Verlagstext:
Heute sind es meist die Armen und Ausgegrenzten, die sowohl in neuen, reaktionären
Bewegungen ihr Heil suchen als auch in progressiver Art aufbegehren ¿ von Montagsdemos bis hin zu Gelbwesten-Aufmärschen.
Karl Marx und Friedrich Engels prägten für sie den Begriff «Lumpenproletariat». Er bot ihnen die Möglichkeit, ihre Prognosen aus den Revolutionsjahren 1848/49 zu revidieren. Sie propagierten jetzt, schuld an der Niederlage der Revolutionen seien neben der eigenen
Schwäche des Proletariats auch «sozial degradierte, von den Herrschenden korrumpierbare
und daher im Klassenkampf passive oder ambivalent agierende Teile der sozialen Unterschichten» gewesen: das Lumpenproletariat eben.
Findet sich das revolutionäre Subjekt also im Industrieproletariat oder bei den «Verdammten dieser Erde»? Während die Sozialdemokratie ihre Hoffnungen in die gut organisierte Arbeiter*innenklasse setzte, weiteten Revolutionäre, denen der Rückgriff auf eine solch relativ homogene Klasse fehlte, ihr Verständnis des revolutionären Subjekts aus. Lenin und Mao beispielsweise betrachteten das Lumpenproletariat strategisch und betonten die Bedeutung dieser Klasse, die nicht vom Kapitalismus absorbiert worden war, erkannten aber auch die Notwendigkeit ihrer revolutionären Führung.
Aus alledem ergibt sich ¿ aufs begriffsgeschichtliche Ganze gesehen ¿ ein drastischer Widerspruch zwischen reaktionärem Opportunismus (Marx) und einer existentiellen Nähe zum radikalen Bruch mit der Gesellschaft (Bakunin, Fanon), dem Christopher Wimmer auf den Grund geht.
Aus dem Inhalt:
1 Einleitung ...............7
2 Vorgeschichte des Lumpenproletariats.....10
2.1 Der Vagabund als unwürdiger Armer.........10
2.2 Der Pöbel als gefährliche Klasse.........13
2.2.1 Entstehung des Pauperismus.............14
2.2.2 Protestbewegungen des Pöbels.........18
2.3 Das Proletariat als bewusste Klasse........22
3 Das Lumpenproletariat bei Karl Marx und Friedrich Engels.........26
3.1 Ein Begriff schleicht sich ein...........27
3.2 Systematische Verwendung des Begriffs........30
3.2.1 Geschichte: Das Residuum einer vergangenen Zeit ...30
3.2.2 Politik: Die gegenwärtige Rolle in der (Konter-)Revolution.....31
3.2.3 Ökonomie: Die notwendige Reserve..........45
3.2.4 Rudiment: Literaten und politische Gegner........49
3.3 Der Bürger Marx: moralische Bewertungen........51
4 Das Lumpenproletariat als reaktionäre Klasse ...55
4.1 Marx Erben: Die deutsche Sozialdemokratie.....55
4.2 Marx Erben: Die Köpfe der kommunistischen Bewegung..70
4.2.1 Erziehungsobjekt bei Lenin............71
4.2.2 Mao Tse-tung und der Kontext Chinas ..........78
4.3 Die deklassierten Klassen in der Soziologie........85
4.3.1 Marienthal und der Nationalsozialismus.........85
4.3.2 Debatten in der Bundesrepublik ...........88
4.3.3 Ausschlüsse in der Prekarisierungsforschung .....91
4.4 Nutzlosigkeit und Gefahr der deklassierten Klassen...96
5 Das Lumpenproletariat als revolutionäres Subjekt............98
5.1 «Die Blume des Proletariats» von Michail Bakunin...101
5.2 Bohême, Kunst und Anarchie bei Erich Mühsam .....104
5.3 Die Bewegungen in der Weimarer Republik.....108
5.3.1 Die Erwerbslosenbewegung und die KPD........108
5.3.2 Die autonome Bewegung der Vagabund*innen.......116
5.4 Verschiedene Spektren der Dissidenz.......120
5.4.1 Das revolutionäre Potential der drop outs bei Herbert Marcuse............121
5.4.2 Frantz Fanon und die «Verdammten dieser Erde»....125
5.4.3 Das schwarze Lumpenproletariat der Black Panther Party............131
5.4.4 Der Operaismus und die Konstruktion des Massenarbeiters.......136
5.5 Modernere Versuche der Organisation des Lumpenproletariats...........143
5.5.1 Militante, Autonome und erste Erwerbslosengruppen ....143
5.5.2 Die «Multitude» von Michael Hardt und Antonio Negri ...146
6 Fazit..................150