Deutschland 1918. Ende des Ersten Weltkriegs, Revolution, Sieg der Demokratie. Zugleich beginnt ein Siegeszug befreiter Lebensweisen. Die Inflation hat die überlieferten Werte ins Wanken gebracht. Alles soll von Grund auf anders werden: die "Neue Frau", der "Neue Mann", "Neues Wohnen", "Neues Denken". Als es Mitte der Zwanziger auch wirtschaftlich aufwärtsgeht, wird Deutschland ein anderes Land. Frauen eroberten die Rennpisten und Tennisplätze, gingen abends alleine aus, schnitten sich die Haare kurz und dachten nicht ans Heiraten. Unisex kam in Mode, Androgynes und Experimentelles. Jähner erzählt von der Erfindung der Freizeit, von Boxhallen und Tanzpalästen, und von den Hotspots der Neuen Zeit, vom Büro und Großstadtverkehr, vom Warenhaus als Glücksversprechen oder der Straße als Ort erbitterter Kämpfe. So vieles wirkt heute verblüffend modern. Die Vorliebe für Ironie, das Gradlinige und Direkte. Aber auch die Angst vor der "Entwertung aller Werte", der Herrschaft des Billigen. Ein großer Teil der Deutschen fand sich im Aufbruch nicht wieder. Nach und nach offenbarte sich die tiefe Spaltung der Gesellschaft und die Unfähigkeit, sie auszuhalten. Harald Jähner liefert eine Gesamtschau dieser so pulsierenden, reichen Zeit, wie es sie bislang nicht gab - und zeichnet das Bild eines zerrissenen Landes voll gewaltiger und erschreckender Energien. Es ist uns irritierend ähnlich und - hoffentlich - doch ganz anders. (Verlagstext)
Inhaltsverzeichnis:
VORWORT: DAS NEUE LEBEN n
1. ALS DER KRIEG NACH HAUSE KAM 19
Die ersten Tage 21 | Der unselige Pakt 29 | Im Felde
unbesiegt, aber bezwungen von Frauen 39 | «Du tanzt Dir
doch vom Leibe nicht die Schmach» 42 | «Tagelöhner des
Todes» 51 | Fronterlebnis und Heimatelend 57 | Staatsdiener im Fadenkreuz 65 | Ebert, derVerachtete 68
2. WENN DAS GELD STIRBT 75
Der Verlierer zahlt alles 77 | Nur das Heute zählt
82 | Inflation, neue Freiheit und Sittenverfall - Otto Dix
& Co. sehen die Republik als Großbordell 95 | DieWende:
20 Pfennig = 120 Milliarden Mark 101 | Man raste wieder,
nun aber aufwärts 107
3. EXTREMES WOHNEN 113
Im Bauhaus-Haus 115 | «Man wohnt eigentlich wie ein
Schwein, furchtbar unüberlegt» 123 | Tür an Tür - Neues
Bauen für städtische Massen 128 | Gebauter Rausch: Art
deco 134 | Das Flachdach als Gewissensfrage. Der Heimatschutzstil 141
4. «SCHICKSALE HINTER SCHREIBMASCHINEN» -
DIE TRÄGERSCHICHT DER NEUEN ZEIT 149
Morgens um acht bevölkern seltsame Wesen die Straßen
151 | Auch im Sitzen schnell: Die stillen Dramen des
Büros 157 | «Hübsch will ich bleiben, so lange es eben
geht» 163 | Intellektuelle im Büro - Gastspiele aus der
Oberschicht 169
5. PREKÄRE BALANCE: EBERT STIRBT, HINDENBURG
KOMMT 177
Posthum besteht der Reichspräsident denWürdetest- und
die Republik gleich mit 179 | Der Held vonTannenberg in
Schwarzrotsenf 183 | Flaggenkrieg am Ostseestrand 187
6. VERKEHR ALS STAATSBÜRGERKUNST 101
«Nie zu nahe noch zu fern»: Die Stadt und das Taktgefühl
193 | Stadt ohne Menschen 206 | Flaneure und Autofahrer 209 | «Denkendes Erz» und singende Autos 212 | Auf
und davon - die Frau am Steuer 218
7. DIE CHARLESTON-JAHRE 227
«Man zahlt, und du musst tanzen» 229 | «Shimmy shake!»
233 | Irgendwo aus Afrika 242 | Shisha-Pfeifen im Haus
Vaterland, ein Büro im Moka Efti 252
8. SELBSTOPTIMIERUNG: DIE PERFEKTIONIERUNG DER
FREIZEIT UND DER KÖRPER 263
Lunapark 265 | Im Kino: Sichtbare Stimmen 270 | «Dichter sollten boxen» 277 | Blaues Licht - auch Leni Riefenstahl emanzipiert sich 290 | «In mein’ Verein werd ich erst
richtig munter» 294 | Kampf, gegen wen auch immer 300
9. ZWISCHEN FRAU UND MANN -
GESCHLECHTERZWEIFEL 305
«Der modegerechte, hundsmagere Halbknabe» 307 | Politik mit der Haarschere: Der Bubikopf 310 | Rittmeister
mit Busen - die kulturelle Aneignung des Monokels
315 | Starke Frauen, verunsicherte Männer 320 | Stiernacken, Erzengel, Charakterköpfe und Hohlbirnen - zur
Physiognomie derWeimarer Republik 327
10. DIE ARBEIT GEHT AUS 337
In NewYork verspekuliert man sich, und der Stein kommt
ins Rollen 339 | Die schwarze Null: Haushaltssanierung
um jeden Preis 343 | Ein Garnfabrikant aus Delmenhorst
gibt den Rest - die Talfahrt ist nicht mehr aufzuhalten
347 | Arbeitslose und Ausgesteuerte 352 | Arbeit und
Heimat: Das Land unermüdlichen Fleißes 356 | Arbeitslose träumen nicht von Revolution 358 | «Schaffendes und
raffendes Kapital» - verletzte Arbeiterehre und Antisemitismus 363
11. DIE STIMMUNG SINKT, DER GESCHMACK PASST
SICH AN - KULTURELLE KONFLIKTE IN DER
DEPRESSIONSZEIT 371
«Das gibt’s nur einmal, das kommt nie wieder»: Höchstleistungen trotzen der Krise 373 | Herrschaft des Minderwertigen: Alles Pofel, Ramsch und Plunder? 379 | Optimismuskampagnen für das Konsumklima 391 | Der Aufstand
der Provinz: Agrarromantik und Ökologie 394 | Das Ende
des Charleston 405
12. «ABEND ÜBER POTSDAM» - DAS ENDE EINER
KOMMUNIKATIONSGEMEINSCHAFT 413
Gastmahl vor Staffelei 415 | Links die «Weltbühne», rechts
«Die Tat» 423 | Bitte möglichst rücksichtslos: Hochmut
und Unterwerfungslust 429
13. EINSAME ELITEN - KABINETTSPOLITIK GEGEN
POPULISMUS 435
Das Vorspiel: Staatsstreich in Preußen. Von Papen putscht
die Landesregierung aus dem Amt 437 | Das letzte Aufgebot. Der Netzwerker Kurt von Schleicher und die Querfront 442
14. DAS ENDE: REICHSKANZLER HITLER 453
Jubel und Terror 455 | Vom Kanzler zum Führer aus
«herzzerbrechender Zerrissenheit» 461 | Die Demokratie
schafft sich ab 466
EPILOG 475
ANHANG 487
Anmerkungen 489
Literatur 528
Personen 546
Dank 555
Nachweis 556