Die meisten politischen Systeme der westlichen Welt gelten als demokratisch – legitimiert durch freie Wahlen und einen Rechtsstaat, der sich zu den individuellen Freiheitsrechten bekennt und diese schützt. Laut Rosanvallon führen diese Legitimationsprinzipien zu einer Vorherrschaft der Exekutive: 'Unsere politischen Systeme können als demokratisch bezeichnet werden, doch demokratisch regiert werden wir nicht.' Die demokratische Betätigung der Bürgerinnen und Bürger reduziert sich auf die Wahl von Repräsentanten und Regierenden, d. h. auf ein simples Verfahren zur Beglaubigung von Mächtigen und zur Bestätigung von allgemeinen politischen Zielsetzungen. Diese Formen von Genehmigungsdemokratien führen zu sozialen Verwerfungen und können im schlimmsten Fall sogar diktatorische Züge aufweisen (wie z. B. in Weißrussland). Auf der Grundlage demokratiegeschichtlicher Entwicklungen entwirft Rosanvallon das Modell einer Betätigungsdemokratie als Garant einer guten Regierung. Eine Betätigungsdemokratie verkörpert die positive Seite des demokratischen Universalismus und ist der Schlüssel zum demokratischen Fortschritt. Voraussetzung ist, dass nicht nur die Exekutive, sondern auch Behörden, verschiedene Ebenen der Justiz und der gesamte öffentliche Dienst Umwandlungsprozesse vollziehen. Rosanvallon fordert nicht weniger als eine demokratische Revolution, die über eine Neudefinition der Beziehungen zwischen Regierenden und Regierten führt, erst dann wird die Realisierung einer Gesellschaft der Gleichen denkbar.
Inhaltsverzeichnis
Von einer Demokratie zur nächsten (Einleitung) 9
Die Präsidialisierung der Demokratien 10
Das ursächliche Faktum: Die Vorherrschaft der Exekutive 14
Das parlamentarisch-repräsentative Modell 15
Das Verhältnis von Regierenden zu Regierten 19
Niedergang und Neudefmition der Parteien 22
Unterwegs zu neuen demokratischen Organisationen 26
Ein anderer demokratischer Universalismus 28
Die vier Demokratien 29
I Die exekutive Gewalt: Eine problematische Geschichte 33
Die Inthronisierung des Gesetzes und die
Degradierung der Exekutive 35
Die Idee einer Herrschaft des Gesetzes 35
Eine politische Utopie 39
Die Degradierung der Judikative während der Revolution 40
Die Abqualifizierung der Exekutive 42
Der Kult der Unpersönlichkeit und seine M etamorphosen 47
Die Vorstellung einer "kopflosen" Macht 47
Eine nicht gewählte, kollegiale Macht 49
Bonaparte: Rückkehr eines Eigennamens und neues Regime
des Willens 52
Das neue Zeitalter der Unpersönlichkeit 56
Französische Ausnahme oder demokratische Moderne? 59
Das Zeitalter der Rehabilitierung 63
Aufstieg der Massen und Stärkung der Exekutive 63
Der Schock des Ersten Weltkriegs und der Führerkult 68
Die Erweiterung staatlichen Handelns und der Niedergang
des Gesetzes 77
Die beiden Versuchungen 81
Das technokratische Ideal 82
Der Ausnahmezustand 89
Kontinuitäten und Brüche 96
II Die Präsidialisierung der Demokratien 99
Wegweisende Experimente: 1848 und Weimar 101
1848 in Frankreich oder der Triumph der Unbesonnenheit 101
Die Weimarer Verfassung 108
Max Weber und die plebiszitäre Demokratie 111
Das Laboratorium der Katastrophe 116
Von der gaullistischen Ausnahme zur allgemeinen Präsidialisierung 121
Die Vorbehalte der Nachkriegszeit 121
Eine amerikanische Ausnahme 125
Das gaullistische Moment 127
Die Verbreitung der Präsidentschaftswahlen 133
Die Personalisierung jenseits der Präsidialisierung 135
Unumgänglich und problematisch 139
Die demokratischen Gründe der Präsidialisierung 139
Die spezifischen Grenzen der Legitimation durch Wahlen 141
Präsidialismus und Neigung zum Illiberalismus 146
Über die "Unmöglichkeit, die Zeit zurückzudrehen" 149
Die Regulierung des Illiberalismus 151
Die Einhegung der Wahlen 151
Reparlamentarisierung der Demokratie? 155
Die neuen Wege der Unpersönlichkeit 160
III Die Aneignungsdemokratie 165
Das Verhältnis von Regierenden und Regierten 167
Die Ratio der H errn 168
Das Zeitalter der Verführung und der Manipulation 173
Das Verhältnis von Regierten und Regierenden denken 176
Selbstverwaltung, Selbstregierung, Selbstinstitution 179
Die unmögliche Aufhebung der Äußerlichkeit 181
Herrschaft und Asymmetrie 187
Demokratie als Eigenschaft 190
Lesbarkeit 193
Das Auge des Parlaments auf die Regierung 194
Das Auge des Volkes auf seine Repräsentanten 198
Bentham und die Augen der Demokratie 204
Reich der Sichtbarkeit und Elend der Lesbarkeit 207
Die Dämonen der Intransparenz 212
Das Recht auf Wissen und die Institutionen der Lesbarkeit 216
Eine gewisse gesellschaftliche Vorliebe für Intransparenz? 224
Verantwortung 227
Eine englische Erfindung 228
Von der Banalisierung zum Versagen 234
Die politische Verantwortung neu begründen 239
Verantwortung als Rechenschaftspflicht 240
Verantwortung als Verpflichtung gegenüber der Zukunft 245
Reaktivität 251
Zuhören und regieren: Lektion in regressiver Geschichte 251
Polarisierung und Regression des staatsbürgerlichen Ausdrucks 258
Die verkümmerte Demokratie 265
Die Konfigurationen einer interaktiven Demokratie 267
IV Die Vertrauensdemokratie 271
Die Figuren des guten Regierenden 273
Der tugendhafte Fürst 273
Der reine Mandatsträger 277
Der homme-peuple 281
Der Politiker aus Berufung 286
Die Vertrauensperson 290
Wahrsprechen 293
Einige geschichtliche Elemente 294
Utopien und Verrat 300
Die Motive des Wahrsprechens 305
Die Schlachten des Wahrsprechens 309
Integrität 317
Die drei Transparenzen 319
Klärungsversuche 327
Die Institutionen der Integrität 330
Die Sanktionssysteme 333
Die zweite demokratische Revolution (Schluss) 341
Institutionen und Akteure der Betätigungsdemokratie 342
Funktionale Demokratie und Konkurrenzdemokratie 347
Einen positiven Bezug zur Zukunft wiederfinden 348
Bibliografie
Namensregister