Nach 14 Jahren entwicklungsbiologischer Feldforschung hat die Ökopsychologin Dr. Gerda Verden-Zöller ein wegweisendes Buch geschrieben, das helfen kann, den Zwiespalt zu überwinden, in den unsere menschliche Natur in der patriarchalischen Kultur geraten ist. Wissenschaftlicher Weggefährte und neurobiologischer Schutzpatron dieser Arbeit, die sich in die herkömmliche Wissenslandschaft noch nicht ganz einordnen läßt, ist der Erkenntnistheoretiker Prof. Dr. Humberto R. Maturana. Durch ihn hat Gerda Verden-Zöller verstanden, daß die Frage der Entwicklungsumwelt unserer Kinder zugleich ein biologisches und kulturelles Problem ist und nur durch Nachdenken über unsere menschliche Natur, über unsere evolutionären Ursprünge und unsere heutige Lebensweise beantwortet werden kann. Gemeinsam beschreiben die Autoren, was unsere Kinder körperlich, seelisch und geistig brauchen, um sich zu liebenden, zufriedenen und zärtlichen Menschen zu entwickeln. Sie weisen nach, wie notwendig es ist, daß Eltern und Erzieher voll anwesend sind in dem, was sie im Moment gerade tun – daß alle Menschen sich gegenseitig brauchen, weil nur das der menschlichen Natur entspricht. Maturana erinnert daran, daß es knapp 7000 Jahre vor unserer Zeitrechnung im Donautal, auf dem Balkan und im ägäischen Raum die Matristische Kultur gab. Sie stand in Einklang mit der Biologie der Liebe bei der ursprünglichen Menschheit. In seiner wissenschaftlichen Lebensarbeit weist Maturana nach, daß wir Menschen in unserer Entwicklungsgeschichte dadurch "Mensch" wurden, daß sich die vertrauende und liebevolle Umgangsweise der Säugetiere in der Mutter-Kind-Beziehung verlängerte bis hinein ins Erwachsenenalter unserer Vorfahren. Dies geschah durch eine Lebensweise, die das Teilen der Nahrung, den sinnhaften körpernahen Umgang mit anderen und die selbstverständliche Teilnahme des Mannes an der Aufzucht der Kinder zum Inhalt hatte. Durch diese einander zugewandte Lebensweise ist Sprache entstanden, als Möglichkeit, Handeln und Emotionen miteinander abzustimmen. Der ursprüngliche Mensch kannte die Emotion der Inbesitznahme nicht. In der patriarchalen Hirtenkultur aber entstand genau diese Inbesitznahme. Sie zieht eine Lebensweise nach sich, deren Hauptmerkmale der Verlust des Vertrauens, Verzweckung und Kontrolle sind. Wir alle leiden unter dem Zweispalt, dem die Biologie der Liebe unserer ursprünglichen Natur in der patriarchalen Kultur ausgesetzt ist. Die Autoren zeigen einen Weg, diese Sackgasse menschlicher Entwicklung zu überwinden in der neomatristischen, partnerschaftlichen Lebensform der Demokratie, die Erwachsene nur leben können, wenn sie als Kinder Annehmen und Angenommenwerden körperlich erfahren haben. Liebe wird hier als Emotion verstanden, die den anderen als Partner im nahen Zusammenleben annimmt und ihm damit seinen Lebensraum zugesteht. Auf die drängende Frage: "Was können wir tun, um diesen Zwiespalt zwischen unserer Natur und ihrer kulturellen Entfremdung zu lösen?" geben die Wissenschaftler eine einfache Antwort: "Wir müssen auf die Aufzucht unserer Kinder achten. Dann wird Demokratie als Leben mit Respekt vor sich selbst, den anderen und der Natur möglich." Gerda Verden-Zöller hat in ihrer Forschungsarbeit die Grundlagen für eine entwicklungsbezogene, präventive Sozialmedizin herausgefunden und aufgebaut. Sie kam zu der Erkenntnis: Wir Erwachsenen, alle Menschen, die als Eltern, Lehrer und Erzieher mit Kindern zu tun haben, müssen selbst wieder Kind werden, das heißt, wir müssen uns körperlich einfühlsam an die eigene Kindheit erinnern. In der ökopsychologischen Eltern- und Erzieherübung, die in der Diözese Passau von ihr 14 Jahre lang erprobt wurde, üben die jungen Eltern und Erzieher spielend-selbstvergessen in der kleinen Gruppe die Entwicklungsbereiche, die bei ihrem Kind und natürlich auch bei ihnen selbst Körperbewußtsein und soziales Bewußtsein entstehen lassen. Es handelt sich dabei schlicht um Körperrhythmen, Gleichgewichtserfahrungen, die Vielfalt der Bewegungsentwicklung, die spontane Produktion elementarerer Zeichen, den Aufbau des Raum- und Zeitbewußtseins und der Theoriebildung. Die Präzision dieser entwicklungsbiologischen Grundeinübung ist die Garantie dafür, daß wir unsere Kinder körperlich total annehmen können, weil wir selbst wieder sensibel geworden sind für die Grundtatsachen des Menschseins. In einer "Ausbildung für Ausbilder" des in ihrem Buch beschriebenen Entwicklungsweges werden die beiden Wissenschaftler eine Breitenwirkung ihrer Einsichten für die Allgemeinheit in die Wege leiten. Das ist zum heutigen Zeitpunkt so wichtig, weil die Revolte der Jugend gegen die soziale Blindheit bedrohliche Formen annimmt. Es ist vielleicht der erste Schritt aus der Orientierungslosigkeit, zu erkennen, daß wir nur zu sozialen Wesen werden, weil unsere Biologie die Biologie von Tieren ist, die für ihre gesunde physiologische und spirituelle Entwicklung Liebe brauchen, nahes Zusammenleben in gegenseitiger Annahme. Wir menschlichen Wesen haben die Fähigkeit, in Liebe zu leben, wenn wir in Liebe aufwachsen. Und wir müssen in Liebe leben, um körperlich und geistig gesund zu bleiben.Passauer Neue PresseHumberto R. Maturana, Jahrgang 1928, studierte Medizin, promovierte in Biologie und arbeitete danach am Massachusetts Institute of Technology (MIT). 1960 kehrte er an die Universität von Santiago zurück, wo er als Professor für Biologie wirkte und das von ihm gegründete Laboratorium für experimentelle Erkenntnistheorie und Biologie der Erkenntnis leitete. Als einer der führenden Vertreter des modernen Systemdenkens ist er Autor zahlreicher Bücher, darunter auch der gemeinsam mit Francisco J. Varela verfasste Bestseller "Der Baum der Erkenntnis" und die Studie "Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit". Zuletzt veröffentlichte er eine Sammlung seiner wichtigsten Aufsätze unter dem Titel "Biologie der Realität".
Verfasser*innenangabe:
Humberto R. Maturana ; Gerda Verden-Zöller
Jahr:
2005
Verlag:
Heidelberg, Neckar, Carl Auer Verlag
Aufsätze:
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Systematik:
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PI.HG
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ISBN:
3-89670-489-3
Beschreibung:
5. Aufl., 191 S. : Ill.
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Fußnote:
Literaturverz. S. 183
Mediengruppe:
Buch