"Wos is do los, wos wird do gspüt, / im gaunzen Haus ka Hitler Büd? / des is jo gor net woa, / im Kölla hängan zwoa."
Ein Kinderreim aus Oberösterreich als Ausdruck einer sozial tradierten gesellschaftlichen Befindlichkeit. Der Keller als Sinnbild für das Verborgene, das Unheimliche, das Unterdrückte, das Unbewusste - und somit der zentrale Ort psychoanalytischer Auseinandersetzung.
Psychoanalyse und Nationalsozialismus stehen im Zentrum des vorliegenden Buches. Einerseits methodisch: die Analyse der Sprache und des Witzes, bis hin zur Erfassung von Lebensgeschichten ehemaliger Zwangsarbeiter/innen und welche Folgen sich daraus ergaben - z.B. in Form eines Theaters. Die Psychoanalyse als Reflexionsmethode zur Aufarbeitung der NS-Zeit.
Andererseits wissenschaftshistorisch: Was geschah in Wien zwischen 1938 und 1945, nachdem Sigmund Freud flüchten musste, und was folgte danach. Verborgene Geschichten der Psychoanalyse, die auch nach Jahrzehnten virulent sind, sowohl auf der Couch als auch exemplarisch in der biographischen Diskussion der Protagonisten. Lektüre-Gedanken zum Thema schließen den Band ab.
Karl Fallend, geb. 1956, Prof. für Sozialpsychologie an der FH Joanneum Graz und lebt in Wien als freiberuflicher Wissenschaftler. Seit 1984 Mitherausgeber des "WERKBLATT. Zeitschrift für Psychoanalyse und Gesellschaftskritik."
INHALT
Helmut Dahmer
9 Tauchgänge
Karl Fallends Untersuchungen zur unbewussten Zeitgeschichte
15 Unbewusste Zeitgeschichte - Prolog und Epilog
I.
45 Psychoanalytische Betrachtungen über das Fortwirken des
Nationalsozialismus
69 (Un) Verschämt - Ersparter Hemmungsaufwand
Nationalsozialismus, Antisemitismus im Witz von heute in Österreich
88 Über das schweigende Verhältnis von Psychoanalyse und
Nationalsozialismus in Österreich
II.
105 „Abgerissene Fäden“
Psychoanalyse in Österreich nach 1938
Biographische Einsichten
(gemeinsam mit Ulrike Körbitz)
151 Graz - Wien - retour
Emmy Miklas - zwischen Sozialismus, Philosophie, Psychoanalyse
und sozialer Fürsorge
190 „Carusos Erben“
Reflexionen in einer erhitzten Auseinandersetzung
III.
211 Die Zeit heilt keine Wunden
Sozialpsychologische Aspekte biographischer Forschung zur Zwangsarbeit
Brigitte Heusinger
239 Land vermessen
Gedanken zum Thema „Theater und Nationalsozialismus“
253 Unsere Forschung bewegt uns - aber von wo wohin?
Nationalsozialismus in biographischen Gesprächen
Lektüre - Gedanken
293 „Meine Krankheit ist Auschwitz“
Zäh und verbissen gegen das Vergessen anschreiben: Grete Weil
295 Doch der Antisemitismus hat keine Hautfarbe
Drei Reisen, drei Geschichten von Grete Weil
297 Pistole, Handgranate und Kamera
Die Polin Faye Schulman überlebte als Partisanin den Holocaust
299 Die Ausnahme des Überlebens
Ernst und Hilde Federn. Eine biographische Studie
von Bernhard Kuschey
305 „Das Gift, das man eintrinkt“
Gebrochene Biographie: Ella Lingens' Erinnerungen
308 Tote Kinder wie weggeworfene Puppen
„Am Spiegelgrund“ und anderswo: Leben in NS-Erziehungsanstalten
310 Und er sagte nicht nein
316 Was hier gespielt wurde
322 Die braunen Federn des Vaters der Graugans
324 Vom Gedanken zur Tat
331 Literatur
350 Drucknachweise
352 Bildnachweise