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Bd. 2.; Frauenmystik und Franziskanische Mystik der Frühzeit

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Jahr: 1993
Bandangabe: Bd. 2.
Mediengruppe: Buch
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Inhalt

Frauenmystik und franziskanische Mystik
Zur Fortsetzung von Kurt Ruhs religionsgeschichtlicher Studie
Die Grundlegung der abendländischen Mystik zur Zeit der Kirchenväter durch Dionysius Areopagita, Aurelius Augustinus, Johannes Cassianus und Gregor den Grossen, dann später durch die Mönchstheologie des Mittelalters, wofür die Kartäuser Guigo I. und Guigo II., Bernhard von Clairvaux, Wilhelm von St. Thierry sowie die Zisterzienseräbte in deren Nachfolge, weiter die Viktoriner Hugo und Richard stehen, bestimmte den Inhalt des ersten Bandes einer Geschichte der abendländischen (christlichen) Mystik von Kurt Ruh. Überblicksmässig einführend, noch an den für die Gotteserfahrung zentralen Lehrpunkten einlässlich wurden in souveräner Weise die in ihren Schriften wirkmächtigsten Vertreter einer Theologie vorgestellt, welche die Beziehung Mensch - Gott und die möglichen Wege zur Einheit des Menschen mit Gott in den Mittelpunkt ihres Denkens und zumeist auch existentiellen Bemühens stellten. Gottes- und Selbsterkenntnis, die Unbegreiflichkeit und Unzugänglichkeit Gottes bei gleichzeitigem Entgegenkommen des göttlichen Heilswillens für den Menschen bildeten - pauschal gesagt - das thematische Spannungsfeld.
Das in der Patristik und im Mittelalter herausgebildete theologische Begriffssystem, die eingesetzten Denk- und Sprachbilder prägten in der Folge das bekenntnishafte und preisende Reden und Schreiben all jener, denen, wie auch immer, die Einheitserfahrung mit Gott (Unio mystica) zuteil wurde und die sich gedrängt fühlten, davon Zeugnis abzulegen. Die nur mehr literarisch fassbaren Zeugen mystischer Erfahrung lassen sich einzig - wie es in dieser Geschichte der abendländischen Mystik geschieht - mit philologischer Anstrengung, kritischem Spürsinn und interpretatorischer Sorgfalt einigermassen zuverlässig aufschlüsseln. Gegenseitige Abhängigkeiten wie auch Divergenzen der mystischen Texte lassen sich so, weitgehend im Sinn einer Textgeschichte, feststellen und womöglich auf die bezeugte, aber nur mittelbar kommunizierbare Gotteserfahrung hin durchsichtig machen.
Volkssprachliche Mystica
Nicht allein um die wirkmächtigen mystisch-theologischen Traditionslinien, vielmehr um die stupende Neuartigkeit mancher, besonders volkssprachlicher Mystica geht es in Band II der "Geschichte der abendländischen Mystik" von Kurt Ruh. Bereits der in verschiedenen Viten auftauchende Typus begnadeter Frauen zeigt einen frischen Frömmigkeitsstil, und erst recht belegen die von religiösen Frauen im Mittelalter in der Volkssprache diktierten oder selbst aufgezeichneten Zeugnisse eine bis anhin noch nie dagewesene, oft auch die Leiblichkeit ergreifende Intensität der Gotteserfahrung. Ein ausführlicher Hinweis auf die volkssprachlichen Hohelied-Auslegungen im "St. Trudperter Hohenlied" und in der Hohelied-Paraphrase des Landri von Waben bereitet auf die lange Reihe der zum Teil erst in neuester Zeit durch die Mystik- und Frauenforschung wiederum bekannt gewordenen Namen vor.
Kurt Ruh beginnt mit der spirituellen Charakterisierung der "heiligen Frauen" in der mittelalterlichen Diözese Lüttich, mit Maria von Oignies, Lutgart von Tongeren, den Zisterzienserinnen in der Abtei Rameia und den anonymen "Scharen heiliger Jungfrauen". Es folgen, ausserhalb der Diözese Lüttich, Christina von Markyate, Christina von Stommeln, Christina von Hane (von Retters), Margareta contracta von Magdeburg, Wilbirg von St. Florian, Lukardis von Oberweimar und Agnes Blannbekin. Eigene Kapitel zeichnen die durch hohe literarische Qualität und ausserordentliche theologische Durchdringung ihrer Erfahrung auffälligen Frauen aus: Beatrijs van Nazareth, Hadewijch, Mechthild von Magdeburg, Mechthild von Hackeborn und Gertrud die Grosse aus dem Kloster Helfta sowie - aus dem französischen Sprachraum - Marguerite Porète. Eine interessante Einführung in das anonym überlieferte "Buch der Minne", auch "Die Rede von den XV Graden" genannt, ist in diesen Hauptteil der Mystikgeschichte eingeschoben, da das Buch sich an Klosterfrauen und Beginen richtet.
Zeitlich parallel zum religiösen Aufbrauch unter den Frauen in Brabant, doch unabhängig von ihm - so Kurt Ruh -, verlief die durch Franziskus von Assisi ausgelöste Armutsbewegung. Ihre Eigenart und Auswirkung auf den Frömmigkeitssteil und die unitive Gotteserfahrung wird für die Frühzeit des franziskanischen Ordens (erste und zweite Ordensgeneration) eingehend untersucht. Den Ausdruck "franziskanisch" bezieht Kurt Ruh primär auf die charismatisch ausgezeichnete Gestalt des Ordensgründers Franziskus. Dessen Leben wird als Vita mystica aufgefasst, wie es der Franziskaner Bonaventura (zweite Ordensgeneration), selbst ein Vertreter der Theologia mystica, in seinem Franziskus-Leben gedeutet hat. Franziskus erscheint da als ein anderer, als ein zweiter Christus (alter Christus), auch als Bote der Endzeit, mit dem Zeichen des lebendigen Gottes, dem Kreuz, auf der Stirn bezeichnet.
Zwar haben die von Franziskus in italienischer Sprache diktierten und lateinisch notierten Texte lediglich Lob-, Mahn- und Gebetscharakter und berichten nichts von mystischen Erfahrungen. Dennoch könne über deren Realität kein Zweifel bestehen, behauptet Kurt Ruh, da doch nach der Vita des Thomas von Celano die bräutliche Verbindung des Franziskus mit der Armut Gleichförmigkeit mit Christus bewirkte. Zeichen der frei gewählten Armut ist das Kreuz, dessen Stigmen sich am Leibe des Franziskus - erstmals in der Frömmigkeitsgeschichte - dauernd sehen liessen. Diese körperlichen Wundmale wurden vor dem Fest der Kreuzerhöhung 1224 auf dem Berg Alverna durch die Erscheinung eines sechsflügligen Seraphs ausgelöst. Bonaventura deutete bei seinem eigenen Rückzug auf den Berg Alverna 1259 die Stigmatisierung des Franziskus in der "Legenda maior" mystisch: als Verwandlung durch die Beschauung in die Gleichförmigkeit mit Christus.
Bonaventuras eigener Beitrag zur Mystikgeschichte besteht in den Schriften "Itinerarium mentis in Deum" (Wegweiser zu Gott) und "De triplici via" (Der dreifache Weg), die den möglichen Aufstieg der Menschenseele in Gott zum Thema haben, und im "Breviloquium", einem Abriss der Theologie. Das Zentrum von Bonaventuras spirituell ausgerichteter Glaubenslehre besteht in einer neu empfundenen Kreuzestheologie. Die um 1330 entstandenen, Bonaventura nur zugeschriebenen "Meditationes vitae Christi" (Betrachtungen des Lebens Christi) wie auch der "Stimulus amoris" (Ansporn zur Liebe) wollen in der Nachfolge Bonaventuras jenes ergreifende Mitleiden mit dem Gekreuzigten wecken, das den Menschen umwandelt und zur Leidenseinheit, zur Unio passionalis mit dem gekreuzigten Gottmenschen führt.
Franziskanisch in der Weiterführung eines neuen Naturverständnisses erweist sich die hier erstmals im Kontext einer Mystikgeschichte vorgestellte, anonym überlieferte provenzalische "Scala divini amoris" (Leiter zur Gottesliebe).
Franziskanische Mystik
Die Mystik der kirchlich und ordensintern grausam verfolgten franziskanischen Spiritualen wird hauptsächlich anhand der Gedichtsammlung Jacopones von Todi, des "Laudario", vorgestellt. Es wird zudem auf den "Arbor vitae crucifixae Jesu" (Lebensbaum des gekreuzigten Jesus) des Spiritualen Ubertino von Casale - ebenfalls auf dem Berg Alverna entstanden - ausführlicher hingewiesen.
Mit dem Franziskaner David von Augsburg, der sicher kein Ekstatiker war, kommt nicht mehr eigene literarisierte Einheitserfahrung mit Gott, sondern Mystographie zur Sprache, jene Literaturgattung, die zur experimentellen Gotteserfahrung hinführen will, ohne von einer solchen selbst Zeugnis geben zu können. Das in mindestens 370 Handschriften erhaltene Hauptwerk Davids mit dem abgekürzten Titel "De exterioris et interioris hominis compositione" (Vom Aufbau des äusseren und inneren Menschen) stellt eines der wichtigsten und offensichtlich beliebtesten geistlichen Lehrbücher des Mittelalters dar.
Franziskanische Frauenmystik schliesslich findet sich in nur wenigen Texten; Klara von Assisi, die Gründerin des weiblichen franziskanischen Ordenszweiges, verwirklichte gewollt demütige Illiterarität. Aus den Lebensbeschreibungen der Douceline von Digne, der Gründerin einer Beginensiedlung in der Provence, und Margheritas von Cortona lassen sich Züge der franziskanischen Mitleidensmystik ablesen. Eindrücklich vertritt Angela von Foligno, unklausurierte Terziarin, in dem von ihr italienisch diktierten "Memoriale" franziskanische Frauenmystik: der Kern des "Memoriale" besteht im Zeugnis einer Gotteserfahrung, die, echt franziskanisch, in Leidenseinheit mit Jesus Christus, in Unio passionalis besteht.
Auf die Kompetenz des Verfassers dieser "Geschichte der abendländischen Mystik" braucht nicht eigens hingewiesen zu werden. Doch darf man das seltene Geschick hervorheben, mit dem die repräsentativen Vertreterinnen und Vertreter der mystischen Gotteserfahrung im Mittelalter (12. und 13. Jahrhundert) ausgewählt und vorgestellt werden - engagiert und zugleich im etymologischen Wortsinn diskret, mit der Gabe der richtigen Unterscheidung nämlich. Mit ausserordentlich feinem Gespür und selbstverständlich mit besten philologischen Kriterien wird der mystikgeschichtliche Stellenwert der besprochenen Texte beurteilt. Die differenzierten Argumentationen und Interpretationen konnten freilich nicht referiert, sie müssen in eigener Lektüre im Zusammenhang zur Kenntnis genommen werden.
Louise Gnädinger -- Neue Zürcher Zeitung

Details

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Jahr: 1993
Bandangabe: Bd. 2.
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Systematik: Suche nach dieser Systematik PR.CGO
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ISBN: 3-406-34499-2
Beschreibung: 547 S. : Ill.
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Fußnote: Nicht allein um die wirkmächtigen mystisch-theologischen Traditionslinien, vielmehr um die stupende Neuartigkeit mancher, besonders volkssprachlicher Mystica geht es in Band II der «Geschichte der abendländischen Mystik» von Kurt Ruh. Bereits der in verschiedenen Viten auftauchende Typus begnadeter Frauen zeigt einen frischen Frömmigkeitsstil, und erst recht belegen die von religiösen Frauen im Mittelalter in der Volkssprache diktierten oder selbst aufgezeichneten Zeugnisse eine bis anhin noch nie dagewesene, oft auch die Leiblichkeit ergreifende Intensität der Gotteserfahrung. Ein ausführlicher Hinweis auf die volkssprachlichen Hohelied-Auslegungen im «St. Trudperter Hohenlied» und in der Hohelied-Paraphrase des Landri von Waben bereitet auf die lange Reihe der zum Teil erst in neuester Zeit durch die Mystik- und Frauenforschung wiederum bekannt gewordenen Namen vor. Kurt Ruh beginnt mit der spirituellen Charakterisierung der «heiligen Frauen» in der mittelalterlichen Diözese Lüttich, mit Maria von Oignies, Lutgart von Tongeren, den Zisterzienserinnen in der Abtei Rameia und den anonymen «Scharen heiliger Jungfrauen». Es folgen, ausserhalb der Diözese Lüttich, Christina von Markyate, Christina von Stommeln, Christina von Hane (von Retters), Margareta contracta von Magdeburg, Wilbirg von St. Florian, Lukardis von Oberweimar und Agnes Blannbekin. Eigene Kapitel zeichnen die durch hohe literarische Qualität und ausserordentliche theologische Durchdringung ihrer Erfahrung auffälligen Frauen aus: Beatrijs van Nazareth, Hadewijch, Mechthild von Magdeburg, Mechthild von Hackeborn und Gertrud die Grosse aus dem Kloster Helfta sowie – aus dem französischen Sprachraum – Marguerite Porète. Eine interessante Einführung in das anonym überlieferte «Buch der Minne», auch «Die Rede von den XV Graden» genannt, ist in diesen Hauptteil der Mystikgeschichte eingeschoben, da das Buch sich an Klosterfrauen und Beginen richtet.
Mediengruppe: Buch