Wie konnten Menschen tun, was sie ihresgleichen in den ungeheuren Gewaltgeschichten der Moderne angetan haben? Iris Därmann findet eine Antwort in der zentralen Rolle einer historisch neuen Gewaltlust. In der transatlantischen Versklavung verband sich diese Lust an der Gewalt unauflöslich mit der Folter der Auspeitschung. Der Marquis de Sade war über die Zustände in den französischen Kolonien nicht nur gut unterrichtet, er hat die koloniale Gewaltlust auch literarisch sichtbar gemacht und in pornografische Praktiken verwandelt, die auf die Aufhebung der Sklaverei zielten. In Därmanns Analyse kommt Sade daher eine Schlüsselstellung zu: Sadismus ist in dieser Perspektive eine organisierte Gewaltpraxis, ein pornografisches Genre und ein kolonialrassistischer Gebrauch der Lüste. Gegen den verharmlosenden Versuch der Sexualwissenschaften des späten 19. Jahrhunderts, »Sadismus« auf die »Perversion« von Einzeltätern zu reduzieren, untersucht Därmann augenöffnend das gezielte Wiederaufgreifen der Peitschenfolter bei der Kolonisierung Afrikas und der Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden; sie gibt dabei insbesondere jenen Raum, die der sadistischen Gewalt ausgesetzt waren, sie hellsichtig diagnostiziert und sich ihr widersetzt haben. Seit den 1930er-Jahren wurde Sadismus so auch zu einer kritischen Kategorie: Aimé Césaire, Frantz Fanon, Jean Améry, Georges Bataille und Pierre Klossowski fanden zurück zu Sades radikalpolitischem Projekt und stellten sich ihm zugleich bei der Suche nach einem anderen Begehren entgegen, das den menschlichen Körper nicht zur sadistischen Beute macht.
Inhalt
I Zum Auftakt 7
II Nietzsches Genealogie der alten Grausamkeit 18
III Der Gebrauch der Körper 24
IV Body politics der Inversion und Körpergenres
der Mittäterschaft 34
V Plantagenpornografie in Suriname 48
VI Female Flogging und koloniale Gewaltlust 59
VII Sadismus mit Sade 69
VIII Prügelstrafe und Züchtigungsrecht:
Koloniale Gewaltlust in Europa 75
IX Väterlicher Sadismus: »Ein Kind wird geschlagen« 82
X Die Einpflanzung der »Perversion«: Der sadistische
Einzeltäter und die Sexualwissenschaft 90
XI Rassistische Peitschengewalt und koloniale Gewaltlust
in den »deutschen Schutzgebieten« 111
XII Antikoloniale und antisadistische Kriege
der Herero und Nama 133
XIII Koloniale Peitschengewalt in den
nationalsozialistischen Konzentrations- und
Vernichtungslagern 150
XIV Antisadistischer Widerstand und Bezeugen
in der »Residenz des Todes« 173
XV Georges Bataille und der revolutionäre
»Gebrauchswert« Sades 196
XVI Sade ohne Sadismus: Pierre Klossowski und
die »polymorphe Sensibilität« 222
XVII Die Desorganisation des Körpers 230
XVIII Saidiya Hartmans und Phillis Wheatleys
antisadistische Schreibweisen: Kann Schönheit
ein Mittel liefern? 237
Dank 245
Textnachweise
Anmerkungen
Verfasser*innenangabe:
Iris Därmann
Jahr:
2023
Verlag:
Berlin, Matthes & Seitz Berlin
Aufsätze:
Zu diesem Aufsatz wechseln
opens in new tab
Systematik:
Suche nach dieser Systematik
PH.Q
Suche nach diesem Interessenskreis
ISBN:
9783751820073
Beschreibung:
350 Seiten
Schlagwörter:
Geschichte, Gewalt, Kolonialismus, Literatur, Lust, Belletristik, Dichtung, Gewaltanwendung, Landesgeschichte, Literarisches Kunstwerk, Ortsgeschichte, Regionalgeschichte, Schöne Literatur, Sprachkunst, Sprachliches Kunstwerk, Wortkunst , Zeitgeschichte
Mehr...
Suche nach dieser Beteiligten Person
Sprache:
Deutsch
Fußnote:
Textnachweise: Seite 246. - Anmerkungen: Seite 247-350
Mediengruppe:
Buch