »Interkulturelle« 207
Von außen betrachtet 209
Bei der Arbeit gesehen und gefragt: Lehrerinnen und Lehrer
Zunächst: zur Methode 210
Gestalten des sprachlichen Habitus
Besprochene Themen 216
Themenmatrix 217
Geäußerte Haltungen
»In meiner Klasse gibt es...« - Gesprächseröffnungen 219
»Die einzige Sprache« 223
»Das verhindert eine Spracherziehung« 224
»Wenn ich meiner Vision Ausdruck gebe« 227
»Das sind so die Gegebenheiten« 229
»Die ausländischen Kinder hier« 232
Schlüssel und Riegel 234
Der Konsens über die Funktionen von Sprachen in der Schule 236
»Wenn sie sich gegenseitig helfen« 237
»In erster Linie das Klima« 240
»Wenn richtig gearbeitet wird« 242
Der Konsens über die Möglichkeiten von Lehrerinnen und Lehrern
»Und da fehlt es mir einfach« 245
»Kleinschrittig vorgehen« 249
Die Strategien der Bewältigung von Komplexität 253
BEMERKUNGEN ZUM SCHLUSS 258
Großstadt, Grundschule 258
Habitus in Praxis 263
»Auf die Innovationskraft der Lehrer gesetzt« 265
Verzeichnis der Literatur 267
ANHÄNGE 293
I. ZUM ZWEITEN HEURISTISCHEN ABSCHNITT, ERSTE ABBILDUNG
Anhang 1: Fragebogen »Einstellungen zur
multilingualen Schule« 295
Anhang 2: Statistische Verfahren, ergänzende
Tabellen (Ulrike Popp) 305
ZUM ZWEITEN HEURISTISCHEN ABSCHNITT, ZWEITE ABBILDUNG
Anhang A: Übersicht über die untersuchten allgemeinen
Lexika und Nachschlagewerke 325
Anhang B: Übersicht über die untersuchten allgemeinen
Lexika und Nachschlagewerke, ediert vor 1945 327
Anhang C: Übersicht über die untersuchten pädagogischen
Lexika und Nachschlagewerke 329
Anhang D: Beispiele für TEXTPACK-Routinen 333
Anhang E: Wörterbuch »Zweisprachigkeit«, Studierende
der Erziehungswissenschaft und Lehrkräfte 335
Anhang F: Vergleich der Inhalte: Studierende, Lehrkräfte 341
ZUM LETZTEN HEURISTISCHEN ABSCHNITT
Anhang I: Beispiel einer Transkription nach der
Originalversion (Auszug) 351