Welche Bilder sind es, die unser heutiges Weltbild neu definieren helfen und, und die, wenn schon nicht als mythische Bilder anzusehen sind, so doch an der Schwelle zur Mythologisierung stehen? Für Campbell war eines der für ein zeitgemäßes Selbstverständnis des Menschen gewichtigsten Bilder jenes von der Erde, das von der Oberfläche des Mondes aufgenommen wurde.The inner Reaches of outer Space - der amerikanische Originaltitel ergäbe, wörtlich übersetzt, einen etwas sperrigen Buchtitel, worin wohl der Grund zu sehen ist, weshalb bei der deutschen Ausgabe gar nicht erst versucht wurde, eine sinngemäße Entsprechung zu finden. Die inneren Bereiche des äußeren Raumes - das sind die in jüngerer Zeit (zum Zeitpunkt, da Campbell die dem Buch zugrundeliegenden Texte schrieb, hochaktuell) mittels Raumfahrt zugänglich gemachten Bereiche des Weltraums, die, obgleich in unmittelbarer Erdnähe, eine völlig neue Sichtweise unseres Daseins auf dem blauen Planeten anschaulich zu machen geeignet sind. Gerne zitierte Campbell die Worte des Astronauten Rusty Schweickhart, dem angesichts des Sublimen die Worte versagten, welche er im Nachhinein umso eindrucksvoller formulierte; Aufgrund einer technischen Verzögerung einige Minuten ohne Ablenkung durch ein eng terminiertes Arbeitsprogramm, geriet dem Raumfahrer plötzlich die schimmernde Erdkugel ins Visier: "Ich fragte mich selbst, was ich jemals getan hatte, um diese Erfahrung zu verdienen."Die neue Erfahrung des Himmels, der dem Menschen früherer Zeitalter als Ort der Transzendenz gegolten hatte, als leerer Raum zwischen den Sternen dürfte für jene, welche die Reise außerhalb der Erdatmosphäre gemacht haben eine einschneidende Erfahrung, wenn nicht eine grundlegende psychische Verwandlung bedeuten. Was den übrigen Menschen bleibt, sind die überwältigenden Fotografien, welche die Erdkugel als eine blaue Perle in einem unermesslichen schwarzen Abgrund zeigen - Ein Bild das, wie Campbell glaubte, geeignet sei als Symbol für das neues Zeitalter einer global agierenden Menschheit, die ihre Aggressionen nicht länger auf andere soziale Gruppen lenken kann. Eine zeitgemäße Mythologie, so Campbell, müsse sich auf die ganze globale Menschheit beziehen. Denn, wie zahlreiche Astronauten und Kosmonauten trefflich feststellten, aus dem All betrachtet sind keine Landesgrenzen sichtbar; Die Erde erscheint als Heimat der ganzen Menschheit, unabhängig von Glaube, Herkunft und politischer Überzeugung. (Das Logo dieser Website geht genau auf diesen Gedanken zurück: Eine grünende Erdkugel, die uns Europa als unsere eigene Heimat zuwendet, eine Heimat jedoch, die nicht abgegrenzt erscheint vom Rest der bekannten belebten Welt)Sollte dieses neue Bild von der Erde, das auf hinlänglich bekannten wissenschaftlichen Fundamenten beruht, jedoch erst durch die angesprochenen Fotografien einer breiten Öffentlichkeit anschaulich gemacht werden konnte, nicht als Anstoß zu verstehen sein, manch überkommene Glaubensvorstellung, die auf einem vor- oder zumindest frühwissenschaftlichen Weltbild beruht, zu den Akten zu legen? Imagine, there is no heaven, above us only sky - ironischerweise legt gerade der Blick aus den "eroberten" benachbarten Bereichen des Kosmos die Einsicht nahe, wer Transzendentes erfahren wolle, möge lieber in den Abgründen seiner Psyche, als in dem Raum zwischen den Sternen suchen. Die Mitte ist überall - so verschieden der Titel von dem der Originalausgabe sein mag, bezeichnet treffend, die sich aus moderner Kosmologie und Kantischer Philosophie ergebenden Einsicht, dass die Welt eine Einheit, und das himmlische Jerusalem nicht in einem Staat namens Israel zu finden ist. Die mystische Einsicht der inneren Erfahrung als dem allein möglichen direkten Zugang zur transzendenten Welterfahrung findet sich poetisch verdichtet in der Vision eines Schamanen aus dem Stamm der Sioux. In einer Vision hatte der Medizinmann in seiner Jugend sich selbst auf dem zentralen Weltberg erschaut, den er mit einer lokalen Erdhebung namens Harney Peak identifizierte. Zugleich jedoch erkannte der kluge alte Mann, dem offenbar eine Vision beschieden war, die dem Raumfahrtzeitalter gerecht zu wird, dass zugleich die Mitte nirgends anders als überall zu finden sei.Das Buch, dessen deutscher Titel sich der Vision eines Schamanen verdankt, jedoch ebenso eines Mystikers jedweder Herkunft würdig wäre, bildet neben der modernen Kosmologie den Ausgangspunkt für Campbells gedankliche Reisen durch die Bereiche der mythischen Imagination und der religiösen Sinnbilder, sowie der Kunst als einer Bildsprache, die Transzendentes sinnlich erfahrbar zu machen verhilft. Dem anspruchsvollen Gehalt des schmalen Bandes steht eine Sprache gegenüber, die so schlicht und präzise ist, dass es dem Mythologen gelingt, selbst Kants Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik auf wenigen Seiten darzustellen, und dies auf eine Weise, die selbst jenen einen Zugang ermöglichen dürfte, denen der Name Kant bislang als Inbegriff einschüchternder philosophischer Gelehrsamkeit erschien.
Verfasser*innenangabe:
Joseph Campbell. [Übers. aus dem Amerikan.: Jürgen Saupe]
Jahr:
1992
Verlag:
München, Kösel
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ISBN:
3-466-34269-4
Beschreibung:
192 S. : Ill.
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Sprache:
Deutsch
Originaltitel:
The inner reaches of outer space <dt.>
Fußnote:
Literaturverz. S. 185 - 192
Mediengruppe:
Buch